Fünf Gründe, sich gerade jetzt ernsthaft mit Memen zu befassen (Digitale Oktober-Notizen)

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Dieser Text ist Teil der Oktober-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann. Er bezieht sich auf das Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“, das gerade erschienen ist.
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Dieser Tage beginnt der Herbst. Die Blätter verfärben sich, es regnet häufiger und es wird kälter. Unter veränderten klimatischen Bedingungen verändern sich auch unsere Kleidungsgewohnheiten. Statt zu Shorts greift man künftig zu warmen Socken – und zum guten Buch (Herbst-Symbolbild: unsplash).

Auch auf die Gefahr hin zu platt zu werden: Das digitale Ökosystem verändert Bedingungen für Kommunikation. Ich habe das am Beispiel eines Schneeballs beschrieben, der bei steigender Temperatur seinen Aggregatzustand verändert und ich glaube es gilt auch für die Prinzipien der Aufmerksamkeit und denen ihn folgenden Grundbedingungen der (politischen) Auseinandersetzung im digitalen Diskurs.

Wer verstehen will, welche Kleidung Haltung in diesem Ökosystem angemessen ist und welche Folgen die sich ändernden klimatischen Bedingungen haben, kann sich bestimmte „Muster der digitalen Kommunikation“ anschauen. Diesen Untertitel hat der Wagenbach-Verlag meinem gerade in der Digitale Bildkulturen-Reihe veröffentlichen Band „Meme“ gegeben. Das Büchlein versucht zu beschreiben, was Meme sind, weshalb sie gesellschaftspolitische Bedeutung haben und welche Schlüsse man aus der Beschäftigung mit Memen ziehen kann. Darin steckt viel mehr als der (nicht zu unterschätzende) Spaß an Internetquatsch, darin steckt eine Möglichkeit, aktuelle politische Entwicklungen besser zu verstehen.

Deshalb hier fünf Gründe, warum es sich jetzt lohnt, sich mit Memen und den ihnen zugrunde liegenden Mustern digitaler Kommunikation zu befassen:

Meme zeigen, dass …

… Kommunikation ein Prozess ist.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendwer im seriösen Fernsehen bemerkt, dass Friedrich Küppersbusch seit einer Weile auf YouTube eine Art Fernsehen macht, die ich als zukunftsweisend und seriös bezeichnen würde. In dieser Woche hat er dort „Die Wahrheit über Shitstorms“ thematisiert – und zwar am Beispiel eines Mannes, der im vermeintlich seriösen ARD-Fernsehen so genannte Witze machen darf und dieses Prinzip Nuhr mit Hilfe von vermeintlich provokanten Thesen am Laufen hält. Auch der selbst geglaubte Kanzlerkandidat Friedrich Merz oder der selbst geglaubte Medienerfinder Gabor Steingart bedienen sich dieser Methode, die Internet-Trolle für sie seit Jahren erprobt haben. These raushauen und im folgenden Prozess auf die Empörung der Gegenseite hoffen. Klappt so lange wie man nicht begreift: Deine Empörung ist Teil des Spiels derjenigen, über die Du dich gerade aufregst.

… Aufmerksamkeit vor dem Inhalt steht.
Die schönste und provokanteste These bleibt so lange wirkungslos, wie sie niemand aufnimmt. Anders formuliert: Es werden nur diejenigen Inhalte memefiziert, die es überhaupt wert sind, mit Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Wer sich schon länger im digitalen Ökosystem bewegt, weiß, dass die Kopie und die Referenz (und sei es in Form des Widerspruchs) das wichtigste Ziel ist. Man kann diese Aufmerksamkeit nicht planen, aber man kann sie provozieren – und dabei die Reaktionen einkalkulieren. Die Troll-Forscherin Whitney Phillips sagt dazu: „Eine Hasskampagne, über die nicht berichtet wird, ist quasi fehlgeschlagen. Auch die Social-Media-Kommentare von denen, die die Attacken verurteilen, tragen zu mehr Aufmerksamkeit bei. Dann wird die Kampagne vielleicht zum Twitter-Trend – und dann berichten wieder mehr Medien darüber. Es ist ein Kreislauf.“ Es ist übrigens kein Zufall, dass auf Phillips‘ aktuellem Buch ein Shruggie auf dem Cover zu sehen ist ;-)

