Wir müssen über Crowdfunding reden. Eigentlich ging es mir bei meiner Idee, ein Buch zu schreiben, das die Leser an den Anfang und nicht ans Ende stellt, ganz und gar nicht um den aktuell sehr gehypten Begriff. Mir ging es darum, den Entstehungsprozess in den Blick zu nehmen. Dass ich damit jetzt mitten drin bin in einem Aufmerksamkeitsschub fürs Crowdfunding war so nicht geplant.
Aber es ist vielleicht auch gut. Vielleicht inspiriert dieses Interesse fürs Crowdfunding Menschen dazu, anders zu denken, Neues auszuprobieren. So wie Sebastian Esser es vor hat. Ihn lernte ich kennen, weil er mich für seine Website Kraut-Reporter interviewt hat. Gemeinsam mit Wendelin Hübner will er dort, journalistische Geschichten von der Community finanzieren lassen. Bisher läuft Kraut-Reporter in einer Vorschalt-Beta-Phase, trotzdem habe ich Sebastian Esser schon jetzt ein paar Fragen dazu gestellt, wie er Crowdfunding und Journalismus zusammenbringen will.
Crowdfunding ist der Hype der Stunde. Warum jetzt auch für den Journalismus?
Wir erleben gerade ein Medien-Massaker: DAPD und Frankfurter Rundschau haben Insolvenz angemeldet, die FTD ist zum letzten Mal erschienen, Redaktionen in Verlagen und Sendern werden überall zusammengestutzt. Insgesamt haben in diesem Herbst wahrscheinlich mehr als tausend festangestellte Journalisten ihren Job verloren. Das ist schlimm für die Kollegen, die nun ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Es ist aber auch schlimm für uns alle. Weniger Journalismus bedeutet: weniger Aufklärung, weniger Kritik, weniger verborgene Wahrheit, die jemand herausfindet. Das alles wirft die sehr grundsätzliche Frage auf: Wie wird Journalismus in Zukunft aussehen? Es gibt es eine Journalisten-Regel: Follow the money. In der ganzen Diskussion ist Crowdfunding eines der wenigen Experimente, das eine Antwort auf die entscheidende Frage verspricht: Wie finanzieren wir in Zukunft den aufwändigen, schwierigen, wichtigen Journalismus, wenn Verlage und Sender es nicht mehr tun?
Und was unterscheidet einen Kraut-Reporter von einem gewöhnlichen Reporter?
Grundsätzlich nichts. Jeder Reporter mit einer guten Geschichte hat beste Aussichten, Leute zu finden, die seine Arbeit finanziell und auf anderen Wegen unterstützen. Du musst Dich allerdings auf Deine Community einlassen, viel kommunizieren und für Deine Idee werben – etwas, was uns Journalisten erstmal fremd ist. Selbstvermarktung, das Werben für eine tolle Idee, das kommt früher oder später auf alle Journalisten zu. Nach dem Prinzip Frontalunterricht – einer spricht, alle anderen hören andächtig zu – funktioniert Journalismus heute ja eh nicht mehr.
Welche journalistischen Geschichten eignen sich fürs Crowdfunding und welche eher nicht?
Die besten Chancen haben Storys mit einer klaren Idee, einem besonderen Zugang. Zweitens solltest Du von Deiner Geschichte persönlich überzeugt sein, diese Leidenschaft auch vermitteln und Kompetenz nachweisen können. Und drittens – vielleicht der wichtigste Punkt – braucht die Story eine Community, eine Gruppe von Leuten, die sie wichtig oder interessant findet. Diese Crowd kann auch klein und speziell sein. Das ermöglicht Storys, die in Zeitungen, Magazinen oder Sendern keine Chance hätten, weil sie nicht massenkompatibel sind. Nicht geeignet sind Projekte, bei denen es allzu offensichtlich nicht darum geht, eine tolle Idee zu verwirklichen, sondern irgendwie an Geld zu kommen. Das sind sogenannte Finanzier-mein-Leben-Projekte: Ich brauch ’ne neue Kamera, ich möchte gerne mal wieder was in New York machen, ich brauche Zeit, um mal gründlich über alles nachzudenken und so weiter.
