Busfahrer-Gruss, Luigi Mangione, We listen and we don’t judge, Maps, FCKAFD1224 (Netzkulturcharts Dezember 2024)

Was geht online? Die Netzkulturcharts sind meine völlig subjektive Antwort auf diese Frage. Ich liste darin Phänomeme auf, die ich inspirierend, interessant oder bemerkenswert finde. Sie sind regelmäßiger Bestandteil meines Digitale Notizen-Newsletter

Auf Tiktok reposte ich übrigens Clips, die mir besonders auf- oder gefallen.
Auf Instagram komMEMEtiere ich dann und wann Aktuelles – und erzähle Hintergründe zu Memes.


Platz 1: Der Busfahrer-Gruss

Michel Schwartz ist Busfahrer in Hamburg. Aber seit ein paar Wochen kennt ihn das Land nur als Grussfahrer. Denn Michel hat sich in seinen Tiktoks dem kollegialen Gruss unter Busfahrern gewidmet – und zwar so erfolgreich, dass mittlerweile Fußballer- und auch Fußball-Kommentator:innen die Gesten des Tiktokers imitieren: der Quetscher (Zusammendrücken der Hand) oder der 4-1-5er (Anzahl der Finger beim Gruss) sind zu klassischen Memes geworden. Wer sie kennt, gehört dazu. Wer Michel und die Vorgeschichte nicht kennt, schüttelt verwirrt den Kopf.

Die BVG hat die Gruss-Begeisterung aufgegriffen und Busfahrer Michel hat jetzt jedenfalls sogar einen Song veröffentlicht – und grüsst weiter freundlich von seinem Tiktok– und Instagram-Account.

Platz 2: Luigi Mangione

Forbes nennt ihn einen Social-Media-Helden: Luigi Mangione, ein 26-jähriger Amerikaner, der verdächtigt wird, den US-Versicherungschef Brian Thompson erschossen zu haben. Seine Verhaftung und alle Informationen, die es seit dem über ihn gibt, befeuern einen Heldenstatus in sozialen Medien. Jedenfalls scheinen Menschen, die Nachrichten vor allem auf Tiktok oder Instagram beziehen, eher dazu geneigt, seine mögliche Tat zu rechtfertigen. Das zeigt Washington Post in einem sehr guten Tiktok und erklärt, wie der Fall zu einem besonderen Phänomen wurde, in dessen Folge auch unterschiedliche Bewertungen des Mords entstehen.

Platz 3: Party in Billstedt

Ganz im Osten von Hamburg liegt der Stadtteil Billstedt. Auf der Wikipedia-Seite kann man nachlesen, dass dort 72.000 Menschen wohnen. Dass Billstedt aber auch die Heimat von „Feinkost Kolinski“ ist, steht dort nicht. Der fiktive Supermarkt bietet die Grundlage für die Prime-Serie „Die Discounter“, deren vierte Staffel in diesem Tagen gestartet ist – begleitet von einer beeindruckenden Online-Kampagne, für die der Kolinski-Ladendetektiv Jonas Schulze (gespielt von Merlin Sandmeyer) nicht nur einen Song eingespielt, sondern dazu auch direkt einen Tiktok-Tanz erfunden hat.

Platz 4: We listen and we don’t judge

Ein Gespräch, das vor der Kamera eskaliert? Darauf laufen die Videos hinaus, die unter dem Titel „We listen and we don’t judge“ Paare zeigen, die einander Geheimnisse offenbaren. Diese vermeintlichen Wahrheiten führen dann dazu, dass die angeblich so bewertungsfreie Atmosphäre doch eher in Richtung Eskalation geht. Hier sehr schon vorgeführt von der Redaktion von Extra3, die den Trend beispielhaft duchgespielt haben.

Der Trend funktioniert vor allem bei solchen Accounts, die den Eindruck erwecken, einen ungeschönten Blick auf das Paarleben der Influencer zu geben. Es entsteht der Eindruck, die Zuschauer:innen seien dabei, wenn die Paare sich mal so richtig ehrlich aussprechen.

