Vermutete Mehrheitsmeinungen

Stefan Raab will eine politische Talkshow machen. Am späten Sonntag abend – in Konkurrenz zum ARD-Flagschiff „Günther Jauch“. Raab will dabei einen anderen Weg gehen als die ARD, die neben Jauch noch vier andere Talkshow-Moderatoren (mit gleichem Konzept) beschäftigt. Der Sender ProSieben und sein Moderator Raab wollen die Sendung mit einer kompetitiven Spielkomponente verbinden: Die Diskutanten – „drei Berufspolitiker, ein Promi und ein Normalbürger“ – wetteifern um die Gunst des Publikums und um 100.000 Euro Siegprämie. Es sollen vier unterschiedliche Themen je Sendung debattiert werden, die jeweils mit einer Abstimmung abgeschlossen werden. Die Diskutanten müssen somit Mehrheiten hinter sich vereinen. Wer die „Absolute Mehrheit“ (so der Sendungstitel) hinter sich vereint, gewinnt.

Laut kress.de hat sich ARD-Chefredakteur Thomas Baumann zu diesen Plänen geäußert. Thomas Baumann befürchtet, die ausgesetzte Geldprämie könnte die Vorstellung von Politik verändern:

„Es besteht die Gefahr, dass Diskutanten einer vermuteten Mehrheitsmeinung hinterherhecheln.“

Das sagt der Mann, der wenn ich das richtig sehe, verantwortlich ist für die Werbesendung Talkshow über das Buch „Digitale Demenz“ von Manfred Spitzer, die Jauch vergangenen Sonntag veranstaltete. Damals hatte man Nilz Bokelberg als Studiogast geladen, der aber nach reiflicher Überlegung absagte. Seine Position als Vertreter einer jungen Generation (aus ARD-Perspektive heißt das offebar „unter 50“) blieb so unbesetzt. Es diskutierten also vier Menschen über 50 die „vermeintliche Mehrheitsmeinung“, die da lautet: „Das Internet macht dumm.“

Es wäre mir egal, was Thomas Baumann zu Stefan Raab meint, wenn ich mich an dem genannten Abend nicht genau darüber geärgert hätte, wie – um es mit den Worten von Thomas Baumann zu sagen – „Diskutanten einer vermuteten Mehrheitsmeinung hinterherhecheln“.

Manfred Spitzer liefert den willkommenen Anlass, schwer benennbare und kaum begründbare Ängste der Bevölkerung noch zu schüren. Ich will die Inhalte dieser anstrengenden und wenig zielführenden Debatte hier nicht wiederholen (wer sich dafür interessiert findet in Christian Schiffers kleinen Geschichte des Kulturpessimismus und in Martin Lindners Zwischenbilanz zu Spitzers “Digitale Demenz” ausreichend Argumente). Ich will nur meinen Ärger darüber festhalten, dass nun plötzlich vor einer vermuteten Mehrheitsmeinung gewarnt wird, wo es allein beim Thema Internet nicht geglückt ist, eine vermutete Mindermeinung überhaupt nur abzubilden.

Anders formuliert: Wie traurig ist es eigentlich, dass die ARD sich jetzt von ProSieben zeigen lassen muss, wie man eine politische Talkshow anders gestalten kann? Für all diejenigen, die in unterschiedlichen Formaten versuchen, die ARD zu verjüngen, muss das sehr deprimierend sein. Allein weil sie – so scheint es nach diesen Meldungen – eine vermutete Mindermeinung in der ARD vertreten, gilt es, sie zu stärken.

2 Kommentare

Dass Jauch eine reine Ü50-Veranstaltung zu diesem Thema veranstaltet hat, hat mich auch geärgert. Dann habe ich über Twitter und Blogs erfahren, dass einige Netzexperten sich geweigert haben, mitzudiskutieren und dann das Niveau der Sendung nach der Melodie „Zum Glück bin ich nicht dabei“ kritisierten. Da kann ich nur sagen: Sehr schade, selbst schuld. Eine „digitale Stimme“ hätte der Show sehr gut getan.

Was das Thema Raab angeht: Ich glaube nicht, dass eine Sendung mit diesem Moderator, diesem Format und unter diesen Voraussetzungen politisch ernstzunehmen sein wird.

Wieso soll sich ein Netzexperte zu Jauch aufs Schaffott (schreibt man das so?) begeben, um von vier wahrlich digital dementen Gästen dort öffentlichkeitswirksam hingerichtet zu werden? Wenn man schon eine fruchtbare Diskussion zu einem Thema führen will, sollten die Lager ausgeglichen besetzt sein.

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