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Der Shruggie des Monats ist eine von meinem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“ inspirierte Rubrik meines monatlichen Newsletters (den man hier kostenlos bestellen kann). Darin beschreibe ich Personen, Ideen und Begebenheiten, die mir besonders passend zur Hauptfigur aus dem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“ erscheinen – dem ¯\_(ツ)_/¯.
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Was bedeutet es, wenn Sie sich ein Handtuch auf den Kopf legen und sich dabei filmen? Klar: Sie spielen eine Person mit langen Haaren.
Diese sehr einfache Form der Ausstattung findet in den vergangenen Monaten häufig in Rollenvideos im Internet Anwendung. Die Monate der Corona-Pandemie haben ein Genre im Netz begünstigt, das eine Person im schnellen Schnitt in zwei oder mehreren Rollen zeigt (im Bild Paulomuc im Junge-Mädchen-Dialog). Um die unterschiedlichen Rollen deutlich zu machen, braucht es Markierung, Beschriftung oder eben ein Handtuch auf dem Kopf. Zu sehen sind dann Dialoge in Form von nachgesprochenen oder nachgesungenen Sätzen („You want me baby“) – oder auch wirklich neue gespielte Szenen.
Vorreiter dieses Genres ist der YouTuber Varion, der „häufiger mit sich selbst spricht als ein exzentrischer Bauchredern in Corona-Quarantäne“, wie es Philipp Walulis zusammengefasst hat. Varion spielt kurze Sketche vor allem auf YouTube, in denen er alle Rollen mit sich selbst besetzt. Die Figuren tragen unterscheidbare Kleidung und Perücken und tauchen mittlerweile auch regelmäßig in den Clips auf.
Diese Form der Selbstdialog-Clips gab es schon vor der Pandemie, meiner Einschätzung nach stehen sie aber symbolhaft für die Selbstbeschäftigung in Lockdown-Zeiten. Ich konnte nicht ergründen, ob es für diese Form der Clips einen Genre-Begriff gibt, ich bin mir aber sicher: Sie stehen für ein besonderes visuelles Zeitgeist-Phänomen.
Das hat nicht nur mit dem eher offensichtlichen „Ich kann keine anderen Menschen treffen, ich spreche mit mir selbst“-Aspekt zu tun, sondern vor allem mit einer Funktion, die Tiktok „Duett“ nennt. Dabei handelt es sich um ein Interaktions-Instrument, das Reaktionen und Kontextbrüche mit bestehenden Clips erlaubt. Der Name bezieht sich auf den gemeinsamen Gesang eines Duetts, die Kreativität des Social-Web hat daraus aber sehr erstaunliche Crowd-Kollaborationen entstehen lassen.
Der Begriff „Duet-Chain“ ist sogar schon auf Know Your Meme gelandet. Tiktok-Userin Fran Johnson hatte einen mittlerweile auf ihrer Seite gelöschten Clip hochgeladen, in dem sie sich über das Phänomen beschwert, dass andere Nutzer:innen Duette ohne wirkliche Reaktion erstellen: „Can we stop dueting videos when we have absolutely nothing to add to them?“ wurde so zur Vorlage für zahlreiche Duett-Reaktionen, die den Ursprungsclip in neue Kontexte stellte.
the trolls of tiktok are on another level pic.twitter.com/amatziXeob
— Living Morganism 🌱 (@ok_girlfriend) November 20, 2020
Die deutschsprachige Variante dieses Phänomens läuft übrigens seit ein paar Tagen mit einem Ursprungsclip von Diademlori („die erste Influencerin Deutschlands, die einen Amazon Original Podcast veröffentlicht„) durch Tiktok – hier sieht man User, die auf die Ausgangsfrage: „Warum macht man ein Duett wenn man nicht darauf reagiert?“ mit Nicht-Reaktion reagieren – was durchaus als Referenz zur Duet-Chain von Fran Johnson verstanden werden kann.
Der Kontextbruch war schon immer der Haupttreiber für virale Phänomene im Web, bei den Duetten entstehen daraus erstaunliche neue Clips wie Anfang des Monats das Video von Marcus Diapola, das zur Vorlage für eine weitere Duett-Kette wurde.
Stop TikTok-ing. The peak has been reached. pic.twitter.com/wYZeORAz3M
— JLV (@jessicaverdi) May 10, 2021
Auch der Erfolg der Sea Shanties Anfang des Jahres wurde durch die Duett-Funktion begünstigt – wobei der gemeinsame Gesang tatsächlich eher an die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs erinnert.
In die Gruppe dieser Dialog-Clips zählen meiner Meinung nach zudem auch die Duette, die Matthias Renger auf seinem Tiktok- und Instagram-Kanal verbreitet. Er spielt darin einen PR-Berater, der in einen vermeintlichen Dialog mit Politiker:innen tritt. Die Videos imitieren die Duett-Funktion und erschaffen mit Hilfe des Kontextbruchs neue Gespräche, die durchaus als politische Kommentare gelesen werden können. So „spricht“ Rengers PR-Berater zum Beispiel im jüngsten Clip mit dem angeschlagenen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz zu dessen möglichen Falschaussagen und schaltet dann – Stichwort Duet-Chain – auch noch Jan Böhmermann dazu, der vergangene Woche ausführlich über die Situation in Österreich berichtet hatte.
Wie bei fast allen Zeitgeist-Phänomenen haben sich auch diese Dialog-Duett-Clips so unmerklich in unsere Aufmerksamkeit Timelines geschlichen, dass man gar nicht mehr sagen kann, wann genau das es anfing, dass wir Gespräch-Videos sahen. Gerade deshalb will ich es kurz festhalten, denn vor zwei Jahren hätte niemand verstanden, was das mit dem Handtuch auf dem Kopf eigentlich soll…
¯\_(ツ)_/¯
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Der Shruggie des Monats ist eine Rubrik aus meinem Newsletter (den man hier kostenlos bestellen kann). Der Shruggie ist die Hauptfigur aus meinem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“, in dem ich zehn Gründe für einen gelassenen Umgang mit dem Neuen versammle.
Gerade ist das Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ in der Reihe „Digitale Bildkulturen“ erschienen, in dem ich mich mit Bildern und ihrer Wirkung im Web befasse. Für Tiktok- und Meme-Fans gibt es hier im Blog noch ein paar interessante Texte: Ein Gespräch mit Metastar Philip über das Phänomen Tiktok, eine Einschätzung zum erfolgreichsten Tiktok aller Zeiten, Tiktok-Sounds als politische Kritik sowie mein Selbstversuch 24 Stunden auf Tiktok.
Auf tiktok-taktik.de versammle ich weitere spannende Links zum Thema – und empfehle den Newsletter von Marcus Bösch „Understanding Tiktok“.
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