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Dieser Text ist Teil der September-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann.
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„Die Grundregel lautet: Der andere könnte recht haben. Demokratische Kultur kann man daran erkennen, dass man akzeptiert, dass es auch andere Lösungen gibt.“ Diese Einschätzung stammt vom Armin Nassehi. Er hat sie mir in mein Smartphone gesagt, als ich in diesem Monat in seinem Büro in der Münchner Konradstraße saß. Dort ist das Institut für Soziologie beheimatet und Nassehi ist dort Lehrstuhl-Inhaber. Zu dem Interview kam es im Rahmen der Aktion #deutschlandspricht, bei der sich in der vergangenen Woche sehr viele Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zum Austausch trafen. Mit Nassehi sprach ich darüber wie das geht: mit jemandem sprechen, die oder der vermeintlich falsch liegt.
Die besondere Herausforderung dabei: den Verdacht zulassen, dass auch Horst Seehofer recht haben könnte. Ich wähle das Beispiel des gerade nicht ausschließlich beliebten Noch-Vorsitzenden der CSU, weil ich annehme, dass einige Leser*innen dieses Newsletter das Verhalten Seehofers in den vergangenen Monaten nicht gerade unterstützenswert fanden. Mehr noch: Seine Haltung ist das Gegenteil dessen, was sie für richtig halten. Demokratische Kultur drückt sich, so Nassehi in dem Interview, nun aber auch darin aus, Seehofer nicht nur auszuhalten, sondern sogar zu überlegen, ob er nicht vielleicht recht haben könnte.
Das Gespräch mit Nassehi zu Deutschland spricht steht in einer Linie, die regelmäßige Leser*innen dieses Newsletters bereits kennen: Seit einer Weile schon beschäftigt mich die Frage, wie man richtig streitet. Unter anderem deshalb haben wir im vergangenen Jahr dieses Streit-Experiment bei der SZ gemacht und unter anderem deshalb haben wir jetzt sieben Regeln (am Ende des Interviews nachzulesen) formuliert, die beim Streiten helfen können. Denn ich glaube, die Veränderung der politischen Großwetterlage der vergangenen Monate verlangt genau das von uns: mehr demokratische Auseinandersetzung. Nur: Wie geht das?
Diese Frage stelle nicht nur ich – zum Beispiel im Interview mit Armin Nassehi. Bei der BBC gehen sie der Frage nach, der Amerikaner Arthur Brooks hat einen Podcast zu diesem Thema gemacht und die Kollegin Meredith Haaf hat ein ganzes Buch dazu geschrieben: Es heißt „Streit“ und ist gerade eben bei dtv erschienen. Ich habe Meredith einige Fragen zu dem Buch gestellt – und zu der Herausforderung besser zu streiten.
Dein Buch ist Lob aufs Streiten. Allerdings nicht in der konfrontativen „Jetzt lassen Sie mich mal ausreden“-Form in TV, sondern als Chance, sich selber und auch den Gesprächpartner besser kennenzulernen. Wie bist du auf die Idee zu dem Buch gekommen?
Die Idee entstand, als ich bei mir selbst feststellte, dass ich in Konflikten oft entweder ziemlich schnell ziemlich aggro wurde, oder mich vorschnell zurück zog. Das passte nicht dazu, dass ich Konfliktfähigkeit theoretisch sehr wichtig finde und an sich schon immer sehr gern über politische oder ethische Fragen diskutiert habe, auch härter. Und als ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass dieser Widerspruch eigentlich unsere Gesellschaft prägt: Als Bürger einer parlamentarischen Demokratie wissen wir, dass Konflikte nicht nur zum öffentlichen Leben gehören – unser System ist eigentlich der optimale Rahmen dafür, sie friedlich auszuhandeln. Aber statt das zu nutzen, geht öffentlicher Streit selten über Schlagabtausch hinaus; Familien schweigen sich lieber an, als unterschiedliche Meinungen zu Migration oder Angela Merkel auszutragen und in Büros wird eher gelästert, als dass man offen klärt, was nicht passt.
In dem Buch heißt es: „Den anderen auszuhalten ist eine Grundkompetenz, die man braucht, um Spaß am notwendigen Streit zu haben.“ Das klingt ganz toll, ist aber ordentlich schwer. Wie lernt man das?
