Wenn im Nachbarhaus jemand umbaut, geht mich das nichts an. Wenn der renovierende Hausbesitzer jedoch all seine Besitztümer vor die Tür setzt stellt und seinen Bauplan öffentlich aushängt, scheint er Interesse daran zu haben, dass sich Menschen eine Meinung über seine Pläne bilden, von denen ich sagen würde, dass sie sich als Unbeteiligte nicht zwingend äußern müssen.
Im Fall des Hamburger Verlagshauses Gruner&Jahr ist jetzt genau eine solche Situation eingetreten. Die Bauherren „Julia Jäkel, Stephan Schäfer und Oliver Radtke“ haben unter der URL transformation-guj.de einen Bauplan ausgehängt, der mich so nachhaltig verwirrt hat, dass ich mir zwei kleine Meinungen erlaube zu dem „Weg voller Abenteuer“, den sie ankündigen. Das Ziel dieses Weges, der mit den Adjektiven „lang“, „einzigartig in der Verlagsbranche“ sowie „schön und attraktiv“ geschmückt wird, lautet: „Wir transformieren G+J vom Zeitschriftenhaus zum Inhaltehaus.“ Denn man vertraut in Hamburg darauf, dass Inhalte auch in Zukunft einen Wert haben. Im Bauplan heißt das: „Wir sind sicher, dass es einen Markt für Quality Content gibt.“
Meinung eins: Wer hat denn diesen Text geschrieben? Man kann doch nicht von „Quality Content“ reden und dann solche Satzbrocken öffentlich aushängen. Absätze wie der folgende sind doch auch irgendwie „Content“, oder?
Unsere Inhalte müssen für unsere Leser und Nutzer hoch relevant sein. Sie müssen so gut sein, das (sic!) niemand mit Interesse für ein spezielles Themengebiet ohne unsere Inhalte auskommen kann. Wir müssen die Qualität unserer Produkte permanent erhöhen, auch und besonders im Zusammenspiel mit Nutzern und Lesern.
Der zitierte „Quality Content“ vermittelt sich doch vermutlich durch Sprache, warum ist dann niemand auf die Idee gekommen, diese zu prüfen? In einem Inhaltehaus sollte es doch jemanden geben, der sich mit Inhalten auskennt und nicht diesen Buchstabenbrei glaubt, der derart deprimierend weit davon entfernt ist, wie ich „Quality Content“ übersetzen würde, dass ich noch immer fassungslos vor dem öffentlichen Aushang vor dem fremden Haus stehe.
Meinung zwei: Warum eigentlich!? Neben dem sprachlichen Schaudern bleibe ich auch inhaltlich ratlos. In den merkwürdigen deutsch-englisch Sätzen stecken zwar zahlreiche Powerpoint-taugliche Schlagwörter, aber keine Antwort auf die Frage, warum man eigentlich davon überzeugt ist, dass Inhalte eine Zukunft haben. Denn wenn das so wäre, hätte man die Interessengemeinschaften, die man zum zentralen Prinzip erhebt und „Community of Interest“ nennt, doch auch „Community of Content“ nennen können. Wenn aber das Interesse das verbindende Element ist und nicht der Inhalt, drängt sich doch die Frage auf: Warum wird das Zeitschriftenhaus dann nicht eigentlich ein Interessenhaus oder zumindest ein Community-Haus? Die Aufmerksamkeit von Menschen zu bündeln, die ein gemeinsames Interesse eint, kann ja durchaus ein ehrenwertes Ziel für einen Verlag der Zukunft sein. In diesem Bündeln spielen Inhalte vermutlich eine Rolle, aber eben nicht (mehr) ausschließlich. Hinzu kämen Aspekte des Community-Buildings, des Gemeinschaft-Stiftens. Das ist jedoch etwas anderes als das Abwerfen von Inhalten über einer Leserschaft, das ist das gemeinsame Interessenteilen von Produzenten und Konsumenten.
Den Eindruck jedoch, dass das Inhaltehaus sich als als Bestandteil der jeweiligen Communitys versteht, vermeidet der öffentliche Aushang. Er behauptet unter dem Punkt „Grundpfeiler“: „Wir denken radikal in Inhalt. Das Medium ist sekundär. Wir agieren in Zukunft plattformneutral.“ Und nur einen Absatz später behauptet der gleiche Aushang: „Best in Print ist unser Anspruch, dem wir gerecht werden wollen.“ Und damit nicht genug: „Genauso wie wir Best in Print als Ziel haben, müssen wir auch Best in Digital sein.“
Dabei wäre, nimmt man die oben genannten Voraussetzungen ernst, der Ansatz doch weder best in print, noch best in digital zu sein das Ziel: Best in Content (oder vielleicht auch best in community) müsste doch die logische Zielsetzung lauten, die man im besten Fall auch auf deutsch sagen könnte.
Wie gesagt, mich geht das nichts an. Ich hatte nur irgendwie gehofft, dass ein Verlagshaus wie Gruner&Jahr, das auf der Website auch ankündigt, „in den kommenden Jahren mehrere hundert Millionen Euro in die Transformation“ zu investieren, ein wenig mehr für Logik und Text übrig gehabt hätte. Denn Auslöser dieses ganzen Prozesses ist die Veränderung der Digitalsisierung. Dass Verlage diese konstuktiv meistern, ist ein sehr tiefer Wunsch von mir. Eine Voraussetzung dafür scheint mir aber, dass man diese überhaupt erstmal versteht und in verständliche Worte fassen kann. Für die Powerpoint-Folie formuliert: Best in klarem Denken.