… vermeintliche Identität zu Polarisierung führt.
Sich zugehörig zu fühlen und sich damit von anderen abzugrenzen, kann als eines der Grundprinzipien von sozialen Medien gelesen werden. „Ich verstehe etwas, was du nicht verstehst“, ist zentraler Distinktions-Treiber für Internet-Memes. Diese Polarisierung basiert auf einer digitalen Vorstellung von Identität. Meme legen offen, wie diese Vorstellung mit Hilfe von auf Abgrenzung optimierten Inhalten gesteigert werden kann. Denn wenn es in einem Konflikt nicht mehr um einen Wettstreit von Meinungen geht, sondern um den Ausdruck der innersten und ureigensten Identität, dann ist ein Kompromiss nahezu unmöglich. Man kämpft nicht mehr um eine gemeinsame Lösung, sondern verteidigt das eigene Selbstbild. Meme zeigen, wie diese Polarisierung die Präferenzen verschiebt und die notwendige Trennung von Politik und Person auflöst. Dabei werden sie für einen Prozess genutzt den man – erinnert sich noch jemand an die Umweltsau – als Spektakelpolarisierung bezeichnen kann.

… Teilhabe demokratisiert wurde.
Meme gibt es nur im Plural. Weil Meme nicht von Gatekeepern oder ausgewählten Stimmen formuliert werden, sondern theoretisch von allen. Am Beispiel von Memen lässt sich zeigen, wie das theoretische Recht auf Publikationsfreiheit zu einer praktischen Herausforderung wurde. Am Beispiel von Memen lässt sich aber auch zeigen, dass darin ein wunderbarer Zauber liegt. Meme sind auch deshalb nicht prognostizierbar, weil sich in ihnen der Kontrollverlust des digitalen Ökosystems zeigt. Es wäre falsch, dies einzig zu beklagen. Hier liegt auch eine große Chance. Denn zum einen finden so Stimmen Gehör, die zuvor jahrzehntelang ungehört blieben. Zum zweiten entstehen auf diese Weise auch neue Formen der politischen Kritik, die die Möglichkeiten des digitalen Ökosystems auf neue Weise nutzen. Ich bin sehr froh, dass Sarah Coopers Trump-Kritik noch Erwähnung im Meme-Buch finden konnten, denn sie zeigt für auf erstaunliche Weise, wie Kritik auch unter den veränderten Aufmerksamkeitsbedingungen möglich ist.

… die offene Gesellschaft überlegen ist.
Meme sind nicht nur Symbol für sich veränderende Prozesse. Meme sind an sich auch Beweis dafür, dass das Internet als grenzüberschreitende Verbindung gewonnen hat. Zwar mag es auf der Anwendungs-Ebene gerade von Kräften genutzt werden, die auf Abgrenzung, Nationalismen und Hass setzen, aber in seiner Grundstruktur sind das Netz und der Netz-Humor, der sich in Memen ausdrückt, nur möglich, weil die Idee der offenen, vernetzten Gesellschaft überlegen ist. Ich beschreibe in dem Buch ausführlich, wie rechte Kräfte Pepe the Frog kaperten und in der „Der Alt-Right Komplex“ genannten Ausstellung kann man sehen, wie diese Bewegungen an Kraft gewinnen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass das Internet in seiner Grundinfrakstruktur nur möglich ist, wenn man die Ideen von Abgrenzung und Hass hinter sich lässt. Meme als Ausdruck eines verbindenen Humors machen nicht nur Freude, sie sind auch der Beweis dafür, dass das Zeitalter der Ausgrenzung vorbei sein sollte.

Das Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ ist diese Woche bei Wagenbach erschienen.

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Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen,
in dem ich mich immer wieder mit den Mustern digitaler Kommunikation befasse – zum Beispiel: „Die Nazis werden uns das Internet wegnehmen“ (März 2020), „Die Empörung der anderen“ (Februar 2020), „Freiheit zum Andersdenken“ (Juli 2017), „Streiten lernen – für ein besseres Internet“ (Januar 2017). Hier kann man ihn kostenlos abonnieren. Und hier kann man das genannte Meme-Buch bestellen.

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