Was geht online? Die Netzkulturcharts sind meine völlig subjektive Antwort auf diese Frage. Ich liste darin Phänomeme auf, die ich inspirierend, interessant oder bemerkenswert finde. Sie sind regelmäßiger Bestandteil meines Digitale Notizen-Newsletters.
Der Begriff „Netzkultur“ ist dabei bewusst offen und der zeitliche Bezug kann schlicht daran liegen, dass mir dieses Phänomen erst in dem Monat aufgefallen ist. Die Charts aus den Vormonaten stehen hier.
Platz 1: Der Podcast-Typ
Die Internet-Scherzfrage geht so: Wie nennt man es, wenn zwei Männer einander mansplainen? Die Antwort: Ein Podcast!
Männer mit Podcasts sind längst zu einem running-gag des Web geworden. Mark Edwards spielt diesen running-gag seit Wochen mit einer sehr schönen Parodie auf das Selbstbewusstsein und die vermeintliche Cleverness der Podcast-Typen weiter. Die Clips zeigen einen „Guy with a podcast“, der nicht selten mehrere Brillen trägt, die er gedankenschwer absetzen kann. Seine vermeintlichen feinsinnigen und tiefgehenden Beobachtungen (Let Me Blow your Mind!) werden einzig von dem wiederkehrenden Satz „Chris is leaving“ unterbrochen, mit dem er sich auf einen vermeintichen Kollegen bezieht.
Platz 2: Mastodon
Statt dem Hype „Was ist das neue Twitter?“ nachzugehen (keine Ahnung, was mit Bluesky wird), lohnt es sich, den Blick auf das Fediverse und Mastodon zu richten. Vor einer Weile schon habe ich darauf hingewiesen, dass ich es richtig und gut fände, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk Mastodon testen würde. In den vergangenen Wochen haben ARD und ZDF Instanzen gestartet und auch Mozilla hat konkrete Pläne angekündigt. Deshalb durfte ich in Breitband im Deutschlandfunk-Kultur eine kurze Einschätzung zum Thema geben: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könnte mit ein bisschen Pathos gesprochen auf Mastodon eine Vorbild-Funktion haben: Es gibt eine Alternative zu dem, was uns dieses Onlinemarketing-Rockstars-Internet zeigt, dass alles immer reichweitenoptimiert und vermarktungsrelevant sein muss. Im Rundfunk ist das durch den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk gelungen, Mastodon könnte ein erster Schritt sein, das mit dem Internet zu zeigen.“
Platz 3: Was wird
Sabine und Klaus kommen vom Bodensee. Das ist eine „wunderschöne Ecke“ sagt Horst Lichter in der Sendung Bares für Rares. Das ZDF hat diesen Dialog vor ein paar Wochen auf Tiktok gestellt, weil Sabine und Klaus dort Stars sind. Tiktok-Nutzer:innen haben das Dopelinterview mit Sabine und Klaus zu dem gemacht, was man im Bares für Rares-Kontext wohl „ein geflügeltes Wort“ nennen würde. Dabei geht es vor allem darum, dass Klaus nachspricht was seine Frau Sabine erzählt: „Wir freuen uns“ – „Wir freuen uns.“ – „Schauen wir mal was wird.“ – „Was wird.“ Gerade der letzte Teil fliegt mit großer viraler Freude durchs Netz: Weshalb der offizielle ZDF-Account die schöne lange-Pause-Liebesgeschichte der beiden gepostet hat. Schauen wir mal was wird. Was wird.
Platz 4: Prince of Germany
Das Video, das man bei Puls von ihm findet, ist etwas irreführend: In der Puls-Live-Session aus dem Jahr 2016 ist Jordan Prince als Musiker zu sehen und zu hören, der Gitarre spielt und mit großer Singersongwriter-Ernhaftigkeit ins Mikro singt. Irreführend ist dies, weil er der Netzgemeinde des Jahres 2023 vor allem als Prince of Germany bekannt ist. Unter diesem Namen ist er sehr genau beobachtender Comedian zu sehen, der deutsche Eigenarten aus der Perspektive eines Amerikaners aufzeigt. Das ist sehr lustig – und vergleichbar mit dem Doppelleben, das die beiden Musiker von Lionfield innerhalb und außerhalb von Tiktok leben. Matteo Salvatori und Emiliano Santoro treten innerhalb der Netzkulturwelt als Gralshüter der italienischen Kultur auf und haben sich mit ihren wütenden Reaction-Clips auf Pizza-Hawaii-Videos einigen Ruhm erarbeitet. Außerhalb des viralen Hochformats sind die beiden Musiker aus der italienischen Gemeinde Campoleonea (italienisch für Lionfield) aber in erster Linie das: Musiker.
