Levi Penell, Leah Halton, Pedro, Urlaubs-Transition, Stitch, New Order (Netzkulturcharts April 2024)

Was geht online? Die Netzkulturcharts sind meine völlig subjektive Antwort auf diese Frage. Ich liste darin Phänomeme auf, die ich inspirierend, interessant oder bemerkenswert finde. Sie sind regelmäßiger Bestandteil meines Digitale Notizen-Newsletters.

Der Begriff „Netzkultur“ ist dabei bewusst offen und der zeitliche Bezug kann schlicht daran liegen, dass mir dieses Phänomen erst in dem Monat aufgefallen ist. Die Charts aus den Vormonaten stehen hier.

Mehr Netzkultur gibt es auch in dem Instagram-Account @kommemetare


Platz 1: Levi Penell

Jetzt hat er sogar einen Spiegel-Artikel: Levi Penell hat in den vergangenen Monaten nicht nur die Aufmerksamkeit der Hochformat-Welt auf sich gezogen, auch klassische Medien sind auf den 23-jährigen Studenten aus Berlin aufmerksam geworden. Denn Levi ist es gelungen, mit sehr unterschiedlichen Themen in den Timelines und Foryoupages junger Menschen aufzutauchen. Seine Clips, in denen er die Geschäftspraktiken von Netzwork-Marketingfirmen (Schneeballsystem!) bloßstellt, sind durch die tollpatschigen Reaktionen derer, die sich dadurch angegriffen fühlten, ein Musterbeispiel für Öffentlichkeit im digitalen Ökosystem. Auch die Erfindung der so genannten Weißlichtmilbe (kann nur entfernt werden, wenn man einmal im Monat die Zimmerdecke absaugt) ist eher eine Lehrstunde in Medienkompetenz als ein Aufmerksamkeits-Hack.

Der 23-Jährige nutzt die Hochformat-Videos so gekonnt und hat einen derart eingeprägsamen Sprach- und Filmstil, dass es durchaus naheliegend wäre hier El-Hotzo-Vergleiche zu ziehen.

Platz 2: Leah Halton

Während ich diese Zeilen tippe sind es 48 Millionen Likes, die unter dem Clip des australischen Model Leah Halton zu sehen ist. Die Frage „Wieviel Likes bekommt Leah Halton?“ ist also noch nicht final geklärt – und auch die Popularitäts-Geschichte der jungen Dame ist sicher noch nicht auserzählt. Immerhin hat sich in der vergangenen Woche jetzt auch die Daily Mail in ihrem Online-Angebot dem Thema „meiste Likes auf Tiktok“ gewidmet.

Davon unabhängig beweist der genutzte Sound aus dem Song „Praise Jah In The Moonlight“ starke Ohrwurm-Qualität (siehe unten)

Platz 3: Pedro, der im Kreis tanzende Waschbär

1980 veröffentlichte die italienische Sängerin und Schauspielerin Raffaella Carrà ihren Song „Pedro“. 44 Jahre später haben der Berliner DJ Jaxomy und Agatino Romero aus Hamburg eine EDM (Electronic Dance Music)-Version des Songs veröffentlicht, die beide auch ausführlich auf Tiktok promoten (schöner Clip, in dem Agatino Romero in der Deutschen Bahn sitzt und sich mit der Bildunterschrift „niemand weiß, dass du diesen Song gemacht hast“ filmt). Die allermeisten Menschen weltweit verbinden den Song aber gerade nicht mit der italienischen Sängerin Raffaella Carra oder mit den beiden Deutschen – er ist verbunden, mit einem Waschbären (Raccoon), der durch eine Fischauge-Linse gefilmt wird und sich im Kreis dreht.

Der Tiktok-Account fleksa30 hat jetzt sogar ein Video mit den Worten „Der Original-Pedro begrüßt euch“ hochgeladen. Darauf ist der Waschbär zu sehen, der seit ein paar Wochen gemeinsam mit dem 1980er-Jahre-Star Raffaella Carra zu einem der bekanntesten Memes des Moments geworden ist. Fleksa30s Video mit dem Fischaugen-Motiv stammt aus dem vergangenen Herbst und ist mittlerweile in allen erdenklichen Formen memefiziert worden. Die aktuell beliebteste Form: User filmen eine Situation, die mit dem Song unterlegt wird und genau im Moment des Refrains (Pedro, Pedro, Pedro) einen besonderen Twist bekommt.

