Als ich im Frühjahr für die „Gebrauchsanweisung für das Internet“ recherchierte (erscheint im Herbst bei Piper), stieß ich auch auf die Frage: Gibt es einen Schutzpatron für das Internet? Weil ich selber nicht katholisch bin, halfen mir dabei die Erklärungen von Felix Neumann sehr weiter, der Redakteur bei katholisch.de ist. Anfang des Monats hat Felix mit einigen Mitstreitern eine Aktion gestartet, um Isidor von Sevilla zum Schutzpatron für das Internet zu machen. Ich habe ihm dazu ein paar Fragen gestellt – natürlich via Internet, im Chat.
Für alle, die nicht vertraut sind mit dem Konzept von Heiligen: Worum gehts dabei? Wofür braucht man die?
Heilige sind nach katholischem Verständnis Menschen, die nach ihrem Tod jetzt schon in der Gegenwart Gottes sind. In der katholischen Kirche werden sie nicht „angebetet“ (das wird nur Gott), sondern „um Fürsprache gebeten“: Weil Heilige schon bei Gott sind, können sie sich für die Menschen einsetzen. Daher kommt auch die Tradition von Schutzpatronen: Heilige, denen eine bestimmte Nähe zu einem Thema, einem Schicksal, einer Berufsgruppe nachgesagt wird, und die man deshalb im Gebet um Hilfe bittet.
Wer bestimmt diese Heiligen?
Heute gibt es einen recht festgefügten Prozess, es gibt kirchliche Verfahrensregeln dazu und eine eigene Behörde: Die „Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse“ im Vatikan. Am Ende entscheidet der Papst, wer in der Kirche als heilig gilt. Für die Vergabe der Patronate gibt es keinen so festgefügten Prozess. Viele Heilige werden seit alters her traditionell in bestimmten Fällen angerufen, in der neueren Kirchengeschichte bestimmt der Papst gelegentlich explizit, welcher Heilige welches Patronat hat. So hat Papst Pius XI. beispielsweise den heiligen Franz von Sales zum Patron der Journalisten ernannt. Viele Heilige werden aber auch von den Gläubigen quasi adoptiert: So einer ist Isidor von Sevilla als Patron des Internets. Da fehlt nämlich noch eine offizielle Ernennung aus Rom, aber seit gut 20 Jahren wird Isidor von vielen gläubigen Internet-Nutzern als Patron genommen.
Warum Isidor? Was hat er mit dem Internet zu tun?
Isidor lebte von 560–636, also an der Schwelle zwischen Antike und Mittelalter. Für die Kirche gilt er als letzter der Kirchenväter des Westens, also der großen Theologen der frühen Kirche. Er war nicht nur Bischof von Sevilla, sondern auch ein großer Gelehrter: In seiner zwanzigbändigen Enzyklopädie, den „Etymologiae“, hatte er das Wissen seiner Zeit gesammelt und bewahrt. Seine Werke dienten noch Jahrhunderte als Grundlage für die Theologenausbildung. So wie Isidor sammelt heute das Internet das Wissen der Welt. (Isidor lag auch ziemlich oft daneben – er war zwar eine Art Ein-Mann-Wikipedia, aber ohne Community bleiben viele Fehler unentdeckt. Übrigens ist bei Wikimedia in Berlin auch ein Konferenzraum nach ihm benannt.) Die Idee, ihn zum Patron des Internets zu machen, konnte ich bis nach Spanien ins Jahr 1999 zurückverfolgen: Damals hat ein katholischer Thinktank, der sich mit Netzthemen beschäftigte, ihn ins Spiel gebracht. Den Thinktank gibt es heute nicht mehr, die Idee wurde aber begeistert aufgenommen.
Allerdings noch nicht vom Papst. Das Patronat ist noch nicht offiziell…
Genau. Es soll wohl fast schon einmal so weit gekommen sein: 2002 hat der Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel zwei Dokumente veröffentlicht, Kirche und Internet und Ethik im Internet). Damals wurde wohl schon im Vatikan darüber geredet, es offiziell zu machen – aber das wurde nicht gemacht, kein Papst hat sich je dazu geäußert. (ich habe auch schon mal drüber gebloggt)
Jetzt habt Ihr einen neuen Anlauf unternommen. Mit einem Bild von Isidor und einem Internet-Gebet. Wie ist das entstanden?
