Ich habe diese Woche etwas Neues gelernt: Unter den Menschen, die Robert Habeck mögen, gibt es erstaunlich viele, die Twitter und Facebook nicht mögen. Jedenfalls habe ich in den vergangenen Tage zahlreiche Leserbriefe von Menschen bekommen, die genau aus der genannten Präferenzlage heraus super finden, dass Habeck sich bei Twitter und Facebook abgemeldet hat. Denn sie selber verzichten ja schon immer auf diese Dienste, lassen sie mich wissen. Seine Entscheidung ist ihnen Bestätigung ihrer Ablehnung. Sie weckt die Hoffnung, dass es vielleicht doch eine Option ist, nicht mitzumachen. Dass Habeck weiterhin auf Instagram (aktiv?) ist, bemerken sie dabei nicht.
Sie kritisieren mich, weil ich Anfang der Woche bei der SZ kommentierte, dass Habecks Schritt persönlich vielleicht nachvollziehbar, politisch aber ein sehr falsches Zeichen ist.
Nun kann man völlig zurecht argumentieren, dass diese Entscheidung des Grünen-Chefs ohnehin schon zuviel Aufmerksamkeit bekommt und man sich doch endlich wieder relevanteren Themen zuwenden sollte. Doch das ist eine zweite Erkenntnis dieser Woche: Es gibt erstaunlich viele Menschen, bei denen diese Debatte rund um Social-Media etwas auslöst. Es gibt Gesprächsbedarf in diesem Land.
Diese allgemeine Aufmerksamkeit nutzte Schlecky Silberstein, der Habecks Schritt lobte und ein Twitter-Verbot für Abgeordnete forderte. Deutschlandfunk-Kultur verfiel auf diese Provokation und rief mich heute Mittag an, um den Vorschlag zu sprechen.
Das ist deshalb erwähnenswert, weil entweder die Musikredaktion oder ein sehr schlauer Algorithmus nach dem Gespräch einen Song spielt, der meiner Einschätzung nach das Problem perfekt auf den Punkt bringt: „Der Typ, der nicht übt“ von Niels Frevert handelt zwar inhaltlich nicht von Twitter oder Facebook. Der Titel fasst aber zusammen, was mich stört: dass Habeck nicht lernt und weitermacht, sondern ernsthaft glaubt, dass Löschen eine Lösung sein. Denn: „Es gibt an den sozialen Netzwerken Dinge zu kritisieren, die man auf politischer Ebene dringend angehen sollte“, habe ich heute Mittag im Gespräch mit Max Oppel geantwortet: „Die Frage, wie mit Hasskommentaren dort umgegangen wird. Die Frage, wie man reguliert, dass sie sich der Steuerpflicht entziehen, dass sie den Datenschutz unterwandern. Das sind wichtige politische Fragen. Die werden wir aber nicht lösen, indem wir sagen: „Sehr gut, Herr Habeck hat seinen Account gelöscht.“ Damit wird das Problem ja nicht gelöst. Damit suggeriert man, es gebe eine einfache Lösung für die sehr komplizierte Regulierung von Social-Media-Plattformen.“ (Symbolbild fürs Wegschauen: unsplash)
gerade im Kompressor bei @dlfkultur über Habecks Twitter-Abschied gesprochen – danach spielen sie "Der Typ, der nie übt" von Niels Frevert. Besser kann man meine Kritik an ihm https://t.co/9sbPAzqmwg nicht auf den musikalischen Punkt bringen ?
— Dirk von Gehlen (@dvg) 11. Januar 2019
Das Lied ist aber auch deshalb toll, weil es im vollständigen Titel in Klammern etwas ergänzt, was man auch zu dieser etwas länglichen Debatte ergänzen sollte
Worum es wirklich geht
Es geht darum, dass Social Media eine Herausforderung ist. Keiner hat gesagt, dass es leicht wird mit diesen vielen neuen Dingen. Aber ich glaube, wir müssen uns dem stellen und hinzulernen, wie man die neuen Medien gut nutzt. „Wir kommen nicht umhin“, schrieb ich Anfang der Woche, „uns den Problemen zu stellen – und den immer neuen Versuch zu unternehmen, sie zu lösen. Dabei werden Fehler passieren, wie sie Habeck passiert sind. Lösungen findet aber nur derjenige, der bereit ist, auch weiterhin Fehler zu machen. Diese Bereitschaft scheint Habeck verloren zu haben.“
Das ist deshalb schade, weil ich Ende der Woche gelesen habe, wer in Sachen Medienkompetenz offenbar besonderen Nachholbedarf hat: Nicht diese vermeintlich problematischen jungen Leute, sondern Menschen über 65 Jahre. Die Typen, die nie nicht mehr üben. Denn: „Nutzer im Alter von 65 Jahren oder älter teilen „fast sieben Mal mehr“ Artikel von Falschmeldungen verbreitenden Internetadressen als 18- bis 29-Jährige, wie aus einer Studie der Universitäten Princeton und New York hervorgeht“, schrieb der Faktenfinder der Tagesschau und ergänzte: „Die Autoren begründeten das Ergebnis mit der mangelnden digitalen Medienkompetenz älterer Menschen.“
Vielleicht ein ganz gutes Ergebnis der ganzen Debatte: Wir sollten allesamt mehr üben und bereit sein aus Fehlern zu lernen!