Raphael Honigstein ist deutscher Journalist in Großbritannien. Der Kenner des britischen Fußballs (der – Disclosure – auch schon für jetzt und jetzt.de tätig war) schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und den Guardian. Er ist Autor des Buchs Harder, better, faster, stronger: Die geheime Geschichte des englischen Fußballs und aktiver Twitter-Nutzer. Seinem Account honigstein folgen mehr als 22.000 Menschen. Ein Interview über Kundenpflege und Journalismus in Zeiten des Dialog.
Journalisten, die in Deutschland twittern, bekommen dafür oftmals noch skeptische Reaktionen. Hat dich einer deiner britischen Kollegen schon mal gefragt: Warum twitterst du eigentlich?
Nein. Ich wurde nur ständig gefragt, warum ich nicht tweete. (nicht: „twittere“). Kurz vor der WM 2010 habe ich angefangen.
Was hättest du geantwortet?
Dass ich es aus den gleichen Gründen wie alle (britischen) Journalisten mache. Manchmal hat man kleine, interessante Dinge zu erzählen, ohne dass daraus ein Text werden muss. Im Vordergrund steht für mich aber der Vetrieb bzw die Verlinkung meiner Texte. Meine Tweets generieren traffic für meine Stücke und finden über retweets neue Leser. Der Nutzen liegt dabei auf der Hand. Darüberhinaus hat für mich Twitter mittlerweile die Funktion meiner „Start-Seite“ eingenommen. Ich muss am morgen nicht mehr diverse Seiten nach Nachrichten abklappern, sondern bekomme dank den verschiedenen Timelines alles in Echtzeit (und oft mit dem passenden Kommentar versehen) auf einen Schirm. Drittens geht es um Interaktivität und Austausch. Über den Dialog mit den Usern und Kollegen kommt man zu neuen Themen, Ideen etc etc. Und nicht zuletzt ist Twitter auch eine Art Branding-Tool, ein dynamisches, ständig aktualisiertes Mini-Showreel, und gleichzeitig eine Kontaktadresse für neue Kunden.
Eine typische Kollegen-Replik hierzulande lautet oftmals: „Dafür hätte ich gar keine Zeit.“ Ist Twittern tatsächlich so zeitaufwändig?
Das hängt von der eigenen Mitteilsamkeit ab. Ich tweete relativ spärlich. Manchmal muss man aber trotzdem aufpassen, dass man sich nicht in endlosen 140 Zeichen-Debatten verliert oder alle paar Sekunden nach Antworten sucht.
In deiner Timeline sind auch zahlreiche Antworten auf Fragen zu lesen, die Follower Dir stellen. Ist dieser Dialog mit den Lesern eher anstrengend oder eher anregend?
Ich sehe das als Kundenservice. Man kann zwar nicht jede Frage beantworten, aber ich versuche es zumindest. Anstrengend ist das eigentlich nicht; vor allem, weil man Rabauken und Nervensägen geräuschlos weg-„block“-en kann.
Bist du so schon auf neue Geschichten gestoßen über diesen Twitter-Dialog?
Ein paar Mal. Besonders in der Zusammenarbeit mit Kollegen lässt sich sehr schnell und effektiv recherchieren. Und das „wisdom of crowds“-Prinzip funktioniert auch hervorragend: vor einem Blatter-Interview auf CNN habe ich im Auftrag des Producers zum Beispiel Fragen von den Usern gesammelt. Binnen einer Stunde gingen etwa 100 ein. Die meisten waren sehr lustig und hoch intelligent.
Als Regierungssprecher Steffen Seibert im Frühjahr begann, Twitter zu nutzen, hat er sich in der Bundespressekonferenz eine Menge kritischer Fragen anhören müssen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es derartige Kritik in London gegeben hätte. Was glaubst du, warum es da Unterschiede gibt?
Ich habe das Video der PK gesehen. Es ging da wohl eher um Besitzstandswahrung/Kommunikationsherrschaft, die diversen Sicherheitsbedenken wirkten doch arg konstruiert. Eine ähnliche Debatte hätte es in London allein schon deshalb nicht gegeben, weil sich hier niemand darum reißt, offizielle Bekanntmachungen als erster weiterzusenden.
Peter Horrocks der Chef vom BBC World Service hat gesagt, dass Journalisten, die sich nicht um Twitter und Facebook kümmern, ihren Job nicht anständig erledigen. Würdest du das auch so sehen? Also: Würdest du eine Prognose wagen, wie es mit Twitter und dem Journalismus weiter geht?
Für Freelancer und Journalisten im öffentlichen Dienst, sprich: bei der BBC gilt das sicher. Die fest angestellten Kollegen sollten sich grundsätzlich natürlich auch um den Text-Vertrieb, Kundenservice etc kümmern, müssen dabei aber immer bedenken, dass sie nicht zuviel umsonst verzwitschern. Facebook sehe ich persönlich als weniger geeignetes Medium an, weil sich da Privates (Freunde) mit Geschäftlichem („Freunde“) vermischt. Ich poste zwar dort auch Links, weiß aber, dass die Streubreite unheimlich groß ist
Letzte Frage: Welche Twitter-Nutzer würdest du Einsteigern als Follow-Empfehlung ans Herz legen?
@lucymanning für Politik, @henrywinter für Fußball, @twilo73 für Real-Madrid-Insider-Tweets.
Raphael Honigstein tweetet unter dem Namen honigstein