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Dieser Text ist Teil der Januar-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann – und der ab 2018 sich ein wenig ändert (z.B. mit dieser neuen Rubrik)
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Wie schafft man eigentlich eine inspirierende Arbeitsatomsphäre, in der Menschen auf neue Ideen kommen? In unterschiedlichen Gesprächen bin ich in den vergangenen Wochen auf diese Frage gestoßen. Und nach noch mehr unterschiedlichen Gesprächen muss ich sagen: Ich weiß es nicht.
Was ich aber weiß, ist dies: Man kann eine Menge tun, um zu verhindern, dass eine Lust am Neuen entsteht. Denn darum geht es im Kern, wenn Menschen auf der Suche nach Kreativität sind: um ein anderes Verhältnis zum Neuen. Kreativität heißt vor allem, das Bestehende anders zu sehen und dann auch herauszufordern. Das Bild vom Vuja-De, das als umgekehrtes Deja-Vu nicht Bekanntes im Fremden, sondern das Neue im Vertrauten entdeckt, ist ein Aspekt dessen, was die Fähigkeit zur Innovation Irritation ausmacht: eine Bereitschaft zum Gestalten, eine Lust an der Veränderung. Denn es gilt, was das in Wahrheit nur mittelgute Buch Change the status quo! Or become it in seinem Titel verspricht.
Wer das berühmte Einstein-Zitat („Kreativität ist Intelligenz, die Spaß hat“) in die Tat umsetzen will, kann vor allem dafür sorgen, dass Menschen Freude an ihrer Arbeit empfinden. Spaß ist ein entleertes Wort, es steht in diesem Zusammenhang aber für eine Art der Arbeit, die als erfüllend wahrgenommen wird. Das ist mindestens eine Vorstufe dessen ist, was Frithjof Bergmann als New Work beschreibt: also etwas zu tun, was man wirklich wirklich tun will.
Je länger man sich damit befasst, um so klarer ist: Die Aufgabe, ein kreatives Umfeld zu schaffen, ist riesig – und jedenfalls so groß, dass der einzelne überfordert ist. Dabei stimmt das nicht, denn jede und jeder kann sehr viel dafür tun, dass ein Umfeld entsteht, in dem eine offene Fehlerkultur gelebt wird, in dem man auch doofe Vorschläge machen darf und in dem gemeinsam gelacht wird. Das Mindeste, was jede/jeder beisteuern kann, ist, dass sie/er aufhört, Kreativität zu unterdrücken. Denn innovative Unternehmen zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie die kreativsten Köpfe beschäftigen, sondern vor allem dadurch, dass die weniger kreativen Köpfe, die Phase des Widerspruchs und Bewahrens überwinden.
Wie das gehen soll? Im Sinne von Paul Watzlawicks großer Anleitung zum Unglücklichsein habe ich versucht, zehn Ratschläge zu notieren, die bei strikter Befolgung sicher dazu führen, dass so schnell keiner mehr mit einer ungewöhnlichen Idee um die Ecke kommt. (Unsplash-Foto: Caleb Woods)
Anleitung zum Unkreativsein
1. Sei grundsätzlich einverstanden mit dem Status quo. So wie es ist, ist es doch okay, warum sollte man eigentlich was verändern?
2. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, etwas zu ändern, solltest du darauf achten, dass sich erstmal für die anderen etwas ändert. Außerdem muss durch die Veränderung sofort eine eindeutige Verbesserung sichtbar werden. Hier ist Druck und klassische Führung unerlässlich. Lass dich keinesfalls auf Experimente ein, bei denen nicht von Anfang an klar ist, was dabei herauskommt. Milestones sind unerlässlich, um den Wert von Ideen zu bewerten!
3. Orientier dich stets an dem, was du kennst. Hier bist du sicher, hier kannst du Dinge einschätzen. Dies sollte in jedem Fall die Grundlage dafür sein, Neues sehr kritisch zu beurteilen. Klar, den Satz „Das haben wir noch nie so gemacht“ würdest du nicht sagen. Aber denken darf man das ja wohl. Ist ja schließlich nicht alles schlecht, was hier seit Jahren gemacht wurde. Es ist sowieso schon als Entgegenkommen zu verstehen, dass man überhaupt darüber diskutiert und sich mit Kreativität befasst. Ging doch früher auch ohne all diesen Kram.
4. Stelle deinen Zweifel in den Vordergrund. Wenn dir jemand eine neue Idee präsentiert, darfst du auf keinen Fall loben, was dir gefällt, du musst zunächst erwähnen, was alles fehlt oder nicht stimmt. Überhaupt ist es unerlässlich, stets potenzielle Gefahren in aller Deutlichkeit zu betonen und unabsehbare Folgen ausführlich zu diskutieren. Lass auch ruhig einfließen, dass „du persönlich“ dir nicht vorstellen kannst, eine solche Dienstleistung in Anspruch zu nehmen oder ein solches Produkt zu nutzen. Auch Kinder von Freunden sind als ablehnende Referenzgröße stets willkommen („sind gar nicht mehr so oft auf Facebook“) – Marktforschung oder die absurde Vorstellung, eine Idee vielleicht in einem kleinen Kreis mal zu testen, solltest du als viel zu teuer ablehnen.
