Ich kenne Eli Pariser nicht persönlich. Mir liegt auch nichts daran, ihn zu verteidigen. Ich glaube aber, dass ihm gerade an einigen Stellen unrecht getan wird – und dass das etwas über die Art sagt, wie Netzdebatten geführt werden.
Vor ein paar Wochen habe ich sein Buch The Filter Bubble in der SZ vorgestellt. Dabei habe ich versucht, seine Kernthese darzustellen, aber auch die Schlussfolgerungen, die er zieht. Ich fand gerade die hinteren Kapitel seines Buchs spannend. Weil ich sie als Grundlage für eine aktive Netzpolitik gelesen habe.
Zahlreiche Texte, die sich mit Parisers Buch befassen, beschränken sich aber darauf, seine Kernthese zu widerlegen, statt auch der Frage nachzugehen, aus welchem Grund er diese These so ausführlich darlegt – also die Frage zu beantworten: Worauf will Pariser eigentlich hinaus?
Ich habe sein Buch mitnichten als Beispiel für „eine geradezu klassisch kulturpessimistische Sicht“ gelesen. Diese unterstellt Peter Glaser in einem Von wegen Filterblase betitelten Beitrag auf Hyperland. Ihn störe am meisten, schreibt Glaser,
dass es ein längst abgelegtes Menschenbild, nämlich das des wehrlosen, manipulierbaren Medienopfers, aus der Mottenkiste holt.
Das würde ich auch als störend empfinden. Aber genau dieses Bild bedient Pariser meiner Meinung nach nicht. Im Gegenteil: Er versteht den aktiven Rezipienten als Gestalter seiner (Medien-)Realität. Er liefert sogar Anleitungen, diese Realität sehr bewusst und gegen die Filter-Blase zu formen. Gleichzeitig sagt er aber: So lange Page- und Edge-Rank nicht offen liegen, sind diese Gestaltungsversuche nicht so effektiv wie sie sein könnten, wenn man Google und Facebook als Öffentlichkeits-Akteure in die Pflicht nimmt. Ich halte diesen Ansatz für zumindest diskutabel. Doch statt dieser Frage nachzugehen, räumt Glaser mit einer Art All-inclusive-Argument das gesamte Buch beiseite:
Man könnte auch sagen, dass Eli Pariser Schwierigkeiten mit der Tatsache hat, dass die Welt und damit auch die Demokratie immer komplexer wird. Das Zeitalter der Massenmedien geht zu Ende, nun beginnt die Zeit der Medienmassen. Ja, zunehmend viele unterschiedliche Zugänge und Auffassungen sind mühsam. Aber stattdessen alles wieder auf eine Mainstream-Einheitlichkeit zu reduzieren, ist auch keine Lösung.
Ich glaube nicht, dass es Pariser darum geht. Im Gegenteil: Er beklagt, dass Komplexität verloren geht. Ich habe das Buch eher als Hinweis auf die Frage verstanden: Taugen unsere überkommenen Vorstellungen von Relevanz eigentlich noch, wenn im Netz sich neue Interpretationen dessen entwickeln? Denn wenn sich die Zuckerbergsche Variante durchsetzt, heißt das, dass relevant nur noch das ist, worauf ich reagiere. Das bedeutet aber eben, dass womöglich gerade keine unterschiedlichen Zugänge und Auffassungen angezeigt werden. Und das verändert die Wahrnehmung. Selbst wenn man die anderen Zugänge und Auffassungen finden könnte, sie sind nicht mehr präsent.
Die Frage nach den Folgen einer solchen Entwicklung zu stellen, halte ich für sehr wegweisend. Denn sie ist nicht von Kulturpessimismus getrieben, sondern von der Sorge, die Gestaltung von gesellschaftlicher Relevanz und Öffentlichkeit nicht allein den Geschäftsinteressen von Google und Facebook zu überlassen.
Wenn es selbst ein junger Netzaktivist wie Eli Pariser nicht schafft, diese Frage auf die Agenda zu bringen, ohne gleich in die Ecke der Kulturpessimisten gestellt zu werden, scheint die Debatte über das Netz und seine gesellschaftlichen Folgen doch stärker von Reflexen und Automatismen durchzogen als es gut ist. Das finde ich schade. Denn ich glaube, wir brauchen über kurz oder lang eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage, wie die wachsende Personalisierung von Nachrichten mit unserer Lagerfeuer-artigen Vorstellung von allgemeiner Öffentlichkeit zusammengeht.
5 Kommentare
Danke für die Einschätzung – ich hatte tatsächlich kurz überlegt, ob sich die Lektüre des frisch betsellten Buches denn lohnt; die Punkte hier im Beitrag haben mich darin bestärkt, mir es jetzt mal vorzunehmen :-)
[…] Filterblase – die hinteren Kapitel | Digitale Notizen "Taugen unsere überkommenen Vorstellungen von Relevanz eigentlich noch, wenn im Netz sich neue Interpretationen dessen entwickeln?" (Tags: FilterBubble Relevanz ) […]
[…] von Gehlen antwortet auf Peter Glaser in seinem Blog und kommt zu einer ganz anderen Meinung: Filterblase – die hinteren Kapitel. Ich habe das Buch eher als Hinweis auf die Frage verstanden: Taugen unsere überkommenen […]
[…] in der wir denken könnten, dass die ganze Welt unserer Meinung ist. Das zentrale Problem: der Komplexitätsverlust, der damit einhergeht. Die Realität wird nur unzureichend […]
[…] anderem leitet sich das Bild des Gatekeepers her – nicht aus dem Schreiben. Es geht ums Filtern und Gewichten – und wer es gerne künstlerisch mag, kann auch sagen: ums […]