Was ist (guter) Online-Journalismus?

Ende des Monats bin ich eingeladen im Rahmen eines Kurses an der Deutschen Journalistenschule einen Online-Block zu begleiten. Dabei bin ich sehr konkret mit der Frage konfroniert: Was heißt eigentlich Online-Journalismus?

Die Frage klingt sehr banal, es gibt aber eine Menge Anzeichen dafür, dass die Beantwortung äußerst kompliziert ist. Im Rahmen des CNN-Young Journalists Award wurde in diesem Jahr zum Beispiel mit der Begründung auf die Verleihung eines Online-Preises verzichtet, dass fast keine der eingereichten Arbeiten „mit den großartigen neuen Möglichkeiten des Onlinejournalismus“ spiele. Juror und Kollege Stefan Plöchinger sagte damals: „Da war mir und uns das Signal wichtig: Redaktionen, bitte entdeckt endlich, was auf dieser interaktiven, unglaublich lesernahen, multimedialen Plattform im Jahr 2012 möglich ist! Ich nehme von der damit verbundenen Kritik niemanden aus.“

Was also macht guten Online-Journalismus – im Abgrenzung zu guten Journalismus auf Papier, im Fernsehen oder im Radio – aus? Welche spezifischen Stärken könnten Online-Journalisten für ihre Publikation und Kommunikationnutzen? Konkret: Was soll ich den Schülern an der DJS erzählen?

Zunächst mal will ich sie mit dem Zitat des ehemaligen Design-Directors der New York Times Khoi Vinh konfrontieren, der im Rahmen eines Vortrags in der Schweiz gesagt hatte:

“Analog media is a document. Digital media is a conversation.”

(bei swissmiss steht übrigens, was da genau im Hintergrund abläuft)

Und da ich das nicht nur erzählen, sondern auch ernst nehmen will, verbinde ich es mit der Frage an die Blog-Leserinnen und Leser: Was genau macht guten Online-Journalismus für Dich und Sie aus?

Ich will von Storify sprechen, von dem was Clay Shirky „soziales Lesen“ nennen würde, vom Open Journalism des Guardian und von der Verbindung von Form und Inhalt wie in diesem Text über Stupid Games aus der New York Times. Was soll ich noch erzählen? Ich freue mich auf Vorschläge – in den Kommentaren, per Mail oder Twitter.

Vielen Dank!

11 Kommentare

Viel Stress, deshalb wenige Worte.

Grundsätzlich: Ich weiß nicht, was „der Onlinejournalismus“ ist, deshalb finde ich es auch schwierig, zu definieren, was „den Onlinejournalismus“ ausmacht. Natürlich kann man sagen: Alles, was im Internet steht, ist OJ – genauso wie man sagen kann: Alles, was in der Zeitung steht, ist Printjournalismus. Aber auch für PJ gibt es kein einheitliches Qualitätskriterium. Eine exklusive Recherche muss nicht mitreißend präsentiert sein; es reicht, wenn die Fakten für sich sprechen. Ein Portrait muss keine weltbewegenden Neuigkeiten beinhalten; es reicht, wenn ich dem Menschen nahe komme.

Deshalb würde ich eher sagen: Onlinejournalismus kann gut sein, wenn …
– er den Leser nicht nur als Konsumenten, sondern zumindest als Prosumenten begreift (Interaktion, Community Redakteure, Fragen stellen und diskutieren)
– einmal aufgeschriebene Geschichten nicht per Klick auf den Publish-Button ad acta gelegt werden, sondern laufend ergänzt und angepasst werden (neue Recherche-Ergebnisse, Anregungen der Kommentatoren, Fehler früherer Versionen transparent machen)
– die technischen Möglichkeiten genutzt werden. Ich liebe Audio-Slideshows, obwohl sie weder interaktiv noch sozial sind. Mir reicht es, wenn sie gut sind. Deshalb: „Analog media is a document. Digital media is a conversation.“ Für mich nicht zwangsläufig.

