Auf Einladung des PAD-Festivals durfte ich mit dem Autor Thomas Köck über die Veränderungen von Autor:innenschaft durch die Möglichkeiten von KI sprechen. Ausgangspunkt war eine Gemeinsamkeit zwischen Thomas Köck und mir: wir haben uns beide – aber unterschiedliche Weise – von einer KI ersetzen bzw. duplizieren lassen. Mein Text „Jetzt wird es persönlich. Das bin ja ich“ steht hier im Blog. Die Arbeit von Thomas Köck kann man in diesem unheimlich guten Stück „The Weird and The Eerie“ verfolgen, das ich im Rahmen des PAD-Festivals sehen konnte.
Dieser Text ist Teil der November-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann.
Ein seltsamer, vielleicht sogar gespenstischer Theaterabend in Wiesbaden.
Auf der Bühne bewegen die Schlagzeugerin Katharina Ernst, die Saxophonistin Annea Lounatvuori, der Musiker Andreas Spechtl und der Autor Thomas Köck ihre Avatare durch eine virtuelle Welt, die auf eine große Leinwand über die Bühne projiziert wird. Die Avatare sprechen englisch. Ihre Gespräche werden in Echtzeit mit Hilfe einer KI erzeugt (Regie & Game-Design: Michael von zur Mühlen).
Das ist seltsam und in manchen Momenten sogar etwas gespenstisch – wenn die virtuelle Annea Lounatvuori einfach nicht mehr antwortet und nur stumm dem Hauptcharakter folgt oder wenn der Avatar von Thomas Köck im Gespräch mit dem realen Autor einfach behauptet, den Raum bereits verlassen zu haben, vor dem der echte Thomas Köck auf ihn wartet – ihn aber nicht sieht. Diese Szenen entstehen ungeplant auf der Bühne, weil die KI-Figuren sich an keinen Text halten, sondern bei jeder Aufführung neu und anders interagieren. Das erinnert an das KI-Filmprojekt von Brian Eno und macht die Maschinen auf seltsame, gespenstische Art menschlich. Fast so, als seien diese Maschinen von menschlichen Launen getrieben, die sie je nach Stimmung reagieren und sogar lügen lassen. Nichts zu spüren von der unbarmherzigen Regelbefolgung, die KI zugeschrieben wird – und die der Treibstoff für die menschliche Sorge vor einer übermächtigen Intelligenz ist, die nichts kennt als das Erreichen eines geprompten Ziels.
Inhaltlich führt der Abend in einen Stollen der Erinnerung der Doubles von Spechtl und Köck in den Kellern Österreichs. Hier treffen sie u.a. auf Jörg Haider- und Hans-Christian-Strache-Avatare und deren rassistisches Denken, das als vergessene Erinnerung oder aktuelle Gegenwart erscheint. Es bleibt auf seltsame und gespenstische Weise unklar, was Erinnerung, was Gegenwart oder wiederum Halluzination einer KI ist. Wie beruhigend und menschlich diese Unklarheit der Zwischenräume ist, zeigt sich vor allem im Gegensatz zum deutlichen, unbarmherzigen Schwarz-Weiß-Denken der Nazi-Avatare in den virtuellen Kellern von „The Weird and The Eerie“.
Seltsam und gespenstisch ist der Abend, auch weil er sich den Titel von einem Essayband des 2017 verstorbenen Mark Fisher leiht, in dem dieser der Frage nachgeht, wie das Seltsame und das Gespenstische unsere Wahrnehmung beeinflusst. Eine seiner Referenzen ist dabei ein Essay von Sigmund Freud aus dem Jahr 1919 über das Unheimliche (PDF) – das für Freud sich stets auf dem „Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen Wesens“ speist, und „umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand nicht etwa beseelt sei“. Dieser Satz ist über 100 Jahre alt (und selbst wiederum ein Zitat aus dem Aufsatz ,Zur Psychologie des Unheimlichen‘ von Ernst Jentsch) und trotzdem die vielleicht treffendste Beschreibung dieses unheimlichen Gefühls im Umgang mit KI: der Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen Wesens.
Genau mit diesem unheimlichen Changieren zwischen künstlich und menschlich Wahrgenommenen spielt auch „The Weird and the Eerie“. Am Ende der Reise, für die „Ja, Panik“-Sänger Andreas Spechtl einen wunderbaren Soundtrack komponiert hat, wird behauptet, Musik und Texte des Abends stammten allesamt aus einem neuronalen Netzwerk und seien somit von einer KI erstellt worden. Dann ertönt eine Stimme, die sagt:
„Das stimmt nicht /Aber jetzt halten Sie es trotzdem für möglich“
Noch bevor sich das Publikum in diesem unheimlichen Zwischenraum zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit des technischen Fortschritts zurechtfinden kann, spricht die Stimme weiter und erzählt vom unaufhaltsamen Aufstieg rechtsextremer Parteien in ganz Europa – und prophezeit, dass diese in naher Zukunft die stimmenstärksten Kräfte auf dem Kontinent werden:
„Das stimmt / Aber Sie halten es dennoch für unmöglich“
Nicht nur weil das Stück sich in aller begrüßenswerter Unklarheit, hier deutlich positioniert (Lesetipp: das Blog Nazis & Goldmund, das Thomas Köck mit initiiert hat), ist dieser unheimliche Abend eine der gegenwärtigsten, künstlerischen Bearbeitungen der seltsamen und gespenstischen Veränderungen durch KI, die ich kenne. Er macht erlebbar, was man vielleicht schon theoretisch weiß: dass die kategorische Trennung zwischen Original und Kopie, zwischen künstlich und natürlich, zwischen real und virtuell die Grundlage bildet für das, was wir seltsam und gespenstisch empfinden. Es ist eine erstaunliche künstlerische Leistung das sicht- und fühlbar zu machen – und ein gesellschaftlich-politischer Auftrag, diese Unheimlichkeit zu gestalten.
Besonders fasziniert an diesem Abend hat mich das Eintauchen in die Hinweise und Referenzen, die sich öffnen: die Lektüre des Essays „The Weird and The Eerie“ von Mark Fisher empfehle ich deshalb ebenso wie den Song „1998“ von Ja, Panik:
So I write down these words
Because I missed them dearly
I was thinking about
About the weird and the eerie
Dieser Text ist Teil der November-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann. Darin befasse ich mich immer wieder mit der Unheimlichkeit von KI – z.B. in dem Text Das bin ja ich oder beim Blick in den Spiegel von Laurie Anderson und Lou Reed.