Dieser Text ist Teil der Mai-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann. Er bezieht sich auf die Diskussion auf der republica24, an der ich teilnehmen durfte.
Das Motto der aktuellen re:publica lautet „Who cares?“ („…richten wir deshalb einen Fokus auf Care-Arbeit im aller weitesten Sinne….“) Ein Aspekt dieser Motto-Wahl lautet für mich auch: Wen kümmerts? Damit meine ich die Frage wie wir unsere Aufmerksamkeit verschenken und worum wir uns kümmern (warum das sehr politisch ist, habe ich z.B. in Wesentlich weniger zu beschreiben versucht).
Ich durfte mich auf der re:publica-Bühne (Danke fürs Foto, Lina Timm) mit um die Frage kümmern: Wen kümmerts was aus Twitter wurde? (hier die Debatte als Video)
Und die erste Antwort lautet: Ganz schön viele Leute. Und die Antwort wohin wir nach Twitter ziehen, ist gar nicht so leicht zu beantworten.
Hier als tl;dr meine These von der Bühne:
Der Zauber des frühen Twitter basiert auf der Mischung aus digitaler Nachbarschaft und inhaltlicher Vernetzung. Der erste Teil ist für mich zu BeReal und in Storys lebendig. Für die inhaltliche Verbindung gibt es keine einfache Lösung mehr – wir müssen sie gerade selbst bauen und suchen. RSS, Blogs, Newsletter und das Fediverse könnten hoffnungsvolle Anworten liefern.
Twitter ist seit ein paar Tagen auch offiziell Geschichte. Der etwas holprige Rebranding- und Redirecting-Prozess der Marke ist abgeschlossen und die nun unter dem Namen X.com geführte Plattform hat jetzt auch einen anderen Namen als das Twitter, das es mal war. Das ist vermutlich das beste, was Elon Musk mit und bei Twitter gemacht hat. Denn nun kann man über Twitter reden – ohne in Verdacht zu geraten, über die schreckliche X-Plattform sprechen zu müssen, zu der Musk Twitter gemacht hat.
Ich bin, war und werde immer Twitter-Fan bleiben. Ich mag die Grundidee und konnte nie das Gejammer einiger klassischer Medien verstehen, die Twitter als Stimme einer ungezügelten, woken, schimpfenden Stimme der Amateur:innen beschrieben haben. Wie falsch diese Beschreibung in Wahrheit war, bemerkt, wer heute auf X.com geht und dort in den Abgrund eines kaum moderierten auf reine Provokation angelegten Netzwerks blickt.
Wann immer ich dort hinschaue, frage ich mich: Wen kümmerts eigentlich, in welchem Kontext die eigenen Inhalte erscheinen?
Ich habe meinen Account, den ich sehr geliebt habe, pausiert. Aus mehreren Gründen habe ich ihn nicht gelöscht – und der unwichtigste davon ist: Ich mag die Grundidee von Twitter weiterhin. Die beiläufige Belanglosigkeit, mit der ich dort digitale Nachbarschaft pflegen konnte, fehlt mir sehr. Es gibt den einen Ort nicht mehr, an dem ich z.B. direkt nach dem Panel auf der re:publica nachschauen könnte, wie die Reaktionen sind (sehe aber gutes Feedback bei Threads und auf Mastodon). Wie zersplittert die digitale Öffentlichkeit durch den Niedergang von Twitter geworden ist, lässt sich an der Übersicht der Accounts ablesen, die re:publica selbst pflegt.