Wer Glück hat, lernt das als Kind. Ein Kind das erfährt, dass es ausgehalten wird, auch wenn es was anderes sagt oder will als die Erwachsenen, das kann das im besten Fall später bei anderen auch. Viele wachsen aber etwas anders auf und denen kann ich nur empfehlen, sich das selbst immer wieder zu sagen, so lange bis man es selbst glaubt. Ich bin ich, du bist du. Das ist natürlich nicht leicht, denn wenig macht einem Menschen so viel Angst wie die Erkenntnis, dass sein Gegenüber etwas ganz anders sieht als er selbst, oder etwas ganz anderes will. Vor allem, wenn man sich nahe ist, also in einer Freundschaft etwa, oder wenn man unter eigenen Verbündeten Streit hat – sagen wir, unter Feministinnen, oder langjährigen Kollegen. Aber ich habe mir irgendwann angewöhnt, eine ganz andere Meinung erst mal als Bereicherung oder zumindest als Erweiterung meines Horizonts einzuordnen. Ich glaube mir das zwar ehrlich gesagt auch nicht immer selbst so ganz, aber man kann es ja versuchen.
Wenn wir über schlechten Streit z.B. im Internet sprechen, geht es immer um Bereiche, in denen Rahmen und Regelsetzungen fehlen. Du sagst, dass die wichtigsten Prämisse für einen guten Streit die Tatsache sein sollte, dass es etwas zu lösen gibt. Was meinst du damit?
Den Satz habe ich von Eva Jüsten, die in München das Konfliktmanagement im öffentlichen Raum leitet. Es geht da einfach um die Perspektive: Ein Streit ist nicht ein Zeichen dafür, dass man zu weit auseinander steht, sondern vermutlich eher dafür, dass man ein gemeinsames Problem hat. Man hat also etwas gemeinsam, man muss nur noch den Umgang damit finden, der für beide passt.
Mein Lieblingssatz in dem Buch lautet: „Liebe als Grundhaltung zur Menschheit hilft dabei, klüger zu streiten.“ Kannst du erklären, warum Liebe eine Rolle spielt?
Das klingt so ein bisschen christlich, obwohl ich das gar nicht bin. Aber es geht in die Richtung was ich oben meinte: Wenn man seine Mitmenschen erst einmal freundlich betrachtet, wenn man das was sie denken nicht als Bedrohung sondern als Erweiterung wahrnimmt, fühlt man sich weniger bedroht und wird damit automatisch geduldiger und zuversichtlicher, auch im Konflikt. Man streitet dann gut, wenn der andere einem etwas Wert ist. Damit wird dann aber auch klar, dass es mit Menschen, die andere abwerten nicht möglich ist, sinnvoll zu streiten. Wenn mich einer als blöde Kuh auf dem Radweg beschimpft oder mir eine Vergewaltigung wünscht oder mir wegen meiner Hautfarbe die Menschenwürde abspricht muss man sich nicht weiter auseinandersetzen.
Bevor ich Dich bitte, die sieben Ideen für einen guten Streit zu kommentieren, muss ich eine vielleicht private Frage stellen: Gibt es jemandem, mit dem Du genauso streiten kannst, wie du es im Buch beschreibst?
Ja. Das ist mein guter Freund Hannes. Den habe ich gefunden, als ich vor vielen Jahren in der jetzt.de-Redaktion ein Praktikum gemacht habe.
Jetzt zu den Ideen für einen guten Streit. Kannst Du sie bitte Punkt für Punkt kommentieren? Streit ist keine Ausnahmesituation, sondern normal!
Der Soziologe Georg Simmel hat Streit als eine Form der Vergesellschaftung beschrieben. Der Streit ist die Technik, die wir als Menschen haben, um einander auszuhalten, um uns abzugrenzen und über uns selbst klar zu werden. Das ist einer der Vorteile daran, ein Mensch zu sein: Wir haben Sprache und können uns Regeln geben. Bevor wir uns bekämpfen oder voreinander fliehen haben wir dieses Werkzeug, um uns auseinanderzusetzen.
Ich trenne Menschen und Meinungen. Das verhindert, dass ich persönlich oder beleidigend werde und es hilft mir, mich auf die Sache zu konzentrieren.
