Dialog mit dem Leser als Reputationsgewinn

Der renommierte Zeit-Reporter Wolfgang Uchatius hat der Branchenzeitschrift Journalist ein Interview gegeben. Darin gibt er Einblick in die Hintergründe seiner Arbeit und erläutert, welche Qualitätsmaßstäbe er an eine gute Reportage anlegt. Das Gespräch ist über die Branchen-Grenze hinaus interessant, weil Uchatius auch auf die Konsumenten seiner Arbeit zu sprechen kommt: die Leser. Uchatius sagt:

Die Leser können dann gerne diskutieren, und das finde ich auch gut, aber warum muss ich mich da einmischen?

Diese Frage zu stellen ist in der Branche durchaus nicht unüblich. Denn erst seit das auf Vernetzung basierende Medium Internet aus Rampen-Kommunikation eine Raum-Kommunikation gemacht hat, stellt sich dieses Thema in dieser Form. Erstaunlich ist Uchatius’ (vermutlich rhetorische) Frage aber genau aus diesem Grund: Denn ziemlich genau seit das Internet aus der Rampen-Kommunikation eine Raum-Kommunikation gemacht hat, stellt sich auch ein anderes Problem ziemlich dringend: Wie finanziert sich Journalismus klassischer Prägung in diesem neuen Umfeld?

Man kann diese beiden Debatten der digitalen Kommunikation leicht verschneiden und wird dabei feststellen: womöglich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Frage, wem Menschen Aufmerksamkeit, Vertrauen und Geld geben und der Frage, ob Journalisten mit ihren Lesern reden und auf deren Anmerkungen reagieren sollen. Das Blog von Stefan Niggemeier ist zum Beispiel nicht nur deshalb für viele Deutschlands bestes Medienblog, weil dort gute Inhalte stehen. Dieses Blog versammelt auch deshalb die Aufmerksamkeit vieler Menschen, weil Stefan Niggemeier sich die Mühe macht, seine Texte nicht einfach zu über den Lesern abzuwerfen oder loszulassen, sondern tatsächlich auf die Fragen und Anmerkungen seiner Leser zu reagieren. Auch deshalb finden sich in den Kommentaren in dem Blog Wortmeldungen wichtiger Medienmacher des Landes.

Uchatius konkretisiert seine Haltung im Folgenden. Er sagt:

Man muss auch mal loslassen können. Ich habe den Text ja unter anderen Bedingungen geschrieben als die Leser ihre Kommentare. Ich habe nachgedacht, ich hatte Zeit, das ist ja der Luxus, den wir hier bei der Zeit genießen. Das, was ich da geschrieben habe, ist das, was ich glaube, schreiben zu können, und wenn ich dem noch etwas hinzuzufügen hätte, hätte ich es geschrieben. Warum soll ich auf der Kommentarseite noch mal erläutern: Das habe ich so und so gemeint. Wenn der Leser anderer Meinung ist, dann muss ich das respektieren.

Erstaunlich daran finde ich zwei Aspekte: Zum einen schließt eine solche Haltung aus, dass ein Autor nach Veröffentlichung eines Texte schlauer werden kann. Hätte er noch etwas hinzufügen wollen, hätte er das getan – sagt Uchatius und erhebt damit die Beschränkung des Publikationsmediums Papier zu einer Art Qualitätsmerkmal. In den Jahrhunderten, in denen auf dem nach Veröffentlichung nicht veränderbaren Medium Papier publiziert wurde, gab es keine Alternativen zu dieser Haltung. Egal ob man will oder nicht, auf Papier kann man nichts mehr hinzufügen. In den Jahren, in denen wir die verflüssigten Publikationsformen des Digitalen kennen, kennen wir auch Alternativen: Inhalte sind nach Veröffentlichung veränderbar. Stefan Niggemeier hat gerade darauf hingewiesen, dass dies oftmals auch verbesserbar heißen kann. Ich glaube – deshalb habe ich ein Buch über die Verflüssigung von Inhalten geschrieben – dass es auch erweiterbar heißen kann. Digitales Publizieren ist eben nicht, wie Uchatius sagt, fertig und abgeschlossen. Im Gegenteil: Es beginnt mit dem Moment der Veröffentlichung.

