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Dieser Text ist Teil der Dezember-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann. Sie ist inspieriert von meiner Arbeit im Laufnewsletter Minutenmarathon für die SZ.
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Gute Produkte schaffen Veränderung. Als Konsument spüre ich während und nach der Nutzung einen Unterschied: eine gute Pizza schmeckt mir und macht mich satt. Dafür bin ich bereit zu bezahlen.
Journalismus, der nach neuen Geschäftsmodellen sucht, muss in dem Sinn zu einem guten Produkt werden. Er muss eine Veränderung bei seinen Nutzer:innen schaffen. Sie müssen sich nachher anders fühlen als vorher: informierter, erfrischter, schlauer. (Foto: unsplash)
Dieses beide Erkenntnisse stehen am Ende eines Jahres, das im deutschsprachigen Journalismus einen deutlichen Trend sichtbar gemacht hat: Digitales Bezahlen wird immer wichtiger. Alle relevanten Player im deutschsprachigen Journalismus (Disclaimer: Ja, auch mein Arbeitgeber) haben in den vergangenen Monaten ihre digitalen Abos inhaltlich erweitert und in der Masse ausgebaut. Neben der Frage nach der Zugänglichkeit und Usability der Angebote wird in dem Zug künftig ein Aspekt in den Mittelpunkt rücken, der bisher eher am Rand steht: die Frage nach den Inhalten. Wie muss Journalismus beschaffen sein, damit er einen Unterschied zwischen vorher und nachher schafft?
Die (über die reine Nachricht hinausgehende) Antwort, mit der die Branche bisher arbeitet, stammt von der New York Times und lautet: „Stories to help you understand the world – and make the most of it.“ Das ist die Unterzeile des Smarter Living Angebots aus New York, das man in Abwandlungen seit einigen Monaten auch in Hamburg, Berlin und München findet. Früher hätte man von Nutzwert gesprochen, heute geht es um Smarter Living-Ideen. Beides ist irgendwie richtig, aber dennoch nicht umfassend genug. Denn diese Form des Ratgeber- oder Beratungs-Journalismus, der in Fach-Interviews, Ich-Geschichten oder Produktlisten mithelfen will, den Alltag irgendwie besser zu gestaltet, ist nur ein Aspekt (meine eigenen Erfahrungen mit dem Thema können Sie übrigens im Minutenmarathon verfolgen). Ich würde mir darüberhinaus einen Journalismus wünschen, der nicht nur in Fragen der Wohnzimmergestaltung, Lebensführung oder des Liebeslebens hilft „most of it“ zu machen. Damit rücken die großen Medienmarken immer weiter in den Bereich der Fachtitel vor – und etablieren eine Beratungskraft für private Selbstoptimierung. Auf der Ebene dessen, was man Gesellschaft oder Politik nennt, bleibt aber die Frage, die ich eingangs gestellt habe: Wie muss politischer Journalismus beschaffen sein, damit er einen Unterschied zwischen vorher und nachher schafft?
Seit etwa zehn Jahren geistert ein Begriff durch die Branche, der immer wieder und immer noch für Diskussionen sorgt: Konstruktiver Journalismus hat es sich zur Aufgabe gemacht, Berichterstattung lösungsorientiert zu machen: „Konstruktiver Journalismus will zum Ausdruck bringen, wie Veränderung möglich ist, und hebt die Rolle hervor, die jedes Mitglied der Gesellschaft spielen kann, um sie zu fördern“, heißt es auf der Wikipedia-Seite und in dem Satz ist das gesamte Konfliktpotenzial angedeutet, das die Diskussionen über Konstruktiven Journalismus prägt. Ich will diese Diskussionen hier nicht wiederholen, weil sie selbst kaum mehr konstruktiv scheinen. Ich glaube, es braucht im Gegenteil einen Begriff, der weniger schönfärbend klingt und gleichzeitig das Potenzial hat, den Smarter Living-Ansatz auf den klassischer Weise als hart bezeichneten Journalismus zu übertragen.
Das ist wohlgemerkt ein politischer Kommentar im Jahr 2020 – und ein perfektes Symbol für die Veränderungen, die wir im (Politik-)Journalismus erleben. Die Psychologisierung der Berichterstattung rückt die Frage in den Mittelpunkt: Was macht es mit dir?
— Dirk von Gehlen (@dvg) November 4, 2020
Mein Vorschlag lautet: Journalismus, der langfristig digitale Bezahlmodelle begründen will, muss inspirierender Journalismus sein. Er muss nicht zwingend Nutzwert, aber stets Denkwert liefern: eine Idee, einen Gedanken oder Perspektivwechsel inspirieren. Er muss seinen Leser:innen das Gefühl geben, nachher mehr Möglichkeiten zu haben, mehr Dinge (und vielleicht auch Lösungen) zu sehen. Das kann durch konkrete Tipps geschehen, aber auch durch besondere sprachliche Formulierung oder neue Stimmen, die ein „So habe ich das noch gar nicht gesehen“ anstoßen. Journalismus auf diese Weise zu denken, schließt die Emotionen ein, die er bei seinen Leser:innen auslöst. Zum „Sagen, was ist“ kommt ein „Was macht das mit mir?“, das in guten Fällen sogar konkrete Handlungen beschreiben kann. Das schließt erstens die Reflektion des aktuellen Geschehens ein und führt zweitens zu der automatischen Frage, die man aus guten weil zielorientierten Meetings kennt: „Wie geht es weiter?“ Journalismus, der sich so positioniert, macht Inspiration zum Call-to-Action für gegenwärtigen Berichterstattung.
Im digitalen Marketing spricht man davon, dass Kontaktpunkte zu einem Aktionsaufruf führen sollen: Der CTA genannte Call to Action soll meist zu einem (Kauf-)Abschluss führen. Ich glaube, dass gegenwärtiger Journalismus einen Call to Inspiration braucht. Wer so denkt, kommt nicht umhin sich intensiver mit seiner Leser:innenschaft zu befassen: „Wen will ich erreichen?“ ist die Ausgangsfrage für jedes öffentliche Projekt. Journalismus bildet da keine Ausnahme. Im Gegenteil: Guter Journalismus muss darüberhinaus fragen „Wen will ich inspirieren?“ – und dann Wege und Worte finden, um diese Inspiration zu erzeugen, nachzuweisen und fortzuführen.
Deshalb endet auch dieser Text mit einem Inspirations-Aufruf: Schreiben Sie mir (Kontakt finden Sie, aber kein Bot, im Impressum) und sagen Sie mir, wo Sie inspirierenden Journalismus finden? Und wenn Sie mögen können Sie im zweiten Schritt auch ergänzen wie Sie das finden. Denn das Thema wird nicht nur die gesamte Branche in 2021 begleiten, auch mein Newsletter „Digitale Notizen“ wird künftig davon handeln. Den können Sie hier kostenfrei bestellen.