Letztes Jahr gab es bei der re:publica erstmals Veranstaltungen, die sich mit christlichen Themen befasst haben: Einmal eine Session zum Thema Netzpolitik und katholische Soziallehre, und dann das „Netzgemeindefest“, ein Meetup für Christinnen und Christen. Das hat einige dort doch etwas gewundert, und anscheinend ist „Wer ist eigentlich Patron des Internets?“ eine naheliegende Frage: Das haben mich nämlich einige gefragt. Ich hatte damals schon einen Artikel auf katholisch.de dazu veröffentlicht, und irgendwann hatten wir dann die Idee, dass es doch super wäre, wenn wir Heiligenbilder von Isidor als Patron des Internets hätten. Heiligenbilder sind eine sehr klassische, fast schon altmodische katholische Tradition – den Gegensatz fanden wir interessant, daher haben wir es dann verwirklicht. Dazu kommt noch eine eigene Landingpage, quasi als Online-Isidor-Kapelle, mit Gebeten fürs Internet und der Isidor-Biographie. Unsere Hoffnung ist jetzt, dass der Papst die Sache neu angeht und Isidor auch offiziell „beauftragt“. Daher haben wir auch ein Heiligenbild in den Vatikan geschickt – bisher leider noch ohne Antwort.
Woher stammt das Motiv?
Von @tonyrezk, ein koptischer Christ aus den USA. Er ist Grafikdesigner und zeichnet Ikonen im klassischen koptischen Stil, allerdings digital. Wir sind auf ihn aus einem traurigen Anlass aufmerksam geworden: 2015 hat der „IS“ in Libyen 21 koptische Christen enthauptet und den Mord als Propagandavideo veröffentlicht. Rezk hat daraufhin eine Ikone von diesen 21 gezeichnet, die von der koptischen Kirche als Märtyrer verehrt werden. (Die Ikone ist an seinem Profil angepinnt.) Diese Ikone ist sehr schnell viral gegangen; schließlich hat Rezk sie auch dem Papst überreicht. Daher kannten wir auch Rezk, und als die Idee mit unserem Heiligenbild entstand, war klar, dass wir Rezk anfragen. Sein Stil passt zu uns, wir haben mit ihm einen Künstler, der selbstverständlich im Netz lebt, der auch digital arbeitet – und wir wussten dank seiner Ikone von den 21 koptischen Märtyrern, dass er freien Lizenzen gegenüber aufgeschlossen ist.
Und wer hat das Gebet verfasst?
Das war ich. Mir war wichtig, dass das Heiligenbild witzig, aber nicht lustig ist: Es kommt mit einem Augenzwinkern, aber wir nehmen unsere Tradition und unseren Glauben ernst. Das Gebet ist daher nicht so wie andere Isidor-Gebete, die man auch online findet: Weder ein ängstliches „Erhöre unser Flehen, dass wir unsere Hände und Augen nur auf Dinge richten mögen, die Dich erfreuen“ noch etwas Humoriges wie „rette uns vor den Skriptkiddies“ (beides hier zu finden). Stattdessen ist es ein Gebet, das digitale Lebenswelten ernstnimmt und aufgreift, und den Blick darauf zu richten, wie man selbst ein Segen fürs Netz werden kann. Mein Verständnis von Fürbittgebet zu den Heiligen ist nicht, um Wunder zu flehen, sondern sich mit dem Gebet mit den Vorbildern im Glauben darauf zu besinnen, was man selbst tun kann.
Was kann man in diesem Sinne tun? Sich gegen Hatespeech engagieren, für Netzneutralität kämpfen? Wäre das im Sinne von Isidor?
Heilige sind immer Kinder ihrer Zeit, direkt politisches Handeln daraus abzuleiten, ist schwer – und auch der historische Isidor von Sevilla ist nicht in allem uneingeschränkt Vorbild: In Zeiten heftiger Kämpfe um die richtige Lehre hat er beispielsweise Dinge geschrieben, die leider auch über Jahrhunderte als Grundlage für antijudaistisches Unrecht dienten. Was auf jeden Fall ein Vorbild ist: Wissen sammeln, Wissenschaft hochschätzen, und dieses Wissen dann nicht für sich zu behalten, sondern zu teilen. Natürlich kann man auch zu netzpolitischen Themen aus der Perspektive christlicher Sozialethik etwas sagen, das machen kirchliche Akteure auch immer wieder: Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken hat sich etwa 2013 für Teilhabegerechtigkeit im Netz ausgesprochen, dazu gehört auch Netzneutralität. Ähnlich die deutschen Bischöfe, die 2016 in einer Arbeitshilfe ein zeitgemäßes Urheberrecht forderten mit dem Gedanken der Sozialpflichtigkeit auch des geistigen Eigentums. Dieses Jahr hat sich Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel mit Fake News auseinandergesetzt und dabei auf Medienbildung und die Tugend der kritischen Unterscheidung hingewiesen. Das meisten davon konnte Isidor von Sevilla im sechsten Jahrhundert noch gar nicht kennen. Ihm fehlen auch Jahrhunderte an Fortschritt und Zivilisationsbrüchen, um zu denselben Einschätzungen wie wir heute zu kommen. Aber für Katholiken geht es nicht darum, von den Heiligen eine 1:1 umsetzbare Handlungsanweisung zu bekommen, es geht um Vorbilder im Glauben – und da steht Isidor für einen Glauben, der Wissen und Wissenschaft ernstnimmt und nicht als Gegensatz versteht.
