Vor lauter Vergabe-Chaos beim diesjährigen Henri-Nannen-Preis sind zwei Wortmeldungen etwas untergegangen, die im Rahmen des Preises veröffentlicht wurden: Es geht um die Rede des Preisträgers Wolf Schneider (Ideen müssen her! Krempeln wir die Ärmel auf!) sowie um Manfred Bissingers Text Warum Journalisten auch als „Täter“ gefragt sein können, der die Buchausgabe des Nannen-Preises einleitet.
Ich habe beide Texte mit Verwirrung gelesen. Diese Verwirrung rührt daher, dass Schneider und Bissinger Gutes im Sinn haben, mich aber dennoch nicht erreichen. Das kann man für mein privates Verständnis-Problem halten, ich glaube aber, dass mindestens zwei grundlegende Missverständnisse in der Beurteilung der Digitalisierung vorliegen, die beispielhaft für den Graben in unserer Branche Gesellschaft stehen.
Bissinger und Schneider wollen Mut machen, sie wollen, dass Journalistinnen und Journalisten sich von den Veränderungen durch das Internet nicht verängstigen lassen, sondern Chancen erkennen, neue Ideen entwickeln und kreativ werden. Ich befürchte, sie erreichen das Gegenteil, denn sie kriegen zwei Veränderungen nicht in den Griff, die die Digitalisierung entscheidend prägen: es geht um die Demokratisierung der Publikationsmittel und um das Thema Bezahlung.
Schneider, der ausführlich die geniale Einzel-Leistung Henri Nannens herausstellt, hadert vor allem mit den Publikationsmöglichkeiten der Vielen. Er beschreibt, wie Nannen „das heißeste Medium deutscher Sprache“ (was wäre das wohl heute?) damals aus den zwei bis drei Stern-Ausgaben „herausknetete“, die die Redaktion wöchentlich unter ihm produzieren musste. Dass heute Menschen ohne diesen Druck („entgegen einem populären Fehlurteil ist Druck etwas Wunderbares für alle, die etwas schaffen wollen“) publizieren können, gefällt ihm weniger.
Denn dramatisch gestiegen ist ja das Angebot an gedrucktem und gesendetem Text – gleichzeitig gesunken die Bereitschaft zu gründlicher, gar geruhsamer Lektüre – gewachsen schlechthin die Kurzatmigkeit, die Ungeduld! Wer erreicht auf dem Bildschirm noch die letzte Zeile? Ist der typische Blogger nicht ein Mensch, der erst mal protestiert, ehe er gelesen hat? (Wenn überhaupt.)
Erstaunlich ist daran, dass Schneider (der Blogs nach eigenen Angaben nur ausgedruckt liest) die Ungeduld, die er hier unserer Zeit im Allgemeinen und dem typischen Blogger im Speziellen attestiert, wenige Zeilen zuvor noch zu den drei journalistischen Generaltugenden zählte, die ihn selber antreiben (neben Neugier und Misstrauen).
Daran lässt sich ablesen: Journalist (und ungeduldig) ist heute womöglich jeder.
Und die Unterscheidung von glaubwürdigen und unglaubwürdigen Journalisten ist womöglich nicht mehr einzig daran festzumachen, ob sie in einer Redaktion tätig sind oder nicht. Diese Unterscheidung ist womöglich nicht mehr per se durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu treffen, sie muss womöglich durch Transparenz in der eigenen Arbeit und durch die Fähigkeit zum Dialog mit der ungeduldigen Leserschaft erwirkt und ständig neu bewiesen werden. Vielleicht reicht es heute nicht mehr mit dem Selbstbewusstsein eines Henri Nannen, den Schneider zum Ende seiner Rede zitiert, auszurufen:
„Dass wir die Größten und die Großartigsten sind – das ist uns selbstverständlich viel zu wenig! Leute, krempelt die Ärmel auf!“
Vielleicht muss sich Größe und Großartigkeit heute anders beweisen als durch den reinen Ausruf. Und vielleicht steckt ein Dilemma der Branche eben genau darin, dass wir auf diese Herausforderung der Demokratisierung unseres Berufs bisher keine Antworten gefunden haben – außer dem Rückgriff auf Zeiten, in denen es noch geniale Verleger-Typen gab und der Besitz von Druckmaschinen primäres Unterscheidungskriterium war.
Neben der Tatsache, dass ich Schneiders Ausführungen über den Küchenzuruf bei Facebook anders interpretieren würde (zum Beispiel hier), halte ich diese Reaktion auf die Demokratisierung des Berufs (wie unlängst auch schon mal bei Wolfgang Siebeck gesehen) für ein grundlegendes Problem seiner Rede. Denn wenn er ernst meint, was er als Lösung für die Herausforderung der Digitalisieurng beschreibt, geht es meiner Meinung nach gerade darum, den Leser zu verstehen und nicht sich über ihn oder sie zu erheben. Denn die Aufgabe lautet seiner Meinung nach:
Begnadete Journalisten gesucht, die erschnuppern, womit man 18jährige zurückgewinnen kann!
