I doubt it, Hawk-Tuah-Girl, Youtuber-Maskottchen, knackiges 7:1 und Famous Birthdays (Netzkulturcharts Juni 2024)

Was geht online? Die Netzkulturcharts sind meine völlig subjektive Antwort auf diese Frage. Ich liste darin Phänomeme auf, die ich inspirierend, interessant oder bemerkenswert finde. Sie sind regelmäßiger Bestandteil meines Digitale Notizen-Newsletters.

Der Begriff „Netzkultur“ ist dabei bewusst offen und der zeitliche Bezug kann schlicht daran liegen, dass mir dieses Phänomen erst in dem Monat aufgefallen ist. Die Charts aus den Vormonaten stehen hier.

Mehr Netzkultur gibt es auch in dem Instagram-Account @kommemetare


Platz 1: Die Kinder-Rapper von Cork

Heidi, Mercy und Kada sind 9, 10 und 11 Jahre alt. Die drei haben mit einigen anderen Kinder an einem offiziellen Kreativitätstag in Irland teilgenommen (Cruinniú na nÓg 2024). Sie durften in ein echtes Musikstudio und ihre musikalischen Fähigkeiten testen – mit großem Erfolg. Denn alle drei wurden Anfang Juni in der New York Times interviewt. Denn das kleine Projekt aus Cork wurde zu einem web- und weltweiten Erfolg. Die NYTimes spricht sogar vom Song des Sommers. (Siehe Ohrwürmer weiter unten)

Platz 2: Hawk Tuah-Girl

Wir müssen ein paar Worte und Links zum Thema „Hawk Tuah“-Girl verlieren. Unter diesem Namen ist Hailey Welch webbekannt geworden (jemand malte sie in Öl), weil sie in einem Straßeninterview der Youtuber Tim & Dee TV eine nicht jugendfreie Passage ins Mikro brabbelte, die sie nicht nur über Nacht zur Meme-Vorlage machte, sondern fast zu einem Hollywood-Star. Emma Garland hat das Phänomen in ihrem Substack-Newsletter sehr gut beschrieben: „In jeder Freundesgruppe gibt es eine charismatische Möchtegern-Komikerin mit einem Spruch, der dein Gehirn mehrmals am Tag in die Umlaufbahn schickt, und sie ist diese Freundin“ Garland analysiert, weshalb ihr Auftritt solche Reaktionen hervorruft: „Der Grund, warum sich der Clip so verbreitet hat, ist ihr Aussehen und ihre Herkunft, denn letztendlich ist es das, was die Sozialkonservativen aufhorchen lässt. Wenn sie so eine Frau sehen, sehen sie eine von ihnen – ihre Schwester, ihre Nachbarin, was auch immer. Sie sehen eine Frau, die sie kennen, die über Sex spricht, und sie sehen, dass etwas nicht stimmt. Das ist der Grund, warum Joe Rogan der Sache Beachtung schenkt, warum Howard Stern sich einmischt und sie als „den schlimmsten Albtraum eines jeden Vaters“ bezeichnet und warum die Daily Mail darüber berichtet, als wäre es der verdammte Krieg in Afghanistan.

Das alles ist offenbar so aufregend, dass sogar ein deutscher Autovermieter auf den Zug aufgesprungen ist.

Platz 3: Marvin Wildhage als Albärt

Der YouTuber Marvin Wildhage hat sich als EM-Maskottchen verkleidet. Das alleine rechtfertigt noch keine Platzierung in den Netzkulturcharts. Aber Marvin hat all das öffentlich getan und sich dabei gefilmt – in einem EM-Stadion. ZDF-Logo erklärt das Phänomen so: „Bereits Monate vorher hatte der YouTuber das Ganze genauestens geplant: Er hatte sich ein teures Maskottchen-Kostüm besorgt und suuuuperviele Infos über das Sicherheitssystem in der Arena gesammelt. So schaffte er es unerkannt bis aufs Spielfeld.“

Platz 4: Das knackige 7:1 gegen Brasilien

Seit Jahren geistert ein Clip durchs Web, der einen jungen Mann zeigt, der vor dem WM-Halbfinale der deutschen Nationalmannschaft gegen Brasilien ein „knackiges 7:1 für uns“ vorhersagte. Mit seinem guten Gespür für netzaffine Themen hat der Weißlichtmilben-Pyramidensystem-Experte Levi Penell die Frage aufgeworfen: Wer ist dieser Typ eigentlich?

