FAZ über Nido

Hätten Spielplätze im Frankfurter Holzhausenviertel oder in Prenzlauer Berg – wo die „Nido“- Leserschaft wohnt – Türsteher, dann kämen derart gewandete Kinder da nicht rein. Gewiss, im Editorial klingt das weniger radikal: Man wolle sich um die „vielfältigen Interessen moderner Eltern“ kümmern, und zwar solcher, die „vielleicht nicht jede Nacht durchschlafen, aber noch Träume haben“.

In der FAZ schreibt Sandra Kegel unter dem Titel Ihr seid ganz schön gaga über Nido. Dummerweise scheint sie für ihre Thesen im Heft keine Belege zu finden, deshalb muss sich ein „gewiss, im Editorial klingt das weniger radikal“ einschieben.

Statt einer wirklichen Analyse des sich ändernden Elternbildes wenigstens zu versuchen, arbeitet der Text sich an den unterschwelligen Vorstellungen der Autorin ab, die mit der angenommenen Welt der ebenfalls imaginierten Nido-Leser nicht zusammen gehen wollen.

… deshalb gibt es als Literaturtipp auch nicht Anna Katharina Hahns lesenswerte Elterngroteske „Kürzere Tage“, sondern Hanna Lemkes Erzählband „Gesichertes“.

Skandal!

Interessant an dieser Beschreibung des neuen Elternmagazins ist zweierlei: Zum einen der Ansatzpunkt der Kritik (und die damit indirekt geäußerte eigene Warnehmung von richtiger Elternschaft) und zum zweiten das erkennbare Problem mit dem Konzept „Magazin“. Beispielhaft ist dies in dem folgenden Zitat zu fassen (das große I in „Ihre“ ist wie das große S in „Sie“ ein vermutlich bezeichnender FAZ-Tippfehler):

„Lebensgefühl-Journalismus“ nennen Ebert und Klotzek das Konzept, das sie bei „Neon“ erfolgreich umsetzen. Hier verlieren Sie Ihre panische Angst davor, zu verspießern und die hippen Freunde aus den Lofts zu verlieren. Denn, so lesen wir in „Nido“: Guter Sex geht auch, wenn man Kinder hat, und Achtung: Wenn man der Politik nur ein bisschen Beine macht, dann klappt’s auch mit dem Krippenplatz.

Bereits zur ersten Testnummer von Nido hatte der FAS-Autor Harald Staun über das neue Heft geschrieben. Die Geschichte trug den Untertitel: „Das Magazin „Nido“ will junge Eltern ernst nehmen – und macht alles noch schlimmer“. Der Text ist online nicht verfügbar. Staun hatte sich damals ebenfalls am Konzept des „Lebensgefühl-Journalismus“ abgearbeitet und war auf den – in seiner Plattheit selten erreichten – Schluß gekommen:

Mit kaum einer Lektüre jedenfalls ließe sich seine eigene Spießigkeit besser beweisen als mit der von „Nido“.

Mal angenommen diese Beobachtungen würden stimmen: Warum nutzen Kegel und Staun ihre Erkenntnis nicht zur Basis einer Analyse? Der Frage könnte man doch nachgehen: Was für eine Elternschaft muss das sein, für die solche Magazine gemacht werden? Und damit meine ich nicht den implizierten Spießigkeits-Vorwurf oder die Einschätzung, wann Sex gut ist, sondern die Frage: Warum gibt es Menschen, die sich eine derartige (für FAZ-Autoren offenbar unvorstellbare) Elternschaft zumindest zeigen lassen wollen? In welchen Kontexten leben die, mit welchen veränderten Ansprüchen und Zielen sind sie ausgestattet? Für all das liefert Nido eine herausragende Vorlage zur Medienkritik. Dass dies nicht genutzt wird, sondern stattdessen ein besserer Buchtipp empfohlen und Spießigkeit kritisiert wird, lässt ahnen: Das Konzept eines auf eine durch ein Lebensgefühl verbundende Magazin-Leserschaft bleibt unverstanden. Dabei würde genau darin eine Menge dessen stecken, was Publikation auch im Netz erfolgreich macht (siehe dazu den Eintrag Erfolgreiche Zeitungen verkaufen nicht nur Nachrichten).

7 Kommentare

Ich habe die Kritik in dem FAZ-Artikel auch nicht wirklich verstanden. Natürlich kann man die These aufstellen, Nido-Leser sind eigentlich „verkorkste Spießer“, die mit ihrer freiwillig oder unfreiwillig gefunden Elternrolle nicht zufrieden sind. Und vermutlich ist das sogar so. Aber wenn ich ein Magazin will, dass mir mein tatsächliches Leben zeigt und durch hilfreichen Nutzwert vielleicht ein wenig erträglicher macht, dann lese ich „Eltern“. Will ich aber meine Sehnsüchte und Wünsche gezeigt bekommen, lese ich Nido. Man hat dann zumindest ein besseres Gefühl. Das ist doch völlig okay!

