Jochen Wegner hat einen klugen Text über die Rolle von Live-Medien in Zeiten der Angst geschrieben. Von vielen Seiten werde ich darauf hingewiesen. Und auch ich mag den Text (nicht nur, weil ich eh glaube, dass wir mehr über Livejournalismus reden sollten), aber eine Frage lässt mich seit der Lektüre nicht los und treibt mich dazu, ungefragt meine Meinung in die Welt zu tragen zu bloggen. Die Frage lautet: Was ist eigentlich Online-Journalismus?
Dabei geht es mir gar nicht um das Meta-Thema, das der Text behandelt (und über das ich womöglich auch noch was schreiben möchte), ich bleibe an dem Begriff Onlinejournalismus hängen. Schon im Vorspann suggeriert der Text, es gebe einen Unterschied zwischen Online- und irgendwie anderem Journalismus. Onlinejournalisten müssten, heißt es dort, „das sich überschlagende Weltgeschehen erklären – während es geschieht“. Das ist richtig, war es aber auch schon als es noch gar kein Online gab. Journalismus macht dies seit jeher: die Gegenwart beschreiben, einordnen und erklären – während sie geschieht. Neu ist also nicht der Anspruch an Journalismus, neu sind die Techniken und das Ökosystem, in dem dies heute geschehen kann und muss – für alle Journalistinnen und Journalisten.
Das journalistische Tätigkeitsfeld wird gerade enorm erweitert. Allerdings auf allen Kanälen. Nach der obigen Definition waren die beiden bekanntesten Online-Journalisten Freitagabend und Samstagnacht, die „das sich überschlagende Weltgeschehen“ erklärten, Claus Kleber und Thomas Roth. Sie taten das im Fernsehen, das irgendwie auch online ist. Wie alles heute online ist. Denn: Es gibt keinen Nicht-Onlinejournalismus mehr.
So zu tun, als könne man im Jahr 2016 noch zwischen Online- und anderem Journalismus unterscheiden, ist keine sprachliche Nebensache, sondern Ausdruck eines größeren gesellschaftlichen Missverständnisses. Es ist dies der Irrglaube, all das, was im Internet passiert, sei das Problem der „Online-Kollegen“. Dieses Missverständnis zeigt sich nicht nur im Journalismus, sondern zum Beispiel auch darin, dass man Nazikommentare auf Facebook zuvorderst für ein Problem von Facebook hält. Dabei sind diese Nazis, die dort an der Grenze des Legalen kommentieren, vermutlich auch ohne Internet und ohne Facebook Nazis. Das soll nicht heißen, dass Facebook sich aus der Pflicht stehlen kann. Es soll heißen, dass wir aufhören sollten, einen künstlichen Unterschied zwischen Online und Offline zu bedienen.
Das macht Jochens Text übrigens inhaltlich nicht schlechter und ich schreibe dies auch nicht als inhaltliche Kritik, sondern als Hinweis darauf wie groß der digitale Graben in diesem Land noch ist, wenn selbst so ein kluger Text noch mit diesem Unterschied hantiert.
4 Kommentare
Verstehe diese (Über-) Reaktion, weil „Online-Journalismus“ etwas Abwertendes, Trennendes haben könnte, oft genug wohl auch hat, gerade im Kampf um die beste Position auf Medien-Hühnerleiter.
Nüchtern betrachtet, ist es aber eher eine Spezifizierung. Oder der Versuch einer Präzisierung, weil das Journalistische doch ein arg weites Feld ist. Vielleicht ist es sogar ganz nützlich, mal wieder genauer festzulegen, wann man eigentlich von „Fernseh-Journalismus“, „Radio-Berichterstattung“, „Presse“ oder eben onlinebasierter Öffentlichkeit spricht. Dass es auch Gemeinsamkeiten (dann taugt Journalismus besser, als Oberbegriff) und Unschärfen gibt, ist doch hoffentlich klar. Aber Senisbilisieren kann da nicht schaden.
Für mich ist übrigens eher der Umkehrschluß – „Es gibt keinen Nicht-Onlinejournalismus mehr.“ – fragwürdig. Und nicht zutreffend. Dies geht in seiner totalitären Haltung ein bisschen in Richtung des Missbrauchs des Wortes „Ökosystem“ durch die Ökonomen, womit einer kommerziellen, artifiziellen und technischen Umgegebung rhetorisch die Weihe des Natürlichen gegeben werden soll.
Mir geht es um etwas viel Banaleres, das sich z.B. in der Frage ausdrückt: Ist Thomas Roth ein Fernsehjournalist oder ein Onlinejournalist? Mal abgesehen davon, dass diese Frage eigentlich nur noch Journalisten und Medienmenschen interessiert: Thomas Roth findet online statt, damit ist auch auch Online-Journalist. Und das wiederum bedeutet, dass Online-Journalismus eben keine taugliche Spezifizierung mehr ist.
Richtig: Kategorien können erstens verstauben und sind zweitens immer das Resultat von Bewertungen. Sie müssen sich also zum einen daran messen lassen, ob sie noch nützlich sind und zum anderen auf ihren ideologischen Hintergrund befragt werden. Ich bin sehr für diese Reflektion, teile aber Ihre Schlussfolgerungen nicht.
Am Beispiel Thomas Roth: Der Königsweg zu einer Antwort würde lauten: „Journalist“. Wenn es um eine genauere Kategorisierung ginge, werfen Sie die entscheidende Frage ja selbst auf: Wen interessiert es? Meines Erachten gibt es die Rolle „TV-Journalist“ durchaus noch, denn sie folgt einer eigenen Medienlogik, die man u. U. untersuchen will. Gleiches würde gelten, wenn Roth eine Radiosendung moderieren würde. Oder eine Multimedia-Story online stellen.
Verkürzt wäre es jedenfalls, nur auf den technischen Verbreitungsweg abzustellen. Die Hörfunkwelle NDR-Info übernimmt um 20 Uhr die Tagessschau. Wird dadurch alles Radio? (Online geht beides sowieso, was zu Definitions-Verrenkungen zweiter und dritter Ordnung führen könnte.)
Daher bleibe ich bei meiner Skepsis gegenüber Ihrem Satz: „Es gibt keinen Nicht-Onlinejournalismus mehr.“ Entkleidet man ihn der doppelten Negation, so bleibt: „Es gibt nur noch Onlinejournalismus.“
Natürlich verstehe ich den Hintergrund Ihres Posts – nämlich die latente Abwertung der „Onliner“ in traditionellen Medienbetrieben als einer Art IT-Abteilung mit angeschlossener Teaser-Text-Fabrikation.
Wenn wir aber differenzierende Begriffe kontextsensibel anwenden, sehe ich heutzutage eigentlich keine Problem mehr. Die Möglichkeit einer (Binnen-) Abgrenzung bedeutet noch nicht den Zwang zur umfassenden Ausgrenzung.
Online vernichtet die bisherigen journalistischen Darstellungsformen ja nicht, sondern integriert diese. So habe ich immer die positive Kraft des Medenwandels verstanden.
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