Am Wochenende war meine For you voll mit aufgeregten Beiträgen, die einen vermeintlichen Skandal in einem Kino dokumentierten. For you ist die Slang-Formulierung für die wichtigste Aufmerksamkeitsbühne von Tiktok (die For you Page, gerne auch FYP abgekürzt) und Kino ist ein öffentlicher Raum zum gemeinsamen Anschauen von Filmen. Die Clips dokumentierten eine leichte Hektik in einem dunklen Kinosaal, in manchen waren auch Polizist:innen zu sehen. Die Clips funktionieren dabei ein wenig wie das Zusammenspiel von Rauch und Feuer: Man sieht es rauchen, aber keine Flammen. Wo aber Rauch ist, so das gelernte Aufmerksamkeitsmuster, muss doch auch Feuer sein – und sei es noch so klein.
Rauch zu produzieren, ist also eine zielführende Methode, um Interesse zu wecken: Aufregung erzeugt Aufmerksamkeit heißt dieses Muster, das im Kern nicht neu, aber nicht minder beliebt ist. An diesem Wochenende konnte man es in unterschiedlicher Ausprägung beobachten: ein Massenauflauf in Hamburg nach einem Aufruf der Firma Reternity, über den Focus hier berichtet, eine Öl-Aktion der Gruppe ,Letzte Generation‘ in Berlin oder eben die ordentlich berauchten Kino-Randale auf Tiktok, die übrigens gar nicht zufällig an diese Minion-Aktion erinnert:
“Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei der Aktion um einen aktuellen negativen TikTok-Trend handelt. Hierbei zeigen einige Personen ein derart asoziales Verhalten, welches dazu führen soll, einen Kinofilm abbrechen zu lassen.” https://t.co/pFIxLWQEux
— Dirk von Gehlen (@dvg) March 5, 2023
Sie alle sind mehr Rauch als Feuer, was aber in der öffentlichen Debatte unerheblich ist. Sie werden wie Feuer behandelt. Denn: Wo Rauch ist, könnte ja Feuer sein! Dass dabei die eigene heiße Luft, noch dazu beiträgt, Rauch zu erzeugen, fällt vielen offenbar gar nicht mehr auf.
Vielleicht lohnt es sich nach einem Wochenende mit derartig vielen Rauchbomben daran zu erinnern: Aufmerksamkeit ist eine politische Kategorie! Und: Entpörung kann eine politische Aktion sein.
Vielleicht lohnt es sich nach einem Wochenende mit derartig viel Rauch daran zu erinnen: Wir sollten anders mit der eigenen Aufmerksamkeit umzugehen lernen als nach dem „Aufregung für Aufmerksamkeits“-Prinzip. Denn die Debatte um die Unruhe-Stifter:innen in Kinosälen und auf For you Pages erinnert gerade doch sehr an den Aufruf: „Denken Sie nicht an den rosa Elefanten“. Das liegt nicht nur an dem psychologischen Phänomen des Elefanten, den Sie jetzt alle im Kopf haben. Es liegt auch an der Ambiguität der Aufmerksamkeit, mit der wir immer noch umzugehen lernen.
Wer sich für Medienkompetenz und einen verbesserten Umgang mit digitalen Tools stark macht, sollte nicht vergessen: Energy flows where attention goes! Anders formuliert: Wer künftig irgendwo extrem viel Rauch bemerkt, kann sich ja mal fragen, ob da nicht auch jede Menge eigene heiße Luft dabei ist (und ja, ich schließe diesen Beitrag davon gar nicht aus