Alle diesen Plattformen konkurieren um etwas, was Twitter sehr selbstverständlich war: Ein Ort fürs inhaltsgetriebene Netzwerken. Ich glaube es ist wichtig, diesen Schwerpunkt beim Netzwerken zu setzen, weil man sonst in die Falle aller Plattformen läuft – und die erfundene Follower-Währung! Das ist vermutlich die nachhaltig schädlichste Erzählung, die die Plattformen uns aufgetischt haben: die von der Reichweite, die sie allerdings selbst messen. Deshalb hier drei kleine Hoffnungsschimmer für die Debatte um die Zukunft sozialer Netze:
1. Relevanz ist mir wichtiger als Reichweite
Das Netz der Netze verbindet Menschen und Ideen. Das ist toll. Um zu bewerten, wie toll es ist, solltest du dir aber die Frage stellen: Mit welchen Zielen willst du verbunden sein? Ich habe schon vor ein paar Jahren entschieden: mir geht es um inhaltliche Verbindungen. Deshalb habe ich angefangen zu bloggen und soziale Netzwerke zu nutzen. Ich poste etwas – und bekomme mehr zurück. Weil Menschen auf meine Inhalte reagieren – und mich schlauer machen. Reichweite spielt in dieser Gleichung nur eine nachrangige Rolle, anders formuliert: „Wer lose Verbindungen nur eingeht, um damit Reichweite zu steigern, ist an Verbindung nur als Mittel zu einem anderen Zweck interessiert.“ Und dieser andere Zweck hängt dann ausschließlich an der Metrik der Netzwerke, die nicht unabhängig überprüfbar ist.
Wer sich als öffentliche Institution oder Akteur:in auch Zielen verpflichtet sieht, die über die kommerzielle Logik der Plattformen hinaus geht (hat jemand Relevanz gesagt?), sollte sich fragen: Welche Erfolgskriterien haben wir, die über die Messung von Followern und Plattform-Klicks hinaus gehen?
2. Accounts sind nicht immer auch Menschen
Manche mögen behaupten, es sei naiv daran zu glauben, dass ein anderes Netz möglich ist. Ich glaube, es ist naiv in Zeiten von Bots und Fake-Newsaggregatoren weiterhin daran zu glauben, dass hinter jedem Account auch ein Mensch stünde. Wir müssen nicht nur über von Robotern generierte Inhalte sprechen, sondern auch über künstliche Fake-Accounts, die so lange Bedeutung vorgaukeln wie wir glauben, die x-Likes stünden tatsächlich für x Menschen, die sich für meine These interessieren.
3. Ein anderes Netz ist möglich
Die Krise der Untergang von Twitter erinnert uns daran: Es muss nicht so bleiben wie es ist. Ich mag den Vergleich von Felix, Plattformen wie Kneipen oder Cafes zu sehen (manchmal bringen sie lustige leute zusammen, mal entstehen interessante debatten, im besten fall sind sie bunt und inspirierend. aber was sie nie sind: von dauer, selbst wenn man sie selbst betreibt. enjoy while it lasts.) Und wenn wir so denken, gibt es berechtigten Anlass für die Hoffnung: wir werden eine bessere Kneipe finden. Frank McCourt erinnert uns daran – und vielleicht sollten wir unsere Mandats- und Würdeträger:innen daran erinnern: Sie brauchen X nicht, um sich öffentlich zu äußern. Mein Wunsch an den Bundeskanzler und seine Minister:innen – Stellt Eure Botschaften, Videos und Anmerkungen doch einfach auf Eure Websites.
Vielleicht eine motivierende Erinnerung nach dieser Debatte: Das World-Wide-Web ist eine ziemlich gute Erfindung (in diesem Zusammenhang möchte ich auf den Ueberblogr-Webring hinweisen, von dem ich bei Daniel Fine gelesen habe – und an dem ich asap auch teilnehmen möchte)
Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter „Digitale Notizen“, der stets am Ende des Monats kostenfrei verschickt wird. Darin befasse ich mich immer wieder sozialen Medien und mit den Mustern digitaler Kommunikation (so lautet übrigens der Untertitel meines Meme-Buchs), z.B. in dem Text Das Einfluß-Paradox der Gegenwart oder Die Empörung der Anderen und zuletzt Widerspruch ist die beste Werbung