Echter Rauch ist besser als doofes Internet

Deutschlands Außenwerbungsflächen werden gerade für eine groß angelegte Kampagne zum Lob des Echten, Wahren und Schönen genutzt. Und das findet sich – daran lassen die unterschiedlichen Motive keinen Zweifel – ausschließlich im Analogen. Es handelt sich um Anzeigen, die darauf hinweisen, dass in diesem modernen „Facebook“ auch das Wort „Buch“ (Facebook) steckt oder in dem englischen „Wireless“ auch das verbindende deutsche „Wir“ (Wireless). Ausgedrückt wird dies durch eine schöne Spielerei, die ich erst durchs Digitale (nämlich in Blogs) kennelernte: die Durchstreichung. Wortteile werden durchgestrichen, sie sind so les- und auf schnellst mögliche Art auf eine zweite Ebene übertragbar. Wenn man bei der Freundeszahl 364 die ersten zwei Ziffern streicht, wird die Botschaft schnell klar: In einer Freundschaft zählt nicht die Anzahl, sondern die Intensität.

luckie4 Alle Motive der Kampagne, die ich bisher gesehen habe, funktionieren nach diesem Muster. Ein schönes Muster. Eine handwerklich gut gemachte Kampagne. Dass ich sie hier erwähne, liegt an zwei Dingen: Zunächst halte ich Werbekampagnen grundsätzlich für einen guten Maßstab für gesellschaftliche Stimmungen. Wer etwas groß auf Plakate schreibt, muss sich sicher sein, damit nicht völlig am Zeitgeist oder dem Lebensgefühl seiner adressierten Konsumentenschar (vulgo: Zielgruppe) vorbeizureden. Zum zweiten – und das habe ich bisher unterschlagen – ist diese Kampagne allein deshalb erstaunlich, weil sie keineswegs von einem der klassischen Akteure des Online/Offline-Streits stammt: Es ist Zigarettenwerbung.

Es lohnt sich also, einen Moment innezuhalten und kurz über die Stimmung in dem Land nachzudenken, das man mit diesen Botschaften zuplakatieren kann. Es ist dies offenbar kein Land, in dem das Digitale besonders viel gilt; kein Land, in dem man große Netzwerke schätzt – weder in der persönlichen Verbindung (vier sind besser als 364) noch institutionell (Buch ist besser als Facebook). Es ist dies vielmehr ein Land, in dem man im Jahr 2014 das Fehlen einer stabilen WLAN-Verbindung als Wert herausstellen kann; ein Land, in dem man eine ganze Kampagne auf dem Gegensatz von On- und Offline aufbauen kann. Mit dem eindeutigen Lob für Offline – als Ausdruck des Guten, Wahren und Schönen.

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Das Echte ist auf diesen Plakaten nicht nur zum Teil des Absenders geworden, es ist vor allem all das, was nichts mit dem Modernen, Neuen, Digitalen zu tun hat. Das Echte soll vielmehr allein das sein, was man schon kennt, was schon früher da war, als man noch überall rauchen durfte, und überhaupt alles besser war. Den Machern der Kampagne ist es geglückt, einen Zeitgeist einzufangen und zu bedienen, der konservativ und zukunftsskeptisch ist. Und sie sind sich seiner Strahlkraft in alle Bereiche der Gesellschaft so sicher, dass sie ihn laut ins Land rausrufen. Sie erreichen damit sowohl die Zukunftsskeptiker älterer Generationen als auch die Jungen, denen eingeredet wird, es sei besser mal wieder ein gutes Buch zu lesen als auf Facebook zu sein. Ich kann nicht letztgültig entscheiden, was besser ist, aber spätestens wenn eine Zigarettenmarke sich an das Buch als Wertvermittler hängt, werde ich skeptisch.

Die Digital-Skepsis scheint in diesem Land plakattauglich zu sein. Sie ist so ausgeprägt, dass sie als Transportmittel für ganz andere Botschaften dient: Was überall mit Abschreckbildern von Raucherbeinen und Lungenkrebs bedacht wird, kann in diesem Land noch als Ausweis des Guten und Wahren gelten – wenn es mit dem Digitalen kontrastiert wird. Es sei besser mit drei Freunden am Strand zu rauchen, will das Plakat mir erklären, als mit 361 anderen auf Facebook abzuhängen. Der mir bekannte Stand der Krebsforschung kommt zu anderen Ergebnissen, aber die treten zurück gegen das Grundgefühl, das die Kampagne bedient: Irgendwie ist das Digitale doch nicht ganz geheuer.