Eine richtige Antwort auf die Frage gibt es noch nicht. Aber in Münster wird dank Levis Frage ausführlich diskutiert, denn der junge Mann mit der Tiefkühlpizza kommt aus einem Supermarkt in Münster.

Platz 5: Famous Birthdays

Schon länger würde ich gerne ein paar Sätze über die Website „Famous Birthdays“ schreiben. Dabei handelt sich um den einzigen Ort im Web, der frühzeitig auch jene Akteur:innen vorstellt, die auf Tiktok Bekanntheit erlangen. Am Beispiel von Leah Halton habe ich dieses Phänomen hier unlängst beschrieben. Der Economist hat in diesem Monat nun ein Porträt über „Wikipedia für die Generation Z“ geschrieben – und Evan Britton vorgestellt, der die Seite startete um Geburtstage bekannter Personen zu sammeln. Dann stellte er aber fest, dass zahlreiche Suchanfragen ins Leere gingen: Also begann er, „diese Internetzahlen sowie andere „verpasste Suchen“ in die Website aufzunehmen. Infolgedessen änderte sich die Rolle der Website. Famous Birthdays wurde zu einer sich entwickelnden, reaktiven Karte der Menschen, die für die Generation Z wichtig sind.“


🎵 Ungebetene Ohrwürmer* des Monats (EM-Edition) 🎵

1️⃣ Nick Morgan: „No Scotland – no Party

2️⃣ Snollebollekes: „Links Rechts

3️⃣ Balkon-Ultra: „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“

4️⃣ David Scheid: „Presto“

5️⃣ Peter Schilling: „Völlig losgelöst“

Ohne Fußball-Bezug: Kabin Crew & RTE Kids „The Spark“

* in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ nutze ich Ohrwürmer als Metapher um die Wirkung von Memes zu beschreiben. Deshalb ist es nur konsequent, sie nicht nur metaphorisch, sondern eins-zu-eins zu nehmen.


Besondere Erwähnung

„Memes are a key component of our online communications — from boomers posting minions to gen alpha posting about toilets — and yet few companies have tried to do anything new“, schreibt TechCrunch und lässt den Gründer von MemeDepot prognostizieren: Meme-Tech werde ein großes Dinge. Schaun wir mal. Was wird.

Simon Lübke hat auf der republica die Arbeit der Forschungs-Gruppe Klima-Memes vorgestellt. Sein Vortrag steht hier auf YouTube.

Henrike Rampe hat für Zeit Campus Niko Thoms in Gera besucht. Das klingt langweiliger als der Satz gleichen Inhalts: In Zeit Campus steht ein Porträt über den Balkon-Ultra (Hintergrund Mai-Charts). Die Tiktokerin Emma Rose hat eine schöne Klavier-Version des Songs gemacht, der auch im Umfeld der EM-Stadien ausgiebig gesungen wurde. Wie übrigens auch bei Rock am Ring – den Leoniden sei dank.

Im EM-Studio des ZDF werden Meme-Witze gemacht.

Darüber habe ich ausführlicher geschrieben – in meinem Text „Die (Sekunden-)Aura von Memes“.


Mehr zum Thema Netzkultur gibt es in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ und im monatlichen Newsletter ,Digitale Notizen‘. Im Account @komMEMEtare poste ich zudem auf Instagram aktuelle Memes und Hintergründe.