Auf der Seite eins der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit befasst sich ein „Von Dieben lernen“ betitelter Kommentar mit den Acta-Protesten der vergangenen Tage und Wochen. Ich habe den Text mit Ärger, Erstaunen und nachhaltiger Erschütterung gelesen und will das hier festhalten für den Fall, dass in Zukunft mal wieder das Thema digitaler Graben aufkommt oder Medien sich (wie bei den Acta-Protesten vergangene Woche) plötzlich erstaunt fragen: Wo kommen denn all diese Demonstranten plötzlich her?
Der Text (online bisher nicht verfügbar) ist verfasst von Thomas Fischermann, der vor kurzem (mit Götz Hamann) das Buch Zeitbombe Internet veröffentlicht hat.
1. Ärger
Der Begriff des Diebstahl wird in dem Text unreflektiert und breitflächig eingesetzt. Auch das moralische Argument wird ins Feld geführt um zu erläutert, warum die so genannte „Null-Euro-Fraktion“ (Menschen, die Musik aus Tauschbörsen laden statt sie wie z.B. der Zeit-Autor für 21 Euro „bei einer Internet-Musikvertriebsfirma aus Glasgow“ zu kaufen) falsch liegt. Geärgert hat mich das, weil ich glaube, dass die unreflektierte Verwendung des Begriffs Diebstahls nicht richtig und dass die darauf aufbauende moralische Diskussion nicht zielführend ist.
2. Erstaunen
Trotz dieser sprachlichen Ungenauigkeit in dem Text argumentiert dieser nicht realitätsfern. Er stellt fest, dass „ausgerechnet das Internet neuerdings vielversprechende Geschäftsmodelle“ eröffne und zieht aus der Diebstahl-Annahme nicht den Schluss, die Vertreter der Null-Euro-Fraktion zu verdammen oder zu beschimpfen. Das hat mich positiv erstaunt – weil ich es nach der merkwürdigen Überschrift nicht erwartet hätte.
3. Erschütterung
Beendet habe ich die Lektüre des Textes dennoch mit nachhaltiger Erschütterung, denn in seiner gewählten Sprache bleibt er dann doch verräterisch. Zwar benennt er Argumente für diejenigen, die da auf die Straße gegangen sind. Er sagt aber sehr klar: Das sind nicht wir, das sind nicht die Leser dieser Zeitung, das sind die anderen. Konkret steht in dem Text – mit Bezug auf die Acta-Demonstranten:
Man kann mit denen jetzt hin und her diskutieren, welche Seite moralisch und juristisch recht hat. Man kann sich aber auch den Ärger sparen.
Im Kontext folgt dann der Hinweis darauf, dass sie womöglich doch bereit sind für Inhalte zu zahlen. Aber darum geht es mir gar nicht. Es geht mir um den Tonfall, der aus dem „mit denen“ und dem „hin und her diskutieren“ klingt. Dieser Tonfall schließt aus. So wie es den Cover-Themen der Zeit immer häufiger gelingt, einzuschließen („dieses Problem betrifft mich auch, ich gehöre dazu“), zeigt dieser Tonfall, wer eben nicht dazu gehört: die da. (Mal abgesehen davon, dass der „Ärger“ des Rumdiskutierens vielleicht gerade das ausmacht, was jetzt dringend notwendig ist: eine Debatte um ein zukunftsfähiges Urheberrecht)
Vielleicht ist dies lediglich ein sprachliches Detail. Vielleicht ist es aber auch ein kleiner Hinweis auf einen großen Bruch. Ein Zeichen dafür, dass die zumeist jungen Acta-Demonstranten hier offenbar keine publizistische Heimat haben. Dass man hier ihre Sprache nicht spricht (Raubkopierer), dass man sich hier von ihnen distanziert und sie (noch?) nicht als relevanten, gleichwertigen Debattenteilnehmer akzeptiert.
Die FAZ hat dieser Tage eine ganze Generation ausgerufen und den Text mit den Worten geschlossen:
Diese Geschichte begann mit einem Gesetz. Sie endet mit einer Revolution: Gegen die Twitter-Generation geht künftig nichts mehr.
Vielleicht ist es an der Zeit, diese Prognose nicht nur auf die politische Debatte zu beziehen, sondern auch auf die publizistische. Wenn das keine Herausforderung ist – nicht nur für die Zeit.
4 Kommentare
„Das sind nicht wir, das sind nicht die Leser dieser Zeitung, das sind die anderen.“
Ganz recht. Danke für die Zusammenfassung. Konnte den Text nämlich nicht selbst lesen, weil ich das ZEIT-Abo Anfang des Jahres gekündigt habe.
Mir ging es beim Lesen ähnlich wie dir. Die Überschrift und der Einstieg (Null-Euro-Fraktion) haben mich geärgert, der Mittelteil hat mich ob seiner Ausgewogenheit überrascht, das Ende hat den ersten Eindruck bestätigt.
Am Freitag war Sebastian Nerz zur externen Blattkritik bei der Zeit und hat zu diesem Text leider wenig Fundiertes zu sagen gehabt. Das fand ich sehr schade, weil gerade die Konfrontation eines Piraten mit den kulturpessimistischen, konservativen Zeit-Redakteuren (zumindest in Bezug auf das Internet) jede Menge Raum für interessante Diskussionen geboten hätte.
Fall du Zeit hast: Schreib doch einen Widerspruch und schick ihn an widerspruch@zeit.de. Du kennst die Rubrik sicher, ein Leser/Redakteur/Politiker (auch Journalisten aus anderen Medien) antworten in 2000 Zeichen auf einen Artikel der Vorwoche. Würde mich freuen, wenn du das Problem des digitalen Grabens auf diese Weise auch den Zeit-Lesern nahebringen könntest.
(Ich bin mir nicht sicher, ob der Kommentar beim ersten Mal geschluckt wurde, oder ob du ihn einfach erst noch freischalten musst. Falls ja, dann entschuldige bitte und lösche doch meinen zweiten Versuch.)
Danke, gut dass du den Artikel kommentiert hast, ich war auch ziemlich entsetzt darüber, als ich ihn Donnerstag morgen gelesen habe. Stimme in allen Punkten überein!
Das ist halt diese komische „Internetgemeinde“. Jemand hat für mich den Begriff sogar mal definiert:
http://leanderwattig.de/index.php/2011/03/28/matthias-ulmer-beschreibt-was-die-internetgemeinde-sein-soll/