Dieter Gorny hat im Handelsblatt ein starkes Urheberrecht gefordert. Marcel Weiss hat ihm darauf geantwortet.
Ich bin an einem vermeintlichen Randaspekt in Gornys Text hängen geblieben. Denn neben der bereits bekannten Forderung, mit Macht und Moral den Menschen die Verwerflichkeit der Kopie nahezubringen (eine Alternative ist hier beschrieben), geht Gorny diesmal einen Schritt weiter: Er behauptet, dass nur weil jeder veröffentlichen und kreativ sein könne noch lange nicht jeder auch ein Künstler sei. Jedenfalls nicht in einem schützenswerten, professionellen, gesellschaftstreibenden Sinn:
Kunst kann nicht jeder, sie ist aber von großer Wichtigkeit für jeden. Wir sollten unterscheiden zwischen dem Bedürfnis, kreativ zu sein, und der professionellen Produktion von Kunst und Kultur, die die Gesellschaft treibt und mit der sie sich auseinandersetzt. Für diese Spitzenleistungen braucht es Freiraum, Respekt, Kapital, freiwillige arbeitsteilige Strukturen – und das Urheberrecht.
Warum wir diese Unterscheidung treffen sollten, sagt Dieter Gorny leider nicht. Und warum gesellschaftliche Bedeutung von Kunst sich einzig in professioneller Produktion begründet, erklärt er ebenso nicht. Dabei ist das ein zentraler Punkt in der Demokratisierung der Publikationsmittel: Sollten wir Unterscheidungen aufrecht erhalten, die in der vordigitalen Welt sinnvoll und notwendig waren, die in der digitalen Welt aber zunehmend verwaschen? Für die persönliche Einschätzung (nicht nur) eines Dieter Gorny ist womöglich stimmig, die Könnerschaft einzig mit dem professionellen Antrieb eines Künstlers zu verbinden. Für das Urheberrecht hingegen ist das nicht möglich. Das würde nämlich bedeuten, dass es nur noch für diejenigen gilt, die Werke schaffen, die sie dann auch gewerblich nutzen wollen und können. All diejenigen Werke würden dann durchs Raster fallen, die nicht in professioneller Absicht verfasst oder gemalt wurden. Vermutlich unbestritten schützenswerte Werke der Weltliteratur wie jene aus der Feder Franz Kafkas, die er nach seinem Tod vernichtet sehen wollte, wären damit auf der Amateurseite von Gornys Kategoriensystem anzusiedeln. Kafkas Schreiben wäre damit einzig als „Bedürfnis, kreativ zu sein“ zu deuten.
Das erscheint absurd, weil Franz Kafka heute im Kanon dessen angekommen ist, was wertvoll erscheint. Wie aber entsteht ein solcher Kanon? Durch klare Abgrenzungsmechnismen – wie man sie im heute veröffentlichten Offenen Brief einiger Drehbuchautoren nachlesen kann. Bei Gorny liest sich der Mechanismus so:
Aber Technologie macht aus sich selbst heraus nicht kreativ und schon gar keine Kunst. Stücke mit einem „Jedermannprogramm“ komponieren zu können bedeutet nicht, dass es mehr Hits gibt, „Yesterday“ ist mit der neuen Technologie nicht minder schwer zu schreiben als ohne.
Wieso Hits jetzt ausgerechnet für kulturellen Wert stehen sollen, ist fraglich. Leider ist auch nicht benannt, was Gorny mit Jedermannprogramm meint. Ich nehme an, es geht um die Gitarre. Ein Jedermann-Instrument, das öffentlich zugänglich ist und auf dem jeder Stümper rumzupfen darf. Schon immer. Zum Ärger der Nachbarn, aber ohne größeren gesellschaftlichen Schaden – jedenfalls im Vergleich zu einem System, das zwischen echten und falschen Künstlern unterscheidet. Ein solches bräuchte man, um Gornys Kategorie in Gesetzesform zu gießen. Man bräuchte eine Stelle, die bewertet, ob eine Kunstform wertvoll oder lediglich dem „Bedürfnis, kreativ zu sein“ geschuldet ist. Der Schaden, der sich daraus ergibt ist offensichtlich.
Es gibt Berufe, in denen diese Unterscheidungsstelle wichtig und richtig ist (Wer will schon von selbsternannten Ärzten aufgeschnitten werden?), aber es gibt eben auch Berufe, in denen diese Unterscheidungsstelle falsch und undemokratisch ist. Publizierende Berufe – oder wie Nick Bilton sie nennt: Storyteller – gehören dazu. Artikel 5 des Grundgesetzes beschreibt die schöne Theorie der freien Meinungsäußerung. In der anstrengenden Praxis muss das aber von einem gesetzlichen Standpunkt aus auch heißen: „Kunst kann jeder“. Völlig unabhängig davon, ob diese Kunst dann schön, wertvoll oder amateurhaft ist. Eine demokratische Gesellschaft und vor allem ein faires Urheberrecht sollten eine Geschmacksunterscheidung nicht zum Grundprinzip erheben.