Chill Guy, Women in Male Fields, Bluesky-Vibe, der Verdächtige sagt, Haha so true (Netzkulturcharts November 2024)

Was geht online? Die Netzkulturcharts sind meine völlig subjektive Antwort auf diese Frage. Ich liste darin Phänomeme auf, die ich inspirierend, interessant oder bemerkenswert finde. Sie sind regelmäßiger Bestandteil meines Digitale Notizen-Newsletters.

Auf Tiktok reposte ich übrigens Clips, die mir besonders auf- oder gefallen.
Auf Instagram komMEMEtiere ich dann und wann Aktuelles – und erzähle Hintergründe zu Memes.


Platz 1: The Chill Guy

Ein einfach gezeichneter, anthropomorpher Hund, der lässige Kleidung und ein Grinsen im Gesicht trägt: das ist der jüngste und heißeste Social-Media-Trend! Der entspannte Typ (Chill Guy) wird meist in einer Situation gezeigt, auf die er eher sehr lässig und entspannt reagiert – ausgedrückt durch den Satz „Aber du bist eher der entspannte Typ.

Die Figur geht auf eine Zeichnung Phil Banks zurück, der den Hund schon 2023 ins Netz brachte. Durch den aktuellen Hype stellen sich ihm aber zwei Herausforderungen: einerseits versucht er gerade den Hund als Plüsch-Figur zum Leben zu erwecken. Andererseits erwehrt er sich gegen die kommerzielle Nutzung des Chill Guy, der als Meme-Coin und von zahlreichen Marken eingesetzt wird. In Deutschland haben die Social-Media-Abteilungen der Parteien am Beispiel des Chill-Guy gezeigt, dass sie bereit sind für den Wahlkampf: nahezu alle haben ihre Versionen veröffentlicht: FDP, SPD und sogar die CSU zeigen sich als entspannte Typen. Besonders dabei: alle Versionen des Memes greifen auf Instagram und Tiktok auf eine Sequenz aus dem Song „Hinoki Wood“ von Gia Margaret zurück.

Hier übrigens meine Version ;-)

Platz 2: Women in male fields

Was würde eigentlich passieren, wenn Männer die Welt aus der Perspektive von Frauen wahrnehmen müssten? Unter dem Hashtag #womeninamalefields drehen Frauen den Blick: sie posten Beiträge, in denen sie problematisches männliches Verhalten umdrehen. Eine Frau erzählt, wie sie nach einem Auftritt einen jungen Mann hinter die Bühne gebeten habe, um mit ihm über Kunst zur reden – und dann erschüttert war, als er sie dort nicht küssen wollte. Eine andere filmt sich und legt darüber den diesen Text: “He sent me a paragraph explaining how he felt, and I replied with, ‘idk what you want me to say rn,’”

Diese Perspektiv-Wechsel finden sich auf X, Bluesky und in Bewegtbild auf Tiktok und Instagram – überall drehen die Beiträge die Perspektive. So erfolgreich, dass mittlerweile auch Männer das Problem benennen. In ihrer gefilmten Version ist dieser Trend häufig mit dem Song „Anaconda“ von Nicky Minaji unterlegt.

Platz 3: Der Bluesky-Vibe

Der Guardian hat in diesem Monat seine Accounts auf X geschlossen. Das britische Medienhaus ist damit nicht alleine. Nach den US-Wahlen nehmen auch viele Amerikaner:innen Abschied von Elon Musks Plattform. So viele, dass sogar ein kleiner Bluesky-Vibe entstanden ist. Taylor Lorenz schrieb, die Seite fühle sich auf eine gute Weise an wie Twitter 2019. Und das Social-Media-Watchblog schrieb: Bluesky ist das Netzwerk der Stunde (Hörtipp dazu übrigens der Techlounge-Podcast mit Sascha Pallenberg und Don Dahlmann).

Im (zweiten Teil des )Kompressor-Wochentalk durfte ich ein paar Sätze zu diesem Trend sagen, den ich eher als „Vibe“ beschreiben würde. So nennt Instagram übrigens auch ein neues Feature, das du oben links über dem Profibild findet. Hier ist Platz für einen Song oder für eine kleine Bemerkung, die aber nach einer Weile wieder verschwindet. Vielleicht ist Bluesky nur ein Vibe – aber in jedem ein bemerkenswerter.

