Heidelberger Appell, Open-Access-Mißverständnisse und die Gratis-Kultur im Netz – es scheint an der Zeit, ein paar Bemerkungen zum Thema Gratis-Mentalität und Urheberrecht festzuhalten: Es begann mit dem so genannten Heidelberger Appell, in dem so renommierten Institutionen wie dem Wissenschaftsrat, der Leibniz-Gesellschaft und der DFG vorgeworfen wurde, „weitreichende Eingriffe in die Presse- und Publikationsfreiheit“ zu propagieren. Matthias Spielkamp hat sehr lesenswert festgehalten, warum dieser Appell an der Sache vorbeigeht (und welche persönlichen Intentionen dahinter zu stecken scheinen). Dennoch bleiben – wie Kathrin Passig sehr richtig fragt – mindestens zwei Fragen: Einerseits die Verwunderung, warum derart viele eigentlich kluge Menschen, diesen Appell dennoch unterzeichneten und andererseits die Frage, wo man eigentlich auf Papier eine entsprechende Einordnung der appellierenden Ahnungslosigkeit lesen konnte?
Auf Papier konnte man am Wochenende unter dem Titel Das wollt ihr nicht wirklich einen Text von Marek Lieberberg lesen, der darin (vermutlich aus Wut über das böse und gemeine Internet) ein paar Begriffe durcheinander wirft. Auch er nimmt Bezug auf den Heidelberger Appell und wettert gegen eine vermeintliche „Open Access-Ideologie“. Infobib rät daraufhin: „Herr Lieberberg, benutzen Sie doch bitte nur Begriffe, deren Bedeutung Sie kennen. Durch solch hanebüchenen Blödsinn verliert eine Zeitung insgesamt an Glaubwürdigkeit.“ Robin Meyer-Lucht ergänzt: „Um gleich noch alle im Netz zu beleidigen, die nicht eindeutig zur klassischen Kulturindustrie gehören, bezeichnet Lieberberg anschließend Blogger als ‚ÄúHeerscharen von Narzissen‚Äù (er meint natürlich Narzissten) und ‚ÄúWeb-Zombies‚Äù, die ‚Äúmit Intoleranz, Borniertheit und Vorurteilen eine Hausmeistershow mit ganz schneller Meinung‚Äù verbreiten.“
Zum dritten gibt es in der ORF-Futurezone heute ein Interview mit Geert Lovink, das dieser erstaunlicherweise bereits am Freitag auf seiner Website veröffentlicht hat. Darin schimpft dieser auf Creative Commons und versucht seine Kritik mit „ideologischen Gründen“ zu untermauern: „Der Punkt ist, dass Creative Commons von Leuten, die sich professionalisieren und mit ihrer Arbeit Geld verdienen wollen, nichts wissen will. Es geht in den kreativen Industrien auch um die Erschaffung von neuen Berufen. Creative Commons nimmt das nicht wahr, und das hat bestimmte ideologische Gründe.“ Dabei macht er eine gesichtslose „Programmiererklasse“ verantwortlich dafür, dass Inhalte im Netz frei sind.
Lovink glaubt nicht daran, dass man Inhalte im Netz technisch sichern könne. Er sieht aber doch Möglichkeiten, wie das Netz – trotz freier Inhalte – positive Ergebnisse hervorbringen kann:
Es geht mir keinesfalls um die Verteidigung der Unterhaltungsindustrie. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es dezentrale Modelle gibt, in denen die Leute, die etwas herstellen, dafür bezahlt werden. Wenn wir uns die Komplexität und die Genialität des Netzes ansehen und die Entwicklung, die das Netz in den vergangenen 20 Jahren genommen hat, halte ich es für machbar, dem einen wirtschaftlichen Faktor hinzuzufügen. Ich weiß aber auch, dass noch nicht viel in diese Richtung hinweist.
Lovink macht die Computerindustrie dafür verantwortlich, dass Diskussionen über solche neuen Modelle nicht geführt werden. Schaut man sich die Veröffentlichunen der letzten Tage an, muss man jedoch feststellen, dass offenbar auch die Urheber und Medien dabei keine besonders innovativen Ideen formulieren. In seinem lesenswerten Artikel gegen die Mär von der Generation kostenlos unterstreicht Marcel Weiss dies mit Blick auf einen anderen Umstand:
Journalisten, die nichts vom Internet oder ihrer eigenen Situation darin (oder ökonomischen Grundlagen allgemein) verstehen, beeinflussen den öffentlichen Diskurs, auf dessen Grundlage Politiker mit genauso wenig Sachverstand und unter zusätzlicher Bearbeitung von Lobbyisten eine immer weltfremdere, von der eigenen Bevölkerung entfernte Gesetzgebung betreiben. (…) Es erscheint kurzfristig einfacher, gegen die eigenen Kunden zu wettern und so laut zu lamentieren, dass man hofft, die Politiker mögen mit schärferen Gesetzen zu Hilfe kommen, damit alles so bleibt wie es ist .
Mit dieser Haltung werde, so Weiss, langfristig der (digitale) Graben noch vertieft. Deshalb kritisiert er die vorherrschende Form der Schuldzuweisung:
Statt darüber nachzudenken, warum die kostenpflichtigen Archive und Nachrichtenangebote aufgegeben wurden, statt darüber nachzudenken, was man anbieten kann, wofür Menschen bezahlen wollen , statt die neue Welt zu betrachten und zu schauen, wo man seinen Platz darin finden kann, wird eine diffuse Schuldzuweisung formuliert.
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