19 Kommentare
Egal wie genau ich den Text lese, ich verstehe irgendwie nicht was ihr damit sagen wollt. Könnte es einfach nur inhaltsleeres Geschwurbel sein?
Hätte man nicht auch einfach schreiben können: Wir wollen Personal und Geld einsparen und legen deswegen Redaktionen mit ähnlichen Themenfeldern zusammen?
Wer Produkte und Dienstleistungen an „Communities“ verkaufen will, bekommt irgendwann Probleme mit kritischen Inhalten aus dem eigenen Haus. Aber wie sich Jäkel entscheidet, wenn es heisst „Verkaufsbroschüre oder Journalismus“ ist ja hinlänglich bekannt.
Vielleicht liegt die Schwurbelsprache daran, dass keine Journalisten aus dem eigenen Haus zur Verfügung standen, weil die beim „Weg voller Abenteuer“ dann doch eher den „Weg in die Arbeitslosigkeit“ vor sich sehen. Und diese Journalisten braucht man eben für guten Inhalt und verständliche Sprache.
Was gab es denn bislang in den Zeitschriften dieses Hauses, wenn nicht Inhalte? Mir scheint auch, dass man sich hinter diesen Phrasen versteckt und möglicher Kritik ausweichen will. Dagegen hatte schon Karl Popper ein gutes Mittel: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.“
Zutreffend wäre wohl eher: Community of Fear.
Das „s“ hat G&J gekauft; wieviel berechnen Sie denen eigentlich fürs Lektorat?
»Wir denken radikal in Inhalt.«
Muss einem erstmal einfallen, so ein Satz.
Gut gebrüllt. Ich frage mich schon länger, ob die sog. Zeitungskrise nicht eigentlich eine Krise des Medienmanagements ist. Zwar sprießen ständig neue Studiengänge aus dem Boden, in denen die Medienmanager von morgen ausgebildet werden. Aber was leisten sie eigentlich? Sie wären es doch, die die ökonomischen Ressourcen schaffen müssten, damit Journalisten und Intellektuelle weitere ihre Arbeit machen und davon die Miete zahlen können. Aber genau das leisten sie nicht. Und das wundert niemanden, der in die inhaltsleere und geistlose Sprache der Powerpointpräsentationen und Denglisch-Unfälle eintaucht. Schade.
„der derart deprimierend weit davon entfernt“ – ja, was genau? Irgendwie fehlt da ein Verb, vermutlich ein „ist“. Unter anderen Bedingungen würde ich das übergehen, weil der Sinn auch so klar ist, aber wenn man sich schon über den Stil und die Sprache anderer Leute auslässt, sollte man selbst vielleicht auch etwas genauer korrekturlesen. (Das „zahlreichen“ in der zweiten Zeile von „Meinung zwei“ hat übrigens auch ein „n“ zuviel.)
Vielen Dank für die Hinweise auf die Tippfehler
Ich glaub ja, dass die ganzen neuen Studiengänge erst Beratersprech lehren und dann durch emsiges Netzwerken Professuren für neue Medien-Studiengänge generieren. Kann ich mir anders einfach nicht erklären.
Einen ham wa noch: „digitalsisieren“. Schönes Wochenende!
„der mit den Adjektiven “lang”, “einzigartig in der Verlagsbranche” sowie “schön und attraktiv” geschmückt wird,“
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Na, immerhin haben sie das Modeadjektiv „spannend“ nicht benutzt, das ist doch schon was positives.
Wenn Unternehmen nicht aus eigener Überzeugung ihre Geschäftsmodell ändern, sondern vom Markt dazu gezwungen werden, dann sieht das Ergebnis halt so aus: Defensives, unentschiedenes wischi-waschi, das es allen recht machen soll, dabei nach aussen fortschrittlich wirkt, dem Management aber nicht wehtut – und vor allem reichlich Interpretationsspielraum lässt, um jederzeit das Fähnchen in den Wind hängen zu können. Das Menschen für dieses Extrem-Bullshitting richtig gute Honorare kassieren, ist eigentlich das grösste Wunder.
Vermutlich hat man dafür ein Consulting-Unternehmen eingekauft, damit am Ende keiner Schuld hat.
„Vermutlich hat man dafür ein Consulting-Unternehmen eingekauft, […]“
Was wäre wenn die drei, Frau Jäkel, Herr Radtke und Herr Schäfer, diesen Text selber verfasst hätten :-)
Schön ist auch, das G&J zwischen Print und Digital unterscheidet, und damit den Eindruck vermittelt, dass bei denen die Printprodukte noch im Bleisatz an der Setzmaschine entstehen. Es sagt viel darüber aus, wie gut diese „Manager“ ihre Branche verstanden haben. Witzig ist auch, das alle großen Verlagshäuser mehr oder weniger klar formuliert „Best in Content“ werden wollen, aber in der Praxis das genaue Gegenteil tun. Ich sehne mich immer noch nach guten investigativem politischen Journalismus, aber ich finde ihn kaum. Und dann noch eher im Fernsehen, als in einer Zeitung. Dabei gibt es jede Menge Themen, wo es super spannend wäre, die wahren Hintergründe zu erfahren und es wäre auch nett, wenn eine gute Geschichte dann auch noch so geschrieben wäre, dass es möglichst viele Menschen verstehen, das Marketinggeschwurbel wirds jedenfalls nicht richtigen. Hat es aber auch vor 10 Jahren schon nicht.
Ich mein natürlich richten und nicht richtigen, jetzt vernebelt mit das Marketing-Sprech auch schon eine klare Ausdrucksweise ;-)
Ist „Digitalsisierung“ eine neue, mir unbekannte qualitative Steigerung?