5. Versuche auf keinen Fall, die neue Idee durch eigene Impulse zu verbessern. Reagiere niemals mit „Und“, sondern immer mit „Aber“ wenn Du was Neues hörst. Eine gesunde „Wenn es sein muss“-Haltung wirkt im Kreativitätsprozess Wunder – hier ist besonders drauf zu achten, sie äußerst widerwillig vorzutragen und den Anwesenden stets ein Gefühl der Geringschätzung zu geben.
6. Begeisterung ist in jedem Fall zu vermeiden. Wer sich zu sehr in eine neue Idee reinsteigert, übersieht vielleicht wichtige, kritische Aspekte – und neigt zu Fehlern. Deshalb solltest du stets eine distanzierte Haltung bewahren: Das wirkt auch viel seriöser und unangreifbarer als diese Naivlinge, die immer neue Ideen haben. Die werden schon sehen, was sie davon haben. Denn Fehler müssen Fehler bleiben. Wer falsch liegt, muss dafür gerade stehen. Bei Fehlern muss es immer um persönliche Verantwortung gehen und um die Frage, wie so etwas überhaupt passieren konnten. Man sollte niemals darüber nachdenken, wie man sie in Zukunft vermeiden kann!
7. Lass dich keinesfalls von fremden Perspektiven verstören. Gerade branchenfremde Meinungen sind in jedem Fall fernzuhalten. Sie sorgen nur für sinnlose Irritation des bewährten Ablaufs. Irritationen kann man sich nur erlauben, wenn es gut läuft. In Zeiten des Drucks wirken sie auf eine Firma wie die berühmte Szene aus dem Wald: Ein Mann versucht mit einer stumpfen Säge, einen Baum zu fällen. Kommt eine Frau vorbei und rät, die Säge zu schärfen. Sagt der Mann: „Dafür habe ich jetzt keine Zeit.“ Verhalte dich stets wie dieser Mann, halte dich an deine Prioritäten und an die langfristigen Ziele!
8. Du solltest dich auch persönlich nicht vom Weg abbringen lassen. Ein voller, gut getakteter Terminkalender ist nicht nur Ausdruck von viel Arbeit (und Wichtigkeit), er bewahrt dich auch davor, ins Nachdenken zu kommen. Tagträumereien oder gar festgelegte Zeit zum Nachdenken (wie in der Zwei-Stunden-die-Woche-Regel) sollest du dir nicht gestatten.
9. Wenn neue Ideen konkret werden, musst du auf jeden Fall darauf drängen, dass Arbeitsgruppen eingesetzt werden. Es ist dringend zu vermeiden, diejenigen, die die Idee hatten, daran weiterarbeiten zu lassen. Sie brauchen jetzt Führung und Anleitung von bewährten Kräften. Nur sie kennen den Markt und wissen falsche Ansätze frühzeitig zu vermeiden. Außerdem lassen sich auf diese Weise Synergien schaffen – und Effizienz sollte in Fragen der Kreativität stets über allem stehen.
10. Gerade bei Neuem wird häufig der Fehler gemacht, nicht „alle mitzunehmen“. Dabei ist es unerlässlich, ganz zu Beginn möglichst viele Meinungen einzusammeln und einfließen zu lassen. Es braucht unbedingt eine breite Basis, die eingebunden ist. Wenn die Idee dadurch größer wird, ist das nicht von Nachteil. Im Zweifel lohnt es sich dann auch zu investieren. Denn nur wenn alle eingebunden sind, ist sicher gestellt, dass die Sache auch ein Erfolg wird. Integriere die neue Idee deshalb so schnell wie möglich in die bestehende Struktur. Als Faustregel gilt dabei das Prinzip der Wiedervereinigung: Perfekt ist die Mischung von Neuem und Bewährten wenn das Bewährte sich verhält wie Westdeutschland nach dem Mauerfall und das Neue aus der Haltung des ehemaligen Ostens argumentiert.
Auf den ersten Blick wirken diese Regeln sehr umfangreich. Aber keine Sorge: Mit ein wenig bösem Willen kann man sie ganz schnell in die Tat umsetzen!
als 11. punkt würde ich ergänzen: Und wenn du merkst, dass der Wandel unabwendbar ist, dann sage, was die vorgesetzten und mitarbeiter hören wollen, mache aber alles wie du es schon immer gemacht hast.
— philipp meier ? (@metamythos) 28. Januar 2018
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Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem man mir beim Denken zusehen kann.
In diesem Newsletter sind z.B. erschienen: „Newsletter über Newsletter“ (Dezember 2017), „Wir sind unbeugsam“ (Oktober 2017), „Unser Land – unsere Regeln“ (September 2017) „Selbstverpflichtung gegen den Terror“ (August 2017), „Freiheit zum Andersdenken“ (Juli 2017), „Was Medien vom Laufen lernen können“ (Mai 2017), „Fairer Teilen“ (März 2017) „Streiten lernen – für ein besseres Internet“ (Januar 2017), „Digitaler Heimat- und Brauchtumsverein“ (Oktober 2016), „Ein Dutzend Ideen für die Journalistenausbildung“ (September 2016) „Kulturpragmatismus“ (Juni 2016), „Denke kleiner“ (Februar 2016 ) „Social-Media-Gelassenheit“ (Januar 2016).
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