Streak! Wenn dein Inhalt einen Lauf hat (Digitale Februar-Notizen)


Dieser Text ist Teil der Februar-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann. Das Bild oben wurde mit Hilfe einer KI in Canva erstellt. Der Prompt lautete: „Zeige Menschen, die fröhlich ihr Handy nutzen. Über ihnen soll ein Plakat hängen, auf dem Täglich steht“


Jetzt auch noch BeReal!

Seit ein paar Tagen gibt es in meinem täglichen Fototagebuch namens BeReal eine neue Herausforderung: den Streak. Das Ziel dabei: möglichst täglich die App nutzen und zum BeReal-Zeitpunkt ein Doppelfoto posten. Wer das tatsächlich fünf Tage in Folge tut, wird von der App dafür gelobt – und startet einen Streak.

Der Begriff lässt sich vermutlich am besten als „Strähne“ aus dem Englischen übersetzen. Er kann eine Glücks- oder eine Pech-Strähne beschreiben. Wenn Apps wie BeReal oder Duolingo ihn einsetzen, geht es aber sehr positiv konnotiert darum, einen Lauf zu haben.

Diese Beschreibung fällt mir auch deshalb ein, weil ich den Begriff zuerst im Laufkontext kennenlernte. Der Streak-Run ist eine tägliche Lauf-Challenge mit dem Ziel, jeden Tag mindestens 1,6 Kilometer (entspricht etwa einer Meile) zu laufen. Im Laufprojekt Minutenmarathon bei der SZ haben wir diese besondere Herausforderung mehrfach genutzt. Im konkreten Projekt Minutenmarathon-Streak geht es darum, die 42 Tage vor Weihnachten täglich laufen zu gehen.

Der Vorteil der Streak-Herausforderung: sie sichert Kontinuität und ritualisiert den guten Vorsatz laufen zu gehen. Die Lernapp Duolingo hat diese Form der täglichen Motivation in den Kern ihres Angebots eingebaut. Im vergangenen Frühjahr habe ich ausführlich über die Motivation-Methoden der App geschrieben – denn an ihnen kann man ablesen, wie digitale und zeitgemäßge Aufbereitung von Inhalten gelingen kann.

Unlängst konnte ich in der App zum Beispiel ein neues Icon auf dem Bildschirm meines Smartphones auswählen – als Zeichen meines Durchhaltevermögens. Ich hatte 30 Tage am Stück jeden Tag in der App gelernt. Zum Dank erhielt ich eine feurige Version des App-Icons.

Ich erzähle das alles hier, weil ich fest davon überzeugt bin, dass es nicht mehr lange dauert, bis auch Medien, die den Streak im Namen tragen, diese Form der nutzer:innen-zentrierten Aufbereitung einführen werden: Tageszeitungen!

Der Streak ist ein besonders anschauliches Beispiel dafür, was inhaltegetriebene Medien von nutzungsgetriebenen Medien lernen können. Ich habe keine Ahnung, ob es diese Begriffe gibt. Sie beschreiben meiner Ansicht nach aber am besten den Unterschied zwischen dem Konzept hinter Nachrichten-Apps einerseits und Sprach- oder Laufapps wie Duolingo andererseits.

Inhaltegetriebene Medien stellen den von ihnen produzierten Content in den Mittelpunkt (und neigen deshalb immer eher dazu, senderorientiert zu denken). Nutzungsgetriebene Medien wissen, dass ihre Inhalte sie nicht differenzieren. Duolingo hat keine eigene Version der italienischen Grammatik erfunden und wird deshalb auch nicht ausschließlich wegen des Inhalts gekauft – wegen der regelmäßigen Nutzung, die Lernfortschritt garantiert hingegen schon. Wie Spotify diese Positionierung als nutzungsgetreibenes Medium von Anfang eingesetzt hat, habe ich in einem Interview in „Das Ende des Durchschnitts“ besprochen.

Nutzungsgetriebene Medien zeichnen sich dadurch aus, dass sie konsequent auf die Bedürfnisse derjenigen ausgerichtet sind, die sie täglich nutzen sollen. Hier beginnt der Prozess. Mein Streak startet zum Beispiel genau dann, wann ich anfangen und nicht, wenn ein neuer Inhalt veröffentlicht wird. Diese Form der nutzer-zentrierten Aktualität ist in zweiter definitorischer Bestandteil nutzungszentrierter Angebote, die auf Routinen und Rituale setzen. Die Lernapp Blinkist zum Beispiel schickt mir jeden Morgen einen Blink des Tages. Dessen Aktualität orientiert sich übrigens seltener an externen Faktoren wie historischen Ereignissen als stets an meinen eigenen Interessen. So stellt die App sicher, dass ich für mich einen Lernfortschritt spüre.

Selbstwirksamkeit, das ist die Erkenntnis aus dem Streak-Run, ist die beste Motivation. Nutzungszentrierte Apps stellen diese Selbstwirksamkeit in den Mittelpunkt. Sie zeigen, ihren Nutzer:innen wie lange sie schon lernen, knipsen, lesen. Sie schaffen Rituale und Messbarkeit – und nicht selten einen zweiten meist spielerischen Grund, die App zu nutzen. Schaffst du die Challenge? ist die kleinste Münze der großen Währung „Gamification“.

Wie zentral Gamification auch für inhaltegetriebene Medien sein kann, kann man in diesem Blick hinter die Kulissen der Rätsel-Redaktion der New York Times lesen. Vanity Fair hat das Team besucht, das spätestens seit dem Erfolg von Wordle das Interesse der internationalen Medienöffentlichkeit geweckt hat. Wenn man sich durchliest, wie dort gearbeitet wird, scheint ist nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Ideen aus diesem nutzungsorientierung Teil der New York Times auch den inhalteorientierten Teil der Streak-Zeitung erreichen. In dem Text heißt es: „The half joke that is repeated internally is that The New York Times is now a gaming company that also happens to offer news.”

Ich glaube, dass darin die große Herausforderung für die Zukunft von Inhalte (im digitalen Raum) liegt: wie es gelingt, sie so zu bauen, dass sie Interesse wecken. Und dabei spielen Ideen nutzungszentrierter Medien ganz sicher eine große Rolle. Und der Streak ist dabei ein besonders offensichtliches Beispiel.

Deshalb meine Bitte: Sobald Sie sehen, dass eine Tageszeitung diese Idee nutzt: sagen Sie mir Bescheid! Ich werde es hier ergänzen!


Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem ich mich seit Jahren mit der Zukunft von Inhalten im digitalen Umfeld befasse – z.B. auch in diesem Text über Duolingo. Zu dem Thema habe ich auch mehrere Bücher geschrieben – gerade ist das Laufbuch Marathon-Fitness erschienen, das mit all dem mehr zu tun hat, als man zunächst denkt.