Dieser Text ist Teil der Januar-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann.
Es beginnt mit mir. Überall.
Jedenfalls sehe ich seit der Adventszeit überall diese Plakate. Sie sind Teil der Kampagne „Es beginnt mit dir“ und werden bis Ende Januar überall in Deutschland und im Internet gezeigt – mit der Botschaft „Mitbestimmen, Anderen zuhören, Vor Ort was bewegen, Meinung statt Hass, Vielfalt leben, Menschenwürde achten, Füreinander einstehen – das alles beginnt mit dir“.
Das weiß ich von der Kampagnen-Website, die all diese Aspekte aufzählt und auch Video der Bundesgesellschaftsministerin Lisa Paus zeigt, die ebenfalls darauf hinweis: Es beginnt mir dir! „Transportiert wird diese Leitidee über aufmerksamkeitsstarke Nahaufnahmen verschiedener Menschen, kombiniert mit prägnanten Botschaften. Die sieben Motive der Kampagne sind ab sofort bis in den Januar hinein bundesweit auf Plakaten sowie im Internet sichtbar.“
Das ist schön. Das ist wichtig und doch macht es mich unzufrieden. Die Plakate zeigen Bilder von Menschen, aber nicht von den sieben genannten Aktivitäten. Die Plakate behaupten, berühren mich aber nicht.
Seit ich vor Weihnachten erstmals an diesen Motiven vorbeigefahren bin, beschäftigt mich die Frage: Wie hätte man diese ja sehr richtig gemeinte Kampagne besser machen können?
Ich glaube, ich habe eine Antwort gefunden. Eine grundlegende Tätigkeit, die so wichtig für die Demokratie ist, dass sie auf Plakaten beworben gehört. Bundesweit. Über Wochen und überall:
Ich spreche von der Änderung der eigenen Meinung.
Denn genau das ist doch der Kerngedanke von „Beginnt mit dir“: einen Aspekt zu zeigen, der mir ganz persönlich nahebringt, worin der Wert von Demokratie besteht. Meine Antwort darauf: Du darfst deine Meinung ändern! Das große Missverständnis der Meinungsfreiheit besteht darin, anzunehmen, das Äußern der eigenen Meinung sei Ausdruck einer freien Gesellschaft. Ich glaube, dass das nicht stimmt. Meinung äußern darf man auch in unterdrückenden Regimen – es muss dort halt die herrschende Meinung sein. Was freie Gesellschaften von repressiven unterscheidet, ist die Offenheit eine Änderung der Meinung zuzulassen, Fehler zu machen, Ansichten und Perspektiven zu wechseln.
Meinungsänderung ist aber nicht nur der Kern der Demokratie. Sie beginnt auch ganz konkret: bei mir! Ich habe das größte Privileg einer freien Gesellschaft: Ich darf meine Meinung ändern. Aber wann habe ich davon zuletzt Gebrauch gemacht? Viel zu selten! Und genau deshalb sollte die nächste Kampagne das Bundesprogramms „Demokratie Leben“ genau das in den Mittelpunkt stellen: die Meinungsänderung!
Ich stelle mir Menschen vor, die auf Plakaten Fehler eingestehen, bekennen, dass sie ihre Meinung geändert haben. Das sind prominente Menschen und solche, die nicht öffentlich bekannt sind. Sie alle erzählen ihre Geschichte. Sie alle berichten davon, dass sie ihre Meinung geändert haben!
P.S.: Wenn Sie im Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tätig sind, können Sie sich gerne bei mir melden. Ich möchte diese Idee gerne verschenken und in die Tat umsetzen!
Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem ich mich immer wieder mit dem Thema Streitkultur und Social Media befasse – zum Beispiel: Die Glut-Theorie der öffentlichen Debatte (Juni 2022), „Die Anderen anders sein lassen“ (Mai 2022), „Danke für Ihren Verstand“ (Januar 2022) „Ich mag Twitter“ (November 2021) „Ungerecht!“ (Januar 2021) „Die Meinungsmodenschau“ (November 2020), „Die Nazis werden uns das Internet wegnehmen“ (März 2020), „Die Empörung der anderen“ (Februar 2020), „Weniger Recht haben müssen“ (November 2018), „Fünf Fitness-Übungen für Demokratie“ (Juli 2018) „Freiheit zum Andersdenken“ (Juli 2017), „Streiten lernen – für ein besseres Internet“ (Januar 2017).