Was geht online? Die Netzkulturcharts sind meine völlig subjektive Antwort auf diese Frage. Ich liste darin Phänomeme auf, die ich inspirierend, interessant oder bemerkenswert finde. Sie sind regelmäßiger Bestandteil meines Digitale Notizen-Newsletters.
Der Begriff „Netzkultur“ ist dabei bewusst offen und der zeitliche Bezug kann schlicht daran liegen, dass mir dieses Phänomen erst in dem Monat aufgefallen ist. Die Charts aus den Vormonaten stehen hier.
Mehr Netzkultur gibt es auch in dem Instagram-Account @kommemetare
Platz 1: Coconut-Tree
Wow! Welche Veränderungen in nur einer Wochen passieren können – zumindest in der Wahrnehmung. Der Hype um Kamala Harris als potenzielle Präsidentschaftskandidatin der Demokraten im US-Wahlkampf wird durch zahlreiche Memes befeuert, die das Social-Team der Vizepräsidentin sehr geschickt und mit Blick auf ein junges, netzaffines Publikum orchestriert.
Ich erkenne hier einen deutlichen Hoffnungs-Schub – und empfehle den Zapp-Beitrag sowie das Deutschlandfunkkultur-Gespräch, in denen ich mich zum Phänomen Kamala Harris und die Netzkultur äußern durfte. Darüberhinaus sollte neben dem Bratsummer auf keinen Fall Chappell Roan vergessen werden, die schon ohne ihren Hit „Femininomenon“ (siehe Ohrwürmer) einen großen Text in der New York Times bekam.
Dass Lachen bei all dem eine große Rolle spielt, zeigt auch dieser Werbespot, der das Ziel verfolgt: Make America Laugh Again.
Platz 2: Der Überraschungs-Übergang
Die Hook ist entscheidend um deine Aufmerksamkeit im sozialen Hochformat-Web zu packen. Seit einigen Wochen hat sich dafür eine interessante Variante etabliert, die mit der Methode des Stitch arbeitet. Ich nenne sie den Überraschungs-Übergang. Besonders anschaulich zeigt der Tiktoker Sebastian diese Einstiegs-Option, in dem er Schnipsel anderer Clips nutzt. Hier z.B. mit Felix Lobrecht.
Der Informatik-Mentor nutzt diese Methode sehr ähnlich, um seine Videos dramaturgisch aufzubauen. Es gibt aber auch die Variante, wie sie beim ehemaligen Profi-Fußballer Peter Crouch zu beobachten ist: dabei werden zwei unterschiedliche Szene so zusammengeschnitten als gehörten sie zusammen.
Platz 3: Hawk Tua Girl
Der Hype geht weiter. Das Hawk Tua Girl (siehe Netzkulturcharts im Juni) bleibt weiterhin bestimmend im Netzkultur-Diskurs. Zwei wichtige Infos dazu aus dem Juli: Die beiden Youtuber, die den Originalclip gemacht haben, bestehen auf ihr Urheberrecht (berichtet die New York Times) und die DKMS hat meiner Einschätzung nach den besten Dreh aus dem Meme gemacht: eine tolle Werbung, die daran erinnert: Hier kannst du dich als Spender:in registrieren
Platz 4: MomoJ kopiert Memes
Ich glaube, MomoJ ist außerhalb von Tiktok bisher kaum bekannt. Ich finde aber bemerkenswert, was der Dortmunder dort zeigt: Er kopiert Memes – und zwar indem er sie nachspielt.
Sehr anschaulich ist das an diesem Clip zu sehen, in dem ein Schnipsel nachgespielt wird, der auf einer Pegida-Demonstration aufgenommen wurde. Dabei sind im Original zwei Demonstraten zu sehen, die „gegen Merkel“ brüllend ihr Missfallen mit der damaligen Regierungschefin zum Ausdruck bringen. Der Account MomoJ spielt diese Szene nach – und das ist nicht nur in diesem Fall sehr lustig.
Platz 5: Talahon
Die taz schreibt: „Talahon ist eine populäre Wortneuschöpfung, mit der sich Menschen, die sich mit diesem Image identifizieren, selbst bezeichnen. Vielleicht leitet sie sich von der arabischen Wendung „Taeal Huna“ ab, „Komm her“.“ Gemeint ist ein Tiktok-Trend, der in diesem Monat aufkam und wegen rassistsicher Untertöne in der Kritik steht. Der WDR hat den vermeintlichen Urheber gesprochen.
Der tagesschau-Account fasst das Aufkommen des Begriffs und die Kritik daran sehr gut zusammen. Es geht um die Reproduktion von Klischees und überkommenden Rollenmustern. Aber der Talahon ist so präsent im Netz, dass der ZDF-Account aroundtheword bereits fragt, ob er zum Jugendwort des Jahres taugt.
🎵 Ungebetene Ohrwürmer* des Monats (Kamala-Harris-Edition) 🎵
1️⃣ Beyonce: „Freedom“
2️⃣ Chappell Roan: „Femininomenon“
3️⃣ Taylor Swift: „Look what you made me do“
4️⃣ Casa di Music: „Never Trump Guy“
Außer Konkurrenz der Meme-Mashup-Song des Jahres (so far)
* in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ nutze ich Ohrwürmer als Metapher um die Wirkung von Memes zu beschreiben. Deshalb ist es nur konsequent, sie nicht nur metaphorisch, sondern eins-zu-eins zu nehmen.
Besondere Erwähnung
Im Social-Media-Watchblog durfte ich ein Takeover schreiben: es geht um die Möglichkeit ein anderes Web zu haben.
Alle HR-Abteilungen, die der Meinung sind, cool und gegenwärtig rüber zu kommen, wenn sie den „Looking for a man in Finance„-Trend mit Verspätung auf eine Stellenanzeige umtexten, sollten dringend den Text zur Aura von Memes nachlesen.
Der YouTuber Niko Omilana hat bei den Wahlen in England für Aufsehen gesorgt.
Völlig unabhängig von der Verbindung zu Kamala Harris (siehe Platz 1) lohnt sich ein Blick auf das Design des Brat-Albums.
Diese Doppel-Videos werden wir sicher in Zukunft häufiger sehen.
Vielleicht sogar auf LinkedIn – immerhin wird seit Wochen spekuliert, wie das Karrierenetzwerk hochformatige Videos integrieren wird.
Eine Erwähnung verdient auch der Dreifach-Spiegel-Gesang, den es mittlerweile in zahlreichen Varianten gibt. Hier eine wunderbare weibliche Version.
Auch das Zusammenführen von Emojis sollte nicht unerwähnt bleiben.
Ist der Musiker Flippa tatsächlich der kleine Junge, der im Bus „ich muss raus“ ruft – und danach zum Meme wird? Er behauptet das jedenfalls in diesem Clip, mit dem er seinen neuen Song bewirbt. Der passender Weise „Ich muss raus“ heißt.
Der „Okay-let’s-go“-Junge ist übrigens Niederländer.
Zum Abschluss der Mashup-Meme-Sound des Jahres (so far)
Mehr zum Thema Netzkultur gibt es in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ und im monatlichen Newsletter ,Digitale Notizen‘. Im Account @komMEMEtare poste ich zudem auf Instagram aktuelle Memes und Hintergründe.