Dabei kann es womöglich von Nachteil sein, wenn man zu groß ist, denn dann bringt alles schnuppern nichts – man kommt nicht runter bis zum Leser, und erst recht nicht auf die Idee, diesen selber zu fragen.
Im Text von Manfred Bissinger taucht das zweite Problem auf, das an unterschiedlicher Stelle auch hier schon thematisiert wurde: die Geschäftspolitik im Netz. Schneider spricht davon gar nicht, Bissinger stellt es zentral. Er hält es für einen den bedeutsamen Fehler, dass Verlage Inhalte im Netz „verschenken“ und stellt gar die These auf:
Dass das Internet sich überhaupt nachhaltig als mediale Alternative in das Bewusstsein der Konsumenten schleichen konnte, ist der Fahrlässigkeit der Verlage geschuldet.
Was er damit sagen will: Die Verleger haben – seiner Ansicht nach – die Entwicklungen der Digitalisierung verschlafen. Was er damit aber vor allem sagt: Er glaubt, der schleichende (?) Aufstieg des Netzes als mediale Alternative hänge wie auch immer davon ab, ob Verleger Inhalte (kostenfrei oder nicht) ins Internet stellen. Das ist erstaunlich und man muss dazu den Einstieg des Offenen Briefes als Gegenposition lesen, den Mario Sixtus Ende vergangenen Jahres den Verlegern schrieb, um zu verstehen, wie tief der Graben in Wahrheit ist. Er beginnt mit den Worten:
Liebe Verleger, das tut jetzt vielleicht ein wenig weh, aber einer muss es mal deutlich sagen: Euch hat niemand gerufen! Niemand hat gesagt: “Mein Internet ist so leer, kann da nicht mal jemand Zeitungstexte oder so was reinkippen?“
Auf der einen Seite steht Bissinger mit seiner Einschätzung, der Aufstieg des Netzes begründe sich auf der verlegerischen Fehlentscheidung Inhalte frei zu veröffentlichen, auf der anderen Seite steht eine Haltung, die davon ausgeht, dass der Schub der Digitalisierung so stark war und ist, dass die Verlage sich ihm nicht entziehen konnten, aber versäumt haben, ihn recht zu nutzen. Ganz konkret: Es gäbe vermutlich auch Nachrichten im Netz, wenn Verlage (und der öffentlich-rechtliche Rundfunk) es ignorieren würden. Es gäbe auch Aufdeckungen und brisante Veröffentlichungen wenn alle Journalisten auf einen Schlag offline gingen.
Ich finde diese Differenz in der Wahrnehmung sehr erstaunlich, denn wenn es schon an dieser Stelle Uneinigkeit gibt, muss man die Frage nach dem Begriff des Verschenkens fast gar nicht beginnen (obwohl sie wichtig wäre). Und die Frage danach, ob die durch die digitale Kopie verflüssigten Inhalte vielleicht einfach nicht mehr so kontrollierbar sind wie früher (siehe Musikindustrie) und deshalb neue Modelle erdacht werden müssen, erübrigt sich von alleine.
Bissinger nimmt in seinem Text genau wie Wolf Schneider Bezug auf Henri Nannen (klar, es geht um den Preis, der nach ihm benannt ist). Er schreibt, dieser habe „seine Kaste feinsinnig in „Merker“ und „Täter“ unterteilt“
Die „Merker“ hatten die Realität zu beschreiben, so wie sie sich täglich offenbarte, aber sie durften nicht erkennen lassen, wo sie selbst standen. Tageszeitungen und Nachrichtensendungen mussten (und müssen) so arbeiten; sie verfälschten sonst die Realität. Die „Täter“ dagegen wollten über die Information hinaus Wirkung erzielen.
Diese Unterscheidung dient ihm als Aufruf, wieder mehr journalistische Täterschaft zu fordern. Als ich diese Unterscheidung jedoch las, stellte ich fest, wie wenig wir offenbar immer noch bemerken, was die Veränderung der Digitalisierung für unseren Beruf bedeutet.
Vielleicht brauchen wir gar nicht mehr Täter, sondern in erster Linie mehr Merker, die festhalten, was es heißt, dass die Daten von ihrem Träger gelöst werden und sich verflüssigt im Netz bewegen. Die bemerken, dass wir mit den Lösungen von gestern nicht weiter kommen und stattdessen festhalten, dass Öffentlichkeit und veröffentlichte Meinung nicht mehr von einem Publikationsmonopol abhängen, die erkennen, dass es eine Chance sein kann, wenn Journalisten nicht mehr die Größten sein wollen, sondern bereit und in der Lage sind, mit ihren Lesern in den Dialog zu treten.
Vielleicht brauchen wir – um die beiden Nannen-Zitate von oben zusammen zu führen – einfach ein paar großartige Merker!
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