Der zweite Aspekt, der mich an der Haltung interessiert, ist die Tatsache, dass Uchatius seinen Text für sich sprechen lassen will. Er will ihn nicht im Anschluss erläutern oder erklären. Das erscheint in sich stimmig, wirft aber die Frage auf: Warum erläutert er seine Arbeit dann in einem Interview mit einem Branchenmagazin?

Die Antwort zeigt das zentrale Problem im Umgang mit Lesern im deutschen Journalismus: Ein Interview in einem Branchenmagazin bringt Reputation. Auf Leserkommentare zu reagieren, Nachfragen zu beantworten oder Missverständnisse auszuräumen ist hingegen mit keinem Reputationsgewinn verbunden. Man sieht in Deutschland immer wieder in erstaunte Kollegen-Gesichter, wenn man berichtet, dass es dem sicher nicht gelangweilten Guardian-Chef Alan Rusbridger nicht nur möglich war, nach den Snowden-Enthüllungen in den Leserkommentaren beim Guardian zu diskutieren, sondern sich sogar dem Frage-Mob den reddit-Nutzer zu einem Ask me Anything zu stellen. Rusbridger tut dies, weil es ihm Reputation bringt.

11 Kommentare

Lieber Dirk, ich stimme Dir in fast allem zu, aber nicht bei „Der zweite Aspekt, der mich an der Haltung interessiert, ist die Tatsache, dass Uchatius seinen Text für sich sprechen lassen will. Er will ihn nicht im Anschluss erläutern oder erklären. Das erscheint in sich stimmig, wirft aber die Frage auf: Warum erläutert er seine Arbeit dann in einem Interview mit einem Branchenmagazin?“ Denn ein Interview über seine Arbeit zu geben, ist etwas anderes / kann etwas anderes sein / ist in den meisten Fällen etwas anderes, als sich in einer Diskussion mit Kommentarschreibern über einen bestimmte Text auseinander zu setzen. Ich verstehe nur Uchatius Ausgangspunkt bereits nicht: Wenn Niggi oder andere in den Kommentaren mitdisukutieren, geht es ja fast nie um Stilfragen einer Reportage, sondern um Fakten, Einschätzungen, Ergänzungen. Warum Uchatius daran nicht ebenso Interesse haben sollte, bleibt sein Geheimnis (bzw. begründet er damit, dass sein Text „fertig“ ist, was ich ebenso absurd finde wie Du – als sei die Realität jemals fertig…). Ich fände es wahrscheinlich auch unerquicklich, mich mit Lesern darüber zu unterhalten, ob sie ein Bild oder eine Metapher stimmig finden oder nicht, aber dazu zwingt einen (ihn) ja niemand.

Ach, mir selbst geht ja leicht die Hutschnur hoch, wenn ich derart abgehobene Selbstauskünfte von Journalisten lese. Danke deshalb für den besonnenen Text. Erstaunlich ist ja nicht nur die Vorstellung, den eigenen Texten sei nichts mehr hinzuzufügen. Bezeichnend ist auch das Bild vom Leser/der Leserin, das sich in den Zitaten offenbart. Offenbar glaubt Wolfgang Uchatius nicht daran, dass unter seinen Leserinnen und Lesern auch solche sind, die sich die Zeit nehmen, Texte aufmerksam zu lesen, nachzudenken, Leser, die ihre Kommentare nicht einfach nur in die Tasten hauen. Unvorstellbar muss es dem privilegierten ZEIT-Autoren vorkommen, dass es sogar Leserinnen oder Leser geben könnte, die über bestimmte Themen vielleicht schon weitaus intensiver und länger nachgedacht, geforscht und diskutiert haben als er selbst. Fremd scheint ihm der Gedanke, dass sein eigener Text ein Bindeglied zu diesen Menschen werden könnte.
Schön, dass es auch bei der ZEIT – vielleicht bezeichnenderweise bei ZEIT-online – ganz andere Auffassungen zum Selbstverständnis von Journalisten gibt. Jochen Wegner hat zur Gruenwald Debatte zum Jahreswechsel ein Zitat gebracht, das mir sehr gefallen hat:
„Journalisten streben, behaupte ich, wie Wissenschaftler nach Erkenntnis, ja nach Wahrheit – im Bewusstsein, dass so viel romantischer Positivismus belächelt werden muss. Journalisten wissen, dass das nächste Gespräch, das nächste Dokument die Arbeitshypothese ihrer Recherche entkräften könnte. Journalisten arbeiten, frei nach Popper, mit Freude an der Falsifizierbarkeit ihrer Erkenntnisse und finden eine angemessene Darstellung für das, was sie zu wissen glauben und auch für das, was sie nicht wissen.“
http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2013-12/greenwald-journalismus-aktivismus-neutralitaet

