Viel hatte ich erwartet, nur sicher kein Schild mit Twitter-Hashtag. Aber der Unterausschuss trägt die Angabe „Neue Medien“ im Namen und das scheint zu verpflichten. Zum Beispiel dazu, diesen Namen in Kurzform zu kondensieren und auf ein kleines Schild neben den Vorsitzenden Sebastian Blumenthal zu stellen: #UANM
Ich war am Montag in der Sitzung des Unterausschuss Neue Medien des Deutschen Bundestag zu Gast, als so genannter Sachverständiger. Das Thema „Vermarktung und Schutz kreativer Inhalte im Internet“.
Unter diesem Schlagwort kann man auf Twitter allerlei Spam nachlesen (ein Problem, das Twitter übrigens bald lösen sollte, dass beliebte Hashtags derart blockiert werden). Aber auch eine Livekommentierung der Einschätzungen, die die Sachverständigen zum Thema abgaben, kann man nachlesen. Schutz, so der Eindruck der vorab verschickten Fragen, scheint vor allem durch höhere Strafen möglich zu sein. Jedenfalls dominierte die Bewertung des von Prof. Schwartmann verfassten Gutachtens zum so genannten Warnhinweismodell den ersten Teil der Debatte. Dabei kamen – wie Spiegel Online wie ich finde sehr richtig bewertet – die rechtlichen und gesellschaftlichen Bedenken klar zum Ausdruck. Im zweiten Teil ging es dann um Geschäftsmodelle im digitalen Raum, was Florian Drücke (Bundesverband der Musikindustrie) zu der halb ernsten, halb spaßigen Feststellung brachte, dass derjenige, der dazu Ideen hat, doch Risikokapitalgeber suchen und es ausprobieren solle. Er traf damit einen von zwei Punkten an der aktuellen Debatte auffielen.
Punkt eins dreht sich um die Frage: Warum muss sich ein Bundestagsunterausschuss eigentlich mit Geschäftsmodellen befassen?
Klar, es geht um gesetzliche Rahmenbedingungen und um ein Verständnis dafür, wie Kunst und Kultur im Zeiten der Digitalisierung entstehen. Aber im Kern basiert die Fragestellung auf der Annahme, dass ein funktionierendes Urheberrecht zwingend dazu führen müsse, dass die gelernten Geschäftsmodelle weiterhin funktionieren bzw., dass es da eine kausale Verbindung gebe. Aber: Ist das so? Sollte der Gesetzgeber sich tatsächlich aus dieser Perspektive mit den Folgen der Digitalisierung befassen?
Meine Zweifel begründen sich an folgendem Gedankenspiel: Selbst wenn Veränderungen des Urheberrechts (durch Warnhinweis-Modelle, härtere Strafen oder auch pädagogische Kampagnen) tatsächlich dazu führen würden, dass niemand mehr P2P-Netzwerke nutzen und illegal kopieren würde, blieben trotzdem ein paar Probleme, die an den bisherigen Geschäftsmodellen nicht spurlos vorbeigehen, wie das Beispiel Musik zeigt: Menschen können trotzdem einzelne Songs statt ganzer Alben kaufen. Wenn man dies auf einen angenommenen Wert von zehn Einzelsongs statt zehn Zehnerpakete (also Musikalben) im Jahr hochrechnet, ist man bei Beträgen von zehn mal 99 Cent einerseits und zehn Mal 9.90 Euro (oder sogar noch mehr) vormals. Ein Unterschied um den Faktor zehn, der in keiner Weise mit dem illegalen Kopieren im Zusammenhang steht und von einem verschärften Urheberrecht auch nicht eingefangen werden könnte. Und von diesem ohnehin geschrumpften Umsatz muss dann auch noch ein Anteil an Apple, Amazon oder einen anderen Anbieter abgeführt werden, über dessen Plattform der Verkauf abgewickelt wurde.
Zudem stellt sich die Frage: Haben nicht Anbieter wie simfy oder Spotify das Interesse am Albumkauf zusätzlich gesenkt? Also müsste man nicht von der (ohnehin theoretischen) Zahl der zehn Alben im Jahr zwei weitere (oder mehr?) abziehen, weil die gar nicht so gut waren wie angenommen und den Streaming-Test nicht bestanden haben? Es wäre durchaus verständlich, wenn die Entscheidung zum Kauf von Musik eine höhere Hürde bewältigen muss als früher. Denn der Erwerb von cool aufgeladenen Abspielgeräten für Musik (und andere digitalisierte Kunst) schlägt im Haushaltsbudget eines Musikfans durchaus ebenfalls zu Buche. Denn die iPods, iPads und iPhones müssen ja auch bezahlt werden. Ein weiterer Faktor, der die möglichen Musikumsätze senkt, ohne dass dies in irgendeiner Verbindung zu einem restriktiven oder lockeren Urheberrecht stehen würde. Ich frage mich deshalb, ob es angemessen ist, mögliche Umsatzrückgänge so eng in eine Verbindung zu einer Veränderung des Urheberrechts zu stellen.
Die zweite Beobachtung basiert auf einer interessanten Differenz zwischen dem Inneren des Paul-Löbe-Hauses (wo die Sitzung statt fand) und der Welt davor. Denn die Welt außerhalb des Bundestages ist – wenn man die öffentlichen Meinungsäußerungen der vergangenen Wochen verfolgt – vor allem von der Frage aufgebracht, ob das Urheberrecht nun alsbald aufgeweicht oder gar abgeschafft wird. Alle Äußerungen von Sven Regeners Wutrede bis zum „Wir sind die Urheber“-Aufruf vergangene Woche gründen sich auf dieser Annahme. Im Inneren des Bundestags hingegen ist eine ganz andere Frage Thema: nämlich die Verschärfung des Urheberrechts. Das Warnhinweismodell, das heute debattiert wurde, ist jedenfalls nicht als Abbau der Urheberrechte zu sehen. Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung vor dem Bundestag und im seinem Inneren ist durchaus erstaunlich.
Der mittlerweile ja schon fast berühmten „Versachlichung der Debatte“, die von allen Seiten gefordert wird, wäre es sicherlich dienlich, diese Diskrepanz im Sinne einer realistisichere Darstellung aufzulösen.
Berichte zu der Sitzung gibt es auch bei Spiegel Online, in der FAZ und auf stern.de
1 Kommentar
An sich eine stringente Argumentation, aber eine Nachfrage drängt sich doch auf: Wie genau soll das Argument vom Kauf von MP3-Playern, die dem Musikfans ins Geld schlagen und diese daher keine Musik mehr kaufen, wirklich funktionieren? Seit Jahr und Tag musste man doch Geld in Abspielgeräte investieren. Ob das nun ein iPod oder ein klassischer CD-Player sind, macht doch an dieser Stelle nicht den großen Unterschied!???