… ich führe das bei nächstbester Gelegenheit weiter aus. Jetzt Arbeit.

leider kannst du ihnen http://www.rebell.tv nicht mehr zeigen. dort merkte man schnell, dass journalismus online ganz was anderes ist, als offline. deshalb bin ich überzeugt, dass der begriff journalismus online verschwinden wird (oder massiv transformiert werden wird).

transparenz ist was extrem wichtiges. die einträge auf rebell.tv waren vergleichsweise kryptisch; aber es verhalf einem regelmässigen gast, quasi den gedanken des «journalisten» zu folgen. der macher von rebell.tv war fast durchgehend online, wenn er wach war und machte teile seiner gedankengänge sichtbar. dadurch wusste man, weshalb er wen traf und über welches thema er redete.
auch teil der transparenz: er hat nichts geschnitten. wenn er menschen traf und das gespräch mit ihnen aufnahm (ob audio oder video), dann hat er nichts rausgeschnitten. das machte die situation und die aussagen in einer gewissen weise authentischer.

verlinkungen sind ganz wichtig! (das wollen jedoch die kommerziellen online-newsportale nicht)
wenn rebell.tv online wäre, dann hätte ich nun zu jedem beispiel einen link setzen können. auf diese weise könnten online-journalisten zb. die quellen sichtbar machen.

dies leider nur ganz kurz. vielleicht wird jedoch ein online-journalist künftig vor allem ein «daten-/fakten-/informationsschürfer» sein, die er dann in ein programm einspeist, das selber den text schreiben wird: http://www.scilogs.de/wblogs/blog/robotergesetze/roboter/2012-04-11/roboter-als-journalist

ganz wichtig: online kann jeder ein journalist sein (so wie er auch künstler sein kann)

per zufall habe ich gestern hier kommentare hinterlassen, die nicht veröffentlicht wurden (diese thesen über den journalismus im 21. jahrhundert beziehen sich jedoch grösstenteils auf print): http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline/index.php/36/15-thesen-zum-journalismus-im-21-jahrhundert/

hier die kommentare von mir, die nicht veröffentlicht wurden (ich finde es keinen skandal, dass sie nicht veröffentlicht wurden; sondern sehr aufschlussreich, wenn sie in diesem kontext nicht veröffentlicht werden): http://cabaretvoltaire.posterous.com/wenn-newsnetz-meine-kommentare-nicht-veroffen

@philipp meier: mir sind keine kommentare aufgefallen, die nicht freigeschaltet wurden. um welche kommentare handelte es sich?

mit «hier» meinte ich «dort» (den links folgen, die ich angehängt habe…)
pardon!
ob dieses missverständnis ein hinweis auf die zeit/raum-problematik von online(journalismus) sein könnte?
wann? jetzt! (echtzeit)
wo? hier! (alles auf meinem schirm)

Ich möchte mich Simon in vielen Punkten anschließen (von den stressbedingten wenigen Worten über die Definitionsfrage hin zu den Prosumenten) und will noch ein paar Ideen hinzufügen: Onlinejournalismus kann gut sein, …
— wenn er sich seiner Crossmedialität bewusst ist und diese im Bezug auf neue Möglichkeiten hin auslotet. (Z.B. eine interaktive Echtzeitberichterstattung via Twitter, die neben einem Onlineartikel eingebettet wird und das Thema stetig aktualisiert. Oder eben der kompetente Umgang mit Storify.) – Der gute Onlinejournalist als Neuemedientester?
— wenn er sich trotz Beschleunigungstendenzen und den recht einfachen Möglichkeiten der Onlinerecherche ausreichend Zeit nimmt, seine Quellen zu prüfen. – Der gute Onlinejournalist als Quellenkritiker?
— wenn der Onlinejournalist sich selbst auch als Sammler, Prüfer und Vermittler begreift und damit sein Produkt als etwas, das einem Wandel unterzogen ist und sich aus verschiedenen Filtern speist. Journalismus in digitalen Medien kann man im Optimalfall als Gespräch begreifen. Im schlimmsten Fall reden aber alle durcheinander, man verliert den Überblick (wie ich manchmal am Esszimmertisch mit der polnischen Familie) und aus dem roten Faden wird ein buntes Wollknäuel – der gute Onlinejournalist als Moderator?

Als jemand, der Journalismus nur aus der Kon-/Prosumentensicht sieht, kann ich mich den Vorrednern nur anschließen: Transparenz und Interaktion sind m.E. die wichtigsten Aufhänger für guten Journalismus im Netz.

Links zu Quellen, vertiefenden Artikeln, zu vorangegangenen Debatten/Beiträgen etc. sind ein Muss, ich möchte als Leser die Möglichkeit haben, mir das big picture zu erschließen.

Ebenso erwarte ich, dass der Autor sich der Leserschaft stellt, sei es um Rückfragen zu beantworten oder auch um eine aus seinem Beitrag entstandene Diskussion zu begleiten. Dies ist mMn. umso wichtiger, da Online-Journalismus (zumindest gefühlt) viel persönlicher geworden ist – die Autorenperspektive wird häufig bewusst hervorgehoben, ohne dass man sich unter dem Deckmantel des Muttermediums verstecken kann.

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