„Nido“ ist „Neon“ für die etwas Älteren, die inzwischen Kinder haben. Ich fand „Neon“ immer ganz nett, aber mich störten oft diese klassischen Single-Themen: Wo saufe ich am besten? Welche Stellung braucht es? Was muß ich sagen, damit es im Bett endet? Wenn man diese Phase (zum Glück!) hinter sich hat – bei einigen mit 18, bei anderen erst mit 35 – und andere Prioritäten hat, als den nächsten Sex, Rausch oder wie man sich modisch anzieht (natürlich mit der damit verbundenen Hoffnung auf baldigen Sex und/oder Rausch), langweilt es etwa so sehr wie die Teeniegespräche in der Bahn über Liebe, Handy und Schule *gähn*.
„Nido“ ist nun nicht der heilige Gral der Elternzeitschriften, aber es hebt sich angenehm von der Masse ab. „Elter“ kann ich mir nicht ansehen, ohne vor Wut diverse Emails an die Redaktion zu tippeln, weil wieder mal eine recht isolierte Expertenmeinung zur gängigen Lehrmeinung erhoben wurde oder man für Abzockerfirmen PR macht und das Artikel nennt. Von der sehr esoterisch-ökologischen Schiene mal ganz ab, die Homöopathie als tatsächlich wirksam (nein, nicht wegen des Placeboeffekts, sondern wegen der „gespeicherten Information“…*facepalm*) und astrologische Daten als diagnostisch hilfreich befindet. Und wer hat schon Lust und Zeit, für eine dreistündige Autofahrt wenigstens acht Stunden damit zu verbringen, die „lustigen Spiele“ für die Kinder vorzubereiten? Ich nicht. Also kommt mir nicht mit dem Mega-Ökospießer-Blatt…^^

Was nun genau an „Nido“ spießig ist, will sich mir ohnehin nicht erschließen. Für mich sind der Inbegriff von Spießigkeit die Bionade-Eltern, die haarklein auf die Ernährung ihrer Sprößlinge achten, nur Bio kaufen, an sechs von fünf Werktagen Englisch, Chinesisch, Klavier und Yoga eingeplant haben und ganz politisch-korrekte Meinungen zu aktuellen Theman haben. Nur nicht anecken! Das sind eher die Typen, die „Eltern“ lesen, wobei man Überschneidungen nicht ausschließen kann^^.

Die eine oder andere Anregung kann man mitnehmen, über diesen und jeden Artikel schmunzeln, aber mehr ist aus einer Zeitschrift ohnehin nicht zu holen. Es muß eine gute Klolektüre sein. Fertig. Alles andere über Kinder lernt man on-the-fly, wenn man sie hat und man mit anderen Eltern abhängt. Denn jedes Kind ist anders und paßt in kein Raster. Und wer will schon eins dieser ekelig-klebrig grinsenden Cover-Kinder…..?

TT

Vielleicht mag es sein – dass NIDO vor allem das Lebensgefühl der Ersteltern auffängt, bestärkt, diskutiert … Spätestens nach dem zweiten Kind, fehlt ebendieser Mutter, die NIDO absprechen sollte, nämlich der, die sich nicht nur als Mama fühlen will, die Zeit. Sie füllt (bestenfalls) ihren dank Krippe/Kiga freien Horizont wieder mit freiberuflicher oder festangestellter Arbeit. Und wenn dann doch noch Zeit bleibt, dann liest sie doch lieber alles Fern-Der-Mutterrolle-Gedruckte – also sicher nicht NIDO …

„das große I in “Ihre” ist wie das große S in “Sie” ein vermutlich bezeichnender FAZ-Tippfehler“

im kontext gelesen, scheint es sich mir hier eher um eine direkte anrede and den imaginierten leser zu handeln — und ich habe mal gelernt, dass man die gross schreibt (wenn auch etliche druckerzeugnisse die grossschreibung von nicht nur „sie“ und „ih[re|nen]“ nach dem zufallsprinzip verteilen, in der hoffnung wenigstens 50% der fälle richtig zu haben — diejenigen, die am lautesten nach der befolgung von gross-/kleinschreibung schreien, sind idr die die am häufigsten nicht wissen, wo wann was kommt).

im übrigen ist mir ehrlich gesagt, die kritik am artikel unklar — sehr viel mehr drängt sich mir der eindruck auf, dass der verfasser unbedingt der frau kegel an den wagen fahren will und deshalb allerlei hineininterpretiert, um seine these zu belegen.

ich kenne das heft nicht und würde es vermutlich nicht kaufen (ich finde neo schon abschreckend, wenn ich es im regal sehe). hier aber drängt sich mir sehr die alte regel vom glashaus und den steinen auf …

@unklar: Warum sollte die FAZ mitten im Text anfangen, den Leser direkt anzusprechen? Das erscheint mir unlogisch.

Die Autorin des FAZ-Textes ist mir unbekannt und im besten Sinn des Wortes auch egal. Was mir nicht egal ist: Wenn ein Produkt auf einer merkwürdigen Grundlage kritisiert wird. Deshalb habe ich diesen Blog-Beitrag geschrieben.

Und zum Thema Glashaus und Steine: Vielleicht ist es besser, Hefte nicht vom Anschein im Regal zu beurteilen …

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