Neben den Aspekten des Glaubens hätte ein offizieller Internet-Patron auch eine gesellschaftliche Bedeutung. Spielt das für dich auch eine Rolle?
Zunächst wäre die offizielle Benennung ja eine rein katholische Sache; für alle anderen wäre das dann ein weiterer fun fact über das Internet. Ich finde es wichtig, dass die Kirche sich mit aktuellen Entwicklungen beschäftigt und dazu Stellung bezieht. Beim Internet heißt das: Wahrnehmen, dass das nichts „Virtuelles“, „Unechtes“ ist, sondern ein Teil der Realität, ein Teil der Lebenswelt von so gut wie allen Menschen, den es mit zu gestalten gilt, so wie Christ*innen sich auch in der Politik einbringen sollen. Ein Patronat wäre ein Zeichen dafür, dass das Internet auch bei der Kirche angekommen ist und umgekehrt – so wie es Patrone für das Fernsehen (die heilige Klara von Assisi) oder das Radio (der Erzengel Gabriel) gibt. Das ist es zwar: Selbstverständlich sind Christ*innen online, gibt es kirchliches Medienengagement, es gibt gute theologische Grundsatzdokumente dazu. Aber ein Patronat bettet das alles nicht nur auf einer theoretischen, praktischen und intellektuellen Ebene ins Gesamt der Kirche ein, sondern auch in die spezifisch katholische Frömmigkeitstradition, zu der auch Heilige gehören.
Inwiefern gehören zu dieser Tradition auch Ideen wie Pluralismus und Toleranz, die ja auch in der Grundstruktur des Internet angelegt sind?
Historisch hat die Kirche nicht immer eine gute Rolle, was das angeht. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche aber diese problematische Tradition aufgearbeitet und setzt sich weltweit für Religionsfreiheit ein, auch für Nicht-Christen. Die Konzilserklärung Nostra Aetate über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen betont zum Beispiel die Bedeutung des interreligiösen Dialogs für den Frieden in der Welt. Zum Katholischen gehört auch die Idee der Inkulturation: Also anderen nicht den eigenen Glauben überstülpen, sondern die andere Kultur ernstnehmen und versuchen, in der Sprache der anderen Kultur sprachfähig zu werden. Früher hat die Kirche nur ihr eigenes Recht auf Meinungsfreiheit verteidigt, heute gehört der Einsatz für diese Grundrechte für alle zu den Grundsätzen kirchlicher Menschenrechtspolitik. Ein Beispiel ist die Erklärung der US-amerikanischen Bischöfe zur Netzneutralität: Da geht es natürlich auch um Lobbyarbeit in eigener Sache, aber man verlangt keine Privilegien, sondern setzt sich für eine gute Regelung für alle ein. Auch in den Dokumenten, die ich erwähnt habe, wird immer wieder die freie Struktur des Netzes erwähnt, die es zu erhalten gilt. Was die Heiligenverehrung speziell angeht: Das ist natürlich sehr katholisch; nicht alle christlichen Konfessionen können damit etwas anfangen, für Protestanten ist das völlig fremd: Da vertrauen wir dann auf die Toleranz und ein pluralistisches Verständnis davon, was es alles im Christentum gibt.
Ihr wollt mit der Patronats-Idee also nicht überall im Internet Kreuze aufhängen?
Nein. Aber so wie in einer lebendigen Stadt Kirchen, Moscheen, Synagogen selbstverständlich zum Stadtbild gehören, gehört die Kirche auch ins Netz. Aber das ist die Aufgabe von Christinnen und Christen, irgendwelche äußerlichen, vielleicht sogar staatlichen Zwänge sind da weder dienlich noch erwünscht: Kreuzzwänge verdunkeln eher die Botschaft, als dass sie dem Christentum nützen. Im Isidor-Gebet haben wir die Bitte um „Mut, die Wahrheit zu verkünden“ und die Bitte um Unterstützung, „dies im Geist der Liebe zu tun“. Wichtiger als plakative Kreuze ist es, dass Christ*innen eine christliche Haltung an den Tag legen. Das wollen wir als Selbstverpflichtung der Christ*innen zur Netzgemeinschaft beitragen.
Wer ein Heiligenbild in Händen halten möchte: Es gibt es beim Netzgemeindefest im Rahmen der republica am 2. Mai