Was passiert, wenn ich als Autor eine Geschichte bei Euch einstellen will?
Wenn Du ein Projekt bei Krautreporter finanzieren möchtest, musst Du zunächst zwei Kriterien erfüllen: Du verpflichtest Dich, dass Dein Projekt grundlegende journalistische Regeln der Wahrhaftigkeit, Unabhängigkeit und Transparenz respektiert, und Du Dich an die Grundsätze des Pressekodex gebunden fühlst. Und wir nehmen nur Projekte mit einem klaren Ziel – das konkrete Ergebnis Deines Projekts musst Du auf Deiner Projektseite veröffentlichen, um Deinen Unterstützern nachzuweisen, dass Du Deine Versprechen gehalten hast. Klingt vielleicht kompliziert, ist aber ganz einfach: Du klickst auf Starten, beschreibst Dein Projekt, stellst Fotos und ein Video online, legst Finanzierungsziel und Deadline fest, bietest Prämien an und speicherst schließlich das Projekt. Krautreporter entscheidet innerhalb von ein paar Tagen, ob das Projekt die Voraussetzungen erfüllt. Wahrscheinlich rufen wir Dich auch an und besprechen Details. Dann geht Dein Pitch online und Deine Kampagne kann losgehen.
Warum sollte ich das bei euch machen, es gibt doch auch andere Plattformen?
Jede Plattform steht für eine Community, eine bestimmt Zielgruppe. Und bei Krautreporter gibt’s Journalismus. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich die Besucher wirklich für Dein Projekt interessieren, wenn sie von Freunden und Bekannten auf ein Krautreporter-Projekt aufmerksam gemacht worden sind. Wir bemühen uns sehr, dass die Marke Krautreporter schon bald für tollen, berührenden, harten Journalismus steht, auch für neuartige Geschichten und Formate, die uns auf der Suche nach der Zukunft des Journalismus voran bringen.
Was passiert dann mit den Geschichten? Werden die auch bei Euch veröffentlicht oder verkauft der Autor sie anschließend an ein klassisches Medium?
Die Reporter verpflichten sich, das Ergebnis ihrer Arbeit auf Krautreporter zu veröffentlichen – einfach um zu beweisen, dass sie ihre Zusagen ihren Unterstützern gegenüber auch eingehalten haben. Darüber hinaus behalten sie sämtliche Rechte an ihrer Arbeit und veröffentlichen sie, wo sie wollen – bei Zeitungen, Sendern, auf der eigenen Webseite.
Und warum betreibt Ihr das Portal? Woran verdient Ihr?
Wir berechnen Reportern fünf Prozent der Finanzierungssumme, sollte ihr Projekt erfolgreich sein. Ist das Projekt nicht erfolgreich, entstehen auch keine Kosten. Mit diesen Einnahmen decken wir die Entwicklungs- und Serverkosten und den ganzen Kleinkram, der eben zusammenkommt. Unser Motivation ist aber, etwas zu unternehmen, das neuen Journalismus ermöglicht. Wir weigern uns, weiter die seit vielen Jahren immer gleichen Argumente auszutauschen und nichts tuend, aber Händer ringend dem Schwinden der Strukturen zuzusehen, die bisher Journalismus ermöglicht haben. Allen ist doch klar: Journalismus wird anders sein, möglicherweise von anderen betrieben und anders finanziert werden. Krautreporter ist ein Vorschlag, ein Experiment. Wir fragen die Journalisten, Fotoreporter und Dokumentarfilmer da draußen: Was ist die Geschichte, die Du immer schon machen wolltest?
8 Kommentare
Die Idee ist ja ok, aber der Markenname lässt mich staunen. Sind wirklich sonst keine guten Domains mehr frei :-)
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