Platz 4: Urlaubs-Transition mit Elvis

Anfang des Monats posteten Sue and Geoff, das ältere Tiktok-Ehepaar, den ersten Clip dieser Art: eine Szene am Flughafen, eine Person steht auf, steigt über die Kamera, Schnitt und im nächste Bild ist sie im Urlaub zu sehen. Unterlegt sind diese Clips mit dem Elvis Song „Burning Love“. Und sie bringen auch optisch ein schönes Retro-Gefühl. Denn sie beleben die alte Idee der Tiktok-Transition – also des Übergangs zwischen zwei unterschiedlichen Szenen. Hier von Anreise zu Zielort.

Mir persönlich gefällt diese Version der Skateboard-Legende Tony Hawk am besten. Dessen Zielort ist keine Urlaubsdestination, sondern eine Halfpipe, die er als „happy place“ beschreibt – und in der er nach der Transition landet.

Platz 5: Der New-Order-Kampf

Schon im vergangenen Jahr gab es in Brasilien ein Meme, das die Anfangssequenz von „Blue Monday“ von New Order nutzte. Jetzt hat sich der Song erneut in ein kleines Netzphänomen vorgekämpft – im Wortsinn. Denn zu dem Einstieg des Liedes sieht man stets zwei Menschen in einem angedeuteten Boxkampf „tanzen“. Meist durch object labeling beschriftet, kämpfen sie um zwei widerstreitende Positionen – boxen synchron zum Sound und wippen dann federnd hin und her.

Hier ein Beispiel


🎵 Ungebetene Ohrwürmer* des Monats 🎵

1️⃣ Royel Otis „Linger“ (Cover)

2️⃣ YG Marley „Praise Jah In The Moonlight“

3️⃣ Raffaella Carra, DJ Jaxomy, Agatino Romero: „Pedro“

4️⃣ Elvis Presley „Burning Love“

5️⃣ New Order „Blue Monday“

* in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ nutze ich Ohrwürmer als Metapher um die Wirkung von Memes zu beschreiben. Deshalb ist es nur konsequent, sie nicht nur metaphorisch, sondern eins-zu-eins zu nehmen.


Besondere Erwähnung

Von dem Phänomen des Stitchens (also der Videoreaktion auf Videos) war hier schon wiederholt die Rede. Besonders gut setzt – wie gesagt – der Tara-Louise Wittwer dies im Format Tiktok-Toxic ein. Seit ein paar Wochen gibt es aber auch eine humoristische Form der Tiktok-Replik, die ich für sehr erwähnenswert halte: Robert Lindemann und Peter Wittkamp stitchen männliche Quatsch-Videos und schaffen damit eine sehr humorvolle Einordnung der Dating-Ratgeber. Zum Einstieg empfehle ich dieses und dieses Videos von Robert und jenes und jenes von Peter.

Ich habe keine Ahnung, wie Musik-Marketing auf Tiktok funktioniert, aber ich weiß zu welchen Ergebnissen es führen sollte: Zu dem Hype, den ich seit ein paar Tagen in meiner Timeline um die Coverversion des Songs „Linger“ habe, die Royel Otis unlängst bei SiriusXM eingespielt hat (siehe Ohrwurm oben). Das Lied ist offiziell (noch) nicht veröffentlicht, man es kann es nur auf YouTube, Tiktok etc. anhören – was aber nicht schlechter sein muss, denn durch den Dauerschleife-Modus bei Tiktok entsteht eine schöne Wiederholung.

Der Mann mit Maske ist Philip Hitschler-Becker, CEO der Firma Hitschler und erster Vermarkter seiner Produkte in hochformatigen Videos (Tiktok und Reels). Er hat die Marke des Familien-Unternehmens nicht nur in hitschies umbenannt, sondern vertreibt sie auch in aller Welt – und begleitet seine Arbeit in Social-Media. Das ist durchaus bemerkenswert.

Das Funk-Netzwerk hat einen interessanten Nachrichten-Account für Netzkultur- und Tiktok-News: DailyTok bringt mir persönlich ein bisschen zu viel Promi-News ist aber ein bemerkenswerter Account.

Der Bundeskanzler ist auf Tiktok – und sein Team hat als USP für Olaf Scholz dessen schwarzen Aktentasche ausgewählt.

Die New York Times widmet sich in einem sehr ausführlichen Lesestück der Tiktok-Kultur – und die BBC zeigt, wie Menschen mit Hilfe von Tiktok lesen lernen (also erwachsene Menschen)

Wie barrierefrei sind eigentlich deutsche Fußballstadien? Tyll alias Nickfried macht einen Test – in den kommenden zwei Jahren will er alle 36 Bundesligastadien testen. Das kann man auf Instagram, Tiktok und YouTube verfolgen.


Mehr zum Thema Netzkultur gibt es in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ und im monatlichen Newsletter ,Digitale Notizen‘. Im Account @komMEMEtare poste ich zudem auf Instagram aktuelle Memes und Hintergründe.