Platz 5: „Maps“ von den Yeah Yeah Yeahs

Zugegeben, der Sound ist nicht mehr ganz neu. Aber er erweist sich als besonders beständig. Nicht nur, weil der Original-Song aus dem Jahr 2003 stammt, sondern vor allem weil der damit verbundene Tanztrend im Winter 2024 starke Ohrwurm-Qualitäten beweist: Mittlerweile hebt sogar der Erstplatzierte der Novembercharts (Grüße gehen raus an den Chill-Guy) zum Wort „Wait“ seine Hand, hält kurz inne und tanzt dann weiter, indem er seine Hüften zwischen den Händen hin und her bewegt. So zu sehen im Knowyourmeme-Erklärclip auf Tiktok, der herleitet, dass der Song der Yeah Yeah Yeahs schon 2003 veröffentlicht – aber erst im Herbst/Winter 2024 zum viralen Hit wurde. Nicht nur ein schöner Ohrwurm, sondern auch die Lieblingsbeschäftigung aller jener, die in diesem Winter den Busfahrer-Gruß machten: Sie – Wait! – tanzen anschließend zu einem über zwanzig Jahre alten Song.


🎵 Ungebetene Ohrwürmer* des Monats 🎵

1️⃣ Lola Young: Messy

2️⃣ isaintjames: Someday Soon

3️⃣ Ebet: Mafia Trap (Techno Bass Boost)

4️⃣ Yeah Yeah Yeahs: Maps

5️⃣ Moai: La La La

* in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ nutze ich Ohrwürmer als Metapher um die Wirkung von Memes zu beschreiben. Deshalb ist es nur konsequent, sie nicht nur metaphorisch, sondern eins-zu-eins zu nehmen.


Besondere Erwähnung

Der Begriff „Bowa-Core“ verdient eine besondere Erwähnung! Er beschreibt die stets freundliche und harmoniesuchende Haltung, mit der Dax Werner und Moritz Hürtgen in ihrem Podcast (gesprochen „käst“) „Bohninger Wachmacher“ das Weltgeschehen kommentieren (siehe August-Charts). Je absurder die kommentierten Ereignisse sind, umso klarer wird der Wert des „Bowa-Core“. Während Satiriker:innen sich beschweren, die Welt sei so absurd, sie könne gar nicht mehr satirisch kommentiert werden, erfreue ich mich an dieser Haltung, mit deren Hilfe Hürtgen und Werner vielleicht noch schärfer urteilen als dies auf den ersten Blick wirkt.

Pete Buttigieg gibt eine Mini-Vorlesung zum Thema Medienkompetenz.

Bringen solche Tiktoks, die Reden von Gregor Gysi remixen, einen Schub für die Linke im Wahlkampf? Die taz schreibt über die Kunstfigur DJ Gysi.

Haliey Welch hat Ärger wegen Krypto-Scam: Die als Hawk Tuah-Girl bekannt gewordene Influencerin hat einen Meme-Coin rausgebracht und dann offenbar ihre Fans betrogen.

In Spanien hat ein Google-Streetview-Auto offenbar zur Lösung eines Mordfalls beigetragen.

Disko Amore aus Essen sind so erfolgreich, der WDR hat über sie berichtet. In der Lokalzeit Ruhr, aber ihre Tiktoks sind in der Tat lustig.

Das Weingut Mehling in Deidesheim sorgt auf Aufsehen im Netz. Ein Riesling des Weinguts hat eine Laufende-Nummer, die als politische Botschaft verstanden werden kann. Auf dem Etikett steht FCKAFD1224, was dazu geführt hat, dass sehr viele Menschen positive Bewertungen auf der Google-Seite des Weinguts hinterlassen – denn anfangs gab es dort offenbar wegen der politischen Botschaft schlechte Bewertungen. So steht es jedenfalls bei reddit.


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