Die (Sekunden-)Aura von Memes (Digitale Juli-Notizen)


Dieser Text ist Teil der Juli-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann. Er wurde unter anderem inspiriert durch Gespräche, die sich nach meinem Vortrag an der Hochschule München ergaben (Foto links von Markus Frenzl) sowie durch die aktuelle Folge des Podcasts „Autonomie und Algorithmen“, der sich u.a mit meinem Text „Kunst, KI und Kopie“ beschäftigt. Dadurch bin ich auf das Projekt „Digitale Aura“ von Danny Frede gestoßen.


Gute Nachrichten für Walter Benjamin und seine Fans:
Das Internet bringt die Aura zurück.

So könnte man etwas salopp den jüngsten Slang-Trend zusammen fassen, der den zentralen Begriff aus Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ neu besetzt. Aura beschreibt im Jahr 2024 ein erfundenes Punktesystem, um Veränderungen des eigenen oder fremden Coolnes-Faktor zu ermitteln (minus Aura oder plus Aura). Ein Kommentar unter diesem Erklär-Video auf Tiktok bringt es auf den Punkt: Aura im Jahr 2024 ist Rizz plus Vibe.

Anders als in der ursprünglichen Nutzung wird der Begriff nicht auf Kunstwerke, sondern auf Personen und deren Handeln übertragen. Es gibt aber eine Parallele, weil sowohl bei Benjamin als auch auf Tiktok Aura ein äußerst temporäres Phänomen beschreibt. In beiden Fällen ist Aura kein unveränderliches Kennzeichen, sondern von Umständen abhängig.

Dass ausgerechnet die Kopiermaschine Internet nun den Begriff in die Öffentlichkeit bringt, ist durchaus ironisch. Denn für Walter Benjamin ist die Kopie die größte Gefahr für die Aura eines Original-Kunstwerks („Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“) Sehr vereinfacht gesprochen, definiert Benjamin die Aura eines Original-Kunstwerks durch die drei Eigenschaften Echtheit, Einmaligkeit und das Hier und Jetzt des Gegenstands.

Als Kopier-Freund bin ich kein besonderer Fan von Walter Benjamins These. Aber als ich dieser Tage den Podcasts „Autonomie und Algorithmen“ anhörte, wurde ich durch das Projekt „Digitale Aura“ von Danny Frede nochmal ganz neu auf die Idee der Aura gestoßen – und dabei hatte meine Tiktok-Nutzung sicher einen überraschenden Effekt. Ich fragte mich: Was wäre eigentlich wenn wir mit Kunst tun, was Tiktok-Nutzende mit ihrem Aura-Begriff tun: ihn von der Original-Fixierung und der vermeintliche Einmaligkeit lösen?

Wenn wir die Idee der Einmaligkeit hinter uns lassen, könnten wir Benjamins Aura-Definition ja auch auf digital reproduzierte Kunstwerke übertragen – also auf Kopien, die gar nicht mehr behaupten einmalig sein.

Eine Kunstform, die mir sehr nahe liegt und die sich genau durch ihre fehlende Einmaligkeit auszeichnet, ist das Meme. Das Meme liegt als Kopiervorlage im Web vor und erlangt seine Besonderheit gerade dadurch, dass es nicht einmalig ist, sondern immer wieder neu in veränderte Kontexte übertragen wird.

Ich glaube, dass es originellere und weniger originelle Memes gibt. Und meist hängt dies weniger am konkreten Werk an sich, sondern am Rezeptionskontext und -Zeitpunkt. Eine aktuelles Meme, das ich auf @kommemetare auf Instagram poste, wird anders rezipiert als wenn ich das gleiche Motiv im Rahmen eines Vortrags zeige (wie z.B. diese Woche im Zeughaus an der Hochschule München). Diese Beobachtung hat mich schon länger beschäftigt – und vielleicht kann Walter Benjamin mir bei der Auflösung dieser Frage helfen: Es ist das „Hier und Jetzt“ des Motivs, das sich ändert, also der Kontext, in dem das Meme wahrgenommen wird – und das ihm womöglich Aura verleiht.

Dazu zählen neben dem Ort und der Zeit auch die Autor:innenschaft des Memes. Wenn ich es auf einem Beamer in einem Hörsaal zeige, wirkt es völlig anders als auf dem kleinen Bildschirm in der privaten Nutzung. Im Hörsaal wird es zu einem Werk, das einer Person zuzuordnen ist, in der Handy-Nutzung ist das Meme einfach da – und deshalb nah. Erstaunlicherweise funktionieren die meisten lokalen Meme-Accounts übrigens genau deshalb, weil sie keine konkrete Person als Absender:in haben, Autor:innenschaft wird auf „Essen Diese“ oder „Münchner Gsindel“ anders gelesen als bei einem klassischen (Kunst-)Werk – und ich glaube, diese fehlende personelle Absender:innenschaft ist nicht Fehler, sondern Bestandteil des Werks. Es begründet oder verstärkt womöglich sogar dessen Aura.

Wie eine Meme Minus-Aura bekommen kann, wurde deutlich als während der EM-Berichterstattung Christoph Kramer und Per Mertesacker über das „Was wird“-Meme sprachen – und es damit beerdigten. Vor Millionen Zuschauern im klassischen TV funktioniert das Meme, dessen Kenntnis ein Mittel der Distinktion ist, nämlich nicht mehr. Die Referenz im TV zerstörte die Aura des Memes, denn der Zeitpunkt der Rezeption ist bedeutsam für die Aura eine Kunstwerks.

Bei Benjamin dachten immer alle an die weiße Museumswand, an der das Originalbild hängt und seine Aura ausstrahlt. Vielleicht ist Aura aber so das Blaulicht eines Bildschirms: sie strahlt auch auf dem Handy und sogar, wenn dort eine Kopie einer Kopie gezeigt wird. Denn das Meme erhält seine Aura nicht durch seine Einmaligkeit, sondern durch die Kontextbezüge und -brüche. Das bedeutet: ein Meme zu referenzieren, kann inhaltlich völlig richtig sein, aber dennoch ohne jegliche Aura – weil es zu spät oder im falschen Kontext genutzt wird. Und meist ist der Zeitpunkt für die auravolle Nutzung gar nicht so lang, weshalb ich im Titel von der Sekunden-Aura von Memes geschrieben habe – und Sponge Bob um eine Memefizierung gebeten habe. Magic!


Dieser Text ist Teil meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann. Er wurde unter anderem inspiriert durch Gespräche, die sich nach meinem Vortrag an der Hochschule München ergaben sowie durch die aktuelle Folge des Podcasts „Autonomie und Algorithmen“, der sich u.a mit meinem Text „Kunst, KI und Kopie“ beschäftigt. Dadurch bin ich auf das Projekt „Digitale Aura“ von Danny Frede gestoßen.

Mit Meme und dem Wesen der Kopie beschäftige ich mich schon länger – ich habe sogar Bücher darüber geschrieben.