Ich empfinde die implizierte Schlussfolgerung zu pauschal. Antworten auf Leserkommentare bringen in Großbritannien Reputation, in Deutschland nicht.
Der Charakter der Snowden-Leaks erklärt für mich eher Rusbridgers Engagement. Bei einer Geschichte, die bis vor ein paar Monaten noch als Verschwörungstheorie abgetan worden wäre, ist mehr Vertrauensarbeit auf allen Ebenen, auch beim Leser notwendig, um als wahr anerkannt zu werden. Ob bei den Britten tatsächlich mehr bezahlte Autoren re-kommentieren, kann ich allerdings nicht beurteilen.

Stimmig, ist falsch, das stimmt, Matthias! Was ich meinte: Ich würde eine innere Logik erkennen, wenn jemand sagt: Meine Texte stehen einzig für sich, ich rede nicht drüber. Diese Logik ist aber gebrochen, wenn man in einem Interview über die eigene Arbeit spricht.

Das finde ich eben das Besondere an dieser Haltung, Nicola! Das sagt jemand, der mit Leserkommentaren bei der Zeit zu tun hat. Dort haben Blau/Wegner bzw. Sebastian Horn und Juliane Leopold ja eh schon einen super Job gemacht …

Ich mag das Interview, weil es mir viel beibringt über die Reportage, wie er sie versteht und produziert.

Ich schließe mich Matthias in Teilen an: Das Interview hat mit den Leserkommentaren nicht so viel zu tun. Ich schließe mich aber auch Dirk an: Uchatius scheint nicht zu sehen, dass ein Einmischen einen Reputationsgewinn bringen kann, vielleicht interessiert ihn der aber auch schlichtweg nicht, weil ihm die Reputation als arrivierter ZEIT-Reporter reicht.

Vielleicht ist es aber auch so, dass für Uchatius die Reportage als relativ subjektive Darstellungsform auch weniger auf den Leseraustausch „angewiesen“ ist, als es Meinungsäußerungen oder investigative Recherchen sind, wo neue Fakten eine Geschichte stark ändern können. „Was geschehen ist, ist geschehen, da muss ich nicht drüber disktuieren“, so scheint die Haltung zu sein. Dass ich es trotzdem besser finde, wenn Journalisten sich öffnen, muss ich glaub ich hier nicht mehr groß dazu sagen.

Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass es auch stimmt, was Uchatius sagt. Gerade bei kontroversen Diskussionen beobachte ich, dass es wenig Bereitschaft gibt, sich auf die Argumente der Gegenseite einzulassen, auch werden Geschichte (oder Filme) gar nicht ganz gesehen, bevor losgeschimpft wird. Hier ein aktuelles Fallbeispiel von Klub Konkret:

https://www.facebook.com/ARD/posts/638104626248059

Der Thread strotzt vor fremdenfeinlichen Ressentiments gegen Flüchtlinge. Da zu diskutieren hat für mich wenig Sinn. Das kann aber auch daran liegen, dass das auf der ARD-Facebook-Seite passiert, die eher anonym ist und wenig persönlich. Aber ich glaube nicht, dass die dort Kommentierenden die Sendung überhaupt gesehen haben, denn keiner nimmt Bezug auf die Sendung. Wenn das das Einzige ist, was Menschen wie Uchatius von dieser Leser-Journalisten-Kommunikation mitkriegen und nie positive Erfahrungen gemacht haben, ist es schon eher nachvollziehbar, warum sie sich nicht engagieren.