Dass das allein nicht mehr reicht, war hier schon mal in den Netzkulturcharts Thema. Jordan Prince und Lionfield zeigen aber, wie man es auch machen kann.
Platz 5: Dadjokes
Das Spiel mit vermeintlich lustigen Vaterwitzen ist soweit durchgespielt, dass zum diesjährigen Vatertag sogar der Duolingo-Account Dadjoke postete. Neu sind die auf dem digitalen Generationenkonflikt basierenden Witze ÜBER Väter. NiklasundDavid bedienen die Klischee-Kalauer immer mal wieder. Bierfluencer @clmnsbrock hat seinen Fokus offenbar vollständig auf den Bierbauch und war in diesem Monat in seiner Vaterverkleidung auch auf der OMR.
🎵 Ungebetene Ohrwürmer* des Monats 🎵
- Alexander Desplat „Obituary“ (French-Dispatch-Soundtrack)
- Adam Lambert: „Muffin Man“
- Coi Leary: „Players“
- David Kuschner „Daylight“
- Harriette: „I heart the internet„
* in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ nutze ich Ohrwürmer als Metapher um die Wirkung von Memes zu beschreiben. Deshalb ist es nur konsequent, sie nicht nur metaphorisch, sondern eins-zu-eins zu nehmen.
Besonderer Erwähnung
Dass Otto Waalkes diesen Monat auf Tiktok gestartet ist, ist ein schöner Marketingcoup für den Song Friesenjung von Ski Aggu, der eine Kopie einer Kopie ist. Darüber habe ich in Deutschlandfunk-Kultur ein paar lobende Worte verloren.
Avocados haben eine besondere Bedeutung in den Netzkulturcharts (hier eine ausgesprochen wichtige Erwähnung), deshalb passt es auch gut, dass mein Tiktok-Lieblingswitz aus dem April 2023 auch von einer Avocado handelt. Spoiler: Er handelt von dem Spielzeug-Holzball, den die in die Avocados machen. _cetrez_ ist jetzt übrigens auch auf Instagram.
Der Niedergang des blauen Haken als Status-Symbol hat jetzt einen offiziellen Namen: De-Verification heißt der Trend, der auf die Einführung des Bezahlsystems auf Twitter reagiert. Mittlerweile gilt ein blauer Haken dort nicht mehr als Verfikation, sondern als Ausdruck von ,zuviel Geld‘
Es hört nicht auf und es bleibt weiterhin gut: Das Internet liebt Wes Anderson!
Das Duett-Girl ist zurück. Über den großen Spaß, der darin steckt einen Aufruf zum Duett-Stopp zu duetten, habe ich hier schon mal geschrieben. Es gab hier auch eine männliche Variante. Jetzt ist das Duett-Mädchen aber mit neuen Varianten wieder da.
Wo kommen die merkwürdigen Bots her, die Ex-Freund-Kommentare unter Instagram-Videos posten? Zapp ist der Frage nachgegangen, wie mit vermeintlich ergreifenden, esoterischen Geschichten Traffic erzeugt werden soll.
Tiktok hat ein Foryou-Fest gemacht und alle eingeladen, die für die deutsche Foryou-Page wichtig sind. Hier ein Insta-Video davon.
Es gibt eine Menge Stromberg-Kopien im Netz, für mich hat der The C-Man-Stanaccount aber am besten eingefangen, wie deprimierende Büro-Atmosphäre in der Gegenwart aussehen würde. Stichwort: Energie Vampir
Ganz hohe Kopierkunst ist, was Adam Lambert in der Jimmy Fallon-Show gezeigt und damit das Netz inspiriert hat: Er sind im Stile Chers den Song „Muffin Man“. Das Konzept des vermeintlichen musikalischen Zufallsrads gibt es übrigens auch in der Carolin Kebekus-Show
Mehr zum Thema Netzkultur gibt es in dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ und im monatlichen Newsletter ,Digitale Notizen‘.