Das ist ja immer das Ideal, und ich finde es funktioniert, wenn man zum Beispiel unter Kollegen über Fachliches streitet. Oder unter Fans über Fußball. Oder unter Freunden über Bücher oder Serien. Politik und Persönlichkeit zu trennen finde ich schwieriger und tatsächlich halte ich es auch für legitim, wenn man eine Freundschaft mit jemandem aus politischen Gründen nicht mehr führen kann. Ich finde, politischer Streit darf auch persönlich werden – man sollte sich aber unter Freunden oder in der Familie bereit halten, danach wieder die Kurve zu bekommen. Grundsätzlich plädiere ich dafür, den Menschen anhand seiner Handlungen und seiner Art ernster zu nehmen, als anhand der ein oder anderen für mich unguten Meinung.
Meine Meinung ist super, ich kann aber aushalten, dass es andere Meinungen gibt. Ich muss nicht alle von meiner Meinung überzeugen.
Ich würde sagen: Meine Meinung ist nicht notwendigerweise super – es ist halt erstmal die, die ich habe. Super ist sie dann, wenn ich sie stützen und verteidigen kann und wenn ich sie mir tatsächlich gebildet habe – im Sinne von Bildung. Ein leichter Hauch des Selbstzweifels schadet gar nicht, wenn man sich gut streiten will. Wer möchte, dass andere ihre Meinung ändern, muss auch bereit sein, selber mal etwas anders zu denken.
Ich höre zu und versuche zu verstehen. Um wirklich diskutieren zu können, muss ich die Argumente der Gegenseite kennen.
Das Zuhören ist wirklich eine radikal unterschätzte Komponente des Streitens. Das kann sich jede*r vornehmen: Im Konflikt auch wirklich mal die Klappe zu halten und über das nachzudenken, was der andere sagt und warum er das tut.
Ich nehme mir vor, nicht alles überlebensgroß zu machen. Ich versuche, Probleme kleiner zu denken und konkrete Lösungen statt globaler Probleme zu diskutieren.
Mediatoren arbeiten ja auch so: Die lassen erstmal alles sagen und finden dann die drei konkreten Punkte, über die man sprechen und für die man eine Lösung finden kann. Große Grundsatzdebatten können ja auch super beflügelnd sein und Spaß machen. Aber in vielen Situationen ist es wichtiger, pragmatisch zu bleiben: Gerade wenn es um Chefs oder Kolleg*innen geht, oder um einen Konflikt mit den Geschwistern oder eben auch um irgendeine Riesen-Twitter-Diskussion. Runterbrechen ist immer gut.
Ich konzentriere mich auf das gemeinsame Warum und weniger auf das unterschiedliche Wie.
Das ist ein zentraler Punkt für die innere Einstellung, die beim Streit hilft, das ist in der Politik genauso wie in einer Beziehung. Natürlich wird der Konflikt vor allem um das Wie gehen, aber man fühlt sich viel sicherer, wenn man sich auf die Gemeinsamkeit konzentriert.
Egal wie schlimm es sich anfühlt: Ich vermeide Verachtung!
Das ist unheimlich wichtig, und zwar auch dann, wenn man selbst mit Verachtung konfrontiert ist. Bei jedem Streit sollte man sich bewusst sein, dass man dem anderen wieder begegnen kann oder will, und dafür braucht man Respekt und Achtung. Natürlich ist der Mangel an solchen Begegnungen gerade im Netz auch der Grund dafür, warum der Umgang oft so dermaßen nachlässig ist. Umso wichtiger ist es da, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass wir es hier immer noch mit Menschen zu tun haben, die an Tastaturen sitzen und nicht mit bösen Geistern, die im Äther verpuffen, wenn ich meinen Rechner zuklappe.
Zum Weiterlesen:
> Das Gespräch mit Armin Nassehi
> BBC: How To Disagree: A Beginner’s Guide to Having Better Arguments
> Das Experiment „Das ist Deine Meinung“ mit der Erkenntnis: Freiheit ist immer die Freiheit zum Andersdenken
> Der Podcast How To Disagree Better von Arthur Brooks
> Das Buch Streit! von Meredith Haaf
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Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem zum Thema Streit in den vergangenen Monaten bereits einige Texte erschienen sind: „Fünf Fitness-Übungen für Demokratie“ (Juli 2018), „Unser Land – unsere Regeln“ (September 2017), „Freiheit zum Andersdenken“ (Juli 2017), „Streiten lernen – für ein besseres Internet“ (Januar 2017)
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