Mein Eindruck ist: Je persönlicher ein Medium oder auch ein Journalist auftritt und je mehr er sich bemüht, auf die Gegenargumente einzugehen, desto eher kann ein fruchtbarer Dialog entstehen. Das ist aber Arbeit (und kostet auch echt Nerven), die derzeit auch noch nicht bezahlt wird. Man muss da Bock drauf haben. Und das hat nicht jeder. Ob sich das irgendwann negativ auswirkt auf die Glaubwürdigkeit von Medienmarken kann ich nicht abschätzen. Uchatius wird auf jeden nicht deswegen von Die Zeit gefeuert werden, weil er nicht auf die Leserkommentare reagiert.

Guten Tag!

Ich finde, das kann jeder halten, wie er will. Und auch dieses Verhalten ist offen.

Natürlich ist auch im Internet ein Artikel fertig. Ich verändere an unseren Texten nichts, außer manchmal Fehler, die korrigiert werden. Ausnahme: Es gibt eine Nachricht, die eben noch offen ist und durch zusätzliche Informationen, die sie „rund“ macht, ergänzt wird.

Wenn Leser Fragen haben, werden die beantwortet, wenn sie sich auf das Thema beziehen. Hinweise, die auch den Blick der jeweiligen Autoren erweitern können, nehme ich gerne an. Das erweitert unsere Möglichkeiten.

Ansonsten ist das Interiew interessant zu lesen. Das hier behandelte Thema finde ich gar nicht so aufregend. Vielleicht kann man das auch mit einem anderen Zitat, das mir gut gefallen hat, einordnen:

„Aber ich halte eh nichts davon, sich von formalen Kriterien einengen zu lassen. Ich habe noch nie ein Stück schlecht gefunden, weil ich gesagt habe: Da ist die Form nicht rein, die Form ist beschmutzt.“

Gruß
Hardy Prothmann

[…] Wie im Verhältnis Unternehmen und Kunden wird auch bei den klassischen Medien der offene Dialog mit der Netzöffentlichkeit relevanter. Einwegkommunikation und ignorante Taktstock-Akteure verlieren dabei an Bedeutung – was einige Journalisten immer noch nicht kapiert haben, wie Dirk von Gehlen treffend analysiert: Dialog mit dem Leser als Reputationsgewinn. […]

Dazu passt ein Interview von Butch Ward vom Poynter-Institut im journalist (1/14) mit der Community-Managerin und der Social-Media-Redakteurin der Financial Times online: Hier gibt es gute Erfahrungen mit Journalisten, die in den Kommentarspalten mit den Lesern interagieren. Besonders gute Kommentare werden sogar auf die Startseite gehoben – und erhöhen die Klickrate für die zugehörigen Artikel. Die Social-Media-Redakteurin sieht in der Interaktion mit Lesern eine Chance: „Ich denke, dass sich die Arbeitsweise im Journalismus verändert. In vielen Fällen können wir eine Menge von unseren Lesern lernen. Die sind ja zum Teil wirkliche Experten auf manchen Gebieten. Wir sollten mehr Vorschläge von Lesern aufgreifen und darüber berichten. Manche Journalisten haben schon bemerkt, dass ein kluger Kommentar unter einem ihrer Artikel der Ausgangspunkt für eine weitere Geschichte sein kann.“ http://www.journalist.de/ratgeber/handwerk-beruf/redaktionswerkstatt/wie-journalisten-onlinekommentare-aufwerten-koennen.html

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