Platz 4: Bundestagswahl

Dass die deutschen Parteien so aktiv und schnell das Chill-Guy-Meme reagierten hat natürlich einen Grund: Der Wahlkampf hat begonnen. Durch den Bruch der Ampelkoalition ist nicht nur das politische Berlin nervös – auch die Netzkultur wird von politischen Akteur:innen bespielt.

Ich habe deshalb der Person hinter dem Account bundestaginternememes ein paar Fragen zum Thema Politik und Memes gestellt – hier im Blog.

Platz 5: The Most Mysterious Song on the Internet

Der NDR spricht vom „wohl größten Musikrätsel im Internet“. Ob der Superlativ so stimmt, ist unklar. Klar ist hingegen, dass der NDR selbst eine Rolle spielt bei der Geschichte um den „Most Mysterious Song on the Internet“. Es geht um einen Song, der vor über 30 Jahren im NDR lief – den aber niemand finden konnte. Ein Schnipsel wurde ins Netz geladen und Menschen versuchten, ihn zu finden. Ergebnislos. Bis jetzt durch einen Zufall „Subways of your mind“ der bereits seit langem aufgelösten Band FEX zugeordnet werden konnte. Das sorgte für große Freude im Subreddit, in dem seit Jahre nach der Originalquelle des Songs gesucht wurde. Darüberhinaus hält sich die Bedeutung allerdings etwas in Grenzen.


🎵 Ungebetene Ohrwürmer* des Monats 🎵

1️⃣ Ritter Lean: Outfit Check

2️⃣ Gia Margaret: Hinoki Wood

3️⃣ The Cramps: Goo Goo Muck

4️⃣ DJ Johnrey „Emergency“

5️⃣ Freak Nasty: „Da Dip“

* in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ nutze ich Ohrwürmer als Metapher um die Wirkung von Memes zu beschreiben. Deshalb ist es nur konsequent, sie nicht nur metaphorisch, sondern eins-zu-eins zu nehmen.


Besondere Erwähnung

Wie reagierst du angemessen auf Memes, die dir geschickt werden (vielleicht weil du eine Reelation-Ship hast)? Eine ganz junge Studie hat jetzt den Wert der Antwort „Haha so true“ ermittelt: „Results suggest that “Haha So True!”, despite its lowly two-word nature, competes admirably with high-effort replies in keeping friends content, alleviating guilt, and projecting an “I care… just enough” vibe.

Der Hear-Me-Out-Cake ist ein Kuchen, der real gebacken – und dann mit Fotos von so genannten Crushes verziert wird. Der „Tiktok-Trend“ bekommt jede Menge massenmediale Aufmerksamkeit.

Sieht die Tiktok-Userin bambi bule aus wie Alice Weidel? Mit diesem Video als Antwort sorgte sie für einige Aufmerksamkeit.

Schöner kleiner Witz in der Caroline-Kebekus-Show zum Sped-Up-Phänomen. Dahinter steckt eine Person, die erstaunliche Ähnlichkeit mit Guilia Becker hat.

Vicky kopiert Ikkimel – und schafft damit einen eigenen Song.

Der Spiegel berichtet über eine Internet in China: junge Radfahrer:innen blockieren Autobahnen.

Tara-Louise Wittwer zeigt hier eine schöne Variante des „der Verdächtige sagt“-Memes, bei dem Menschen sich dabei filmen, wie sie scheinbar flüchten und eine andere Person Eigenschaften über die flüchtende Person sagt (Suspect says).

Um Flucht geht es auch bei einem anderen Meme, bei dem User vermeintlich auf der Flucht vor einer Horrofilm-Figur sind, diese Flucht aber abbrechen, weil der Jäger sich als außerordentlich attraktiv herausstellt. Der noch Halloween-inspirierede Song lautet „Goo Goo Muck“ und stammt von The Cramps.

Seit Monaten schon filmen Friseure Kunden, wie sie ihnen einen Friseur-Umhang umwerfen, der mit dem Logo einer verfeindeten Mannschaft versehen ist. Hier eine Variante aus London.


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