Wenn beim nächsten Mal irgendwer gegen die smarte neue Welt anschreibt, muss man sich das in Erinnerung rufen. Das Digital-Evangelistentum, das damit bekämpft werden soll, gibt es in Deutschland nicht nur fast gar nicht, es wird vor allem überlagert von einer Stimmung, die im Digitalen etwas Unwahres, Unschönes, Unechtes erkennt. Fast muss man der Kampagne dankbar sein, dass sie dies so offen zu Tage fördert. Aber nur fast.

14 Kommentare

Ich kann dir nur teilweise zustimmen. Sicher hast du damit recht, dass die Kampagne Technikskepsis etc. bedient, ich glaube aber nicht, daraus eine überwältigende Grundhaltung der Gesellschaft ablesen zu können (zumindest nicht in allen Generationen).

Denn machen wir uns mal nichts vor: Eine bestimmte Stoßrichtung von Zigarettenwerbung hat immer schon diesen Gedanken in den Vordergrund gerückt: Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Zwängen, von Stress und Hektik und Vorschriften. Ob du die alten „Test the West“-Plakate nimmst, wo sich sehr unterschiedliche Menschen über einer Zigarette versöhnen, „Liberté Toujours“ von Gauloises, wo Leute auf öffentlichen Plätzen in mediterranen Ländern einfach mal ausspannen oder noch klassischer: „Come to Marlboro Country“, wo Männer noch Männer sind und am Lagerfeuer rauchen und Kaffee aus verbeulten Zinkkannen trinken.

Ich glaube eher, dass es dabei um Genuss geht. Genuss bedeutet immer: „reiner“ Genuss, ohne Hilfsmittel. Ein Urgefühl, in der Natur, ohne Zivilisation. Funktioniert auch bei Alkoholwerbung immer wieder gut (Beck’s Schiff, Campari Feeling). Also eher weniger eine Digitalisierungs-Kritik, als eine Zivilisationskritik.

Das Problem ist wohl eher die Tatsache, dass es Menschen gibt, die denken Facebook istein guter Platzhalter für „online“ und Werbung gibt sinnvolle Empfehlungen anstatt emotionale Schwächen auszunutzen.
O_o

Was transportiert denn das Plakat? Eine Antihaltung? Oder vielmehr das schöne Gefühl einer Auszeit (mit Zigarette), fern von Schnelllebigkeit und Arbeit? Für letzteres ist das Internet zum Synonym geworden, gerade WEIL es breite Akzeptanz erfährt und intensiv genutzt wird.

Die Plakate sind nichts anderes als eine Adaption des „Endlich ich!“-Motivs von Jever, die die Generation Y adressieren – denn die raucht immer weniger.

Deine Kritik schießt IMHO völlig am Ziel vorbei.

Liebe Grüße
Thilo

Aber das Sentiment ist doch auch dem Digitalen nicht fern. Unzählige Photos auf Instagram belegen das. Insofern würde ich auch Alexander Matzkeit recht geben: Die 3 Freunde trifft man in der Pause / den Ferien / der Freizeit. Danach geht es wie gewohnt weiter.

Als pensionierter Passivraucher liegt es mir fern, in jedweder Form Pro-Tabak zu argumentieren. Aber darum geht es hier ja auch nur sekundär. Da hier ein von hoher Stelle mit dem Prädikat „handwerklich gut“ ausgezeichnetes Werk vorliegt möchte ich, auch in Vertretung für Teile meiner Generation, versuchen eine – zugeben – sehr abstrakte Lanze zu brechen: Zuerst einmal bin ich mir sicher, dass wir davon ausgehen können, dass die Werbetreibenden hier nicht vor hatten ein 365 Tage pro Jahr Kettenrauchen zu beschönigen. Genau so wenig werden die auf den Plakaten dargestellten Situationen (mit Freunden am Strand, in entspanntem Liegen ein Buch lesen, …) den Alltag eines Großteiles der Lucky Strike Zielgruppe darstellen. Es handelt sich also vielmehr um Pausen oder Momente zum Abschalten. Und eben diese Pausen und das „auch mal Offline gehen können“ werden doch im Augenblick im Zusammenhang mit dem sehr digitalen (Arbeits-)Alltag heftig diskutiert und propagiert. Wenn Lucky Strike jetzt versucht zu kommunizieren, dass zu eben diesem Abschalten auch eine Zigarette gehört ist das zwar aus onkologischer Sicht nicht ganz Einwandfrei, aber meiner Meinung nach noch kein allzu deutlicher Anlass sich vor wachsender Technikskepsis zu fürchten.

Sie machen ja selbst ein Thema auf, das gar nicht existiert. Die alte Leier von „Sind das wirklich alles Freunde auf Facebook?“ ist so blöd und so populistisch, dass es mich wundert, dass das immer noch 2014 Thema sein kann.

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