Die Zeitung der Zukunft – ein Ort der Freiheit

Während in Deutschland träge wie erwartbar die Zukunft der Zeitung diskutiert und vor allem in Frage gestellt wird, reicht ein Blick nach London um zu sehen: Diese (erstaunlich schlecht kuratierte) Debatte ist von gestern. Wie eine Zeitung von morgen aussehen kann, zeigt der Guardian schon heute. Sonntag wie Montag Abend las ich mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Entsetzen Texte aus der britischen Tageszeitung, die nur einen Schluss zulassen: Die Zeitung der Zukunft ist ein Ort der Freiheit.

Der Text, den Guardian-Chef Alan Rusbridger gestern Abend veröffentlichte und den man heute auch auf Papier lesen kann, ist durchaus als Manifest der Pressefreiheit in digitalen Zeiten zu lesen (und – so überstrapaziert der Begriff ist – ein Must read für jeden Journalisten). Der Mann, dem in den vergangenen Monaten immer wieder vorgeworfen wurde, er riskiere die Zukunft der Branche weil er auf eine Paywall verzichtet, erzählt darin von dem Druck, dem sein Haus ausgesetzt ist, seit der Whistleblower Edward Snowden sich über den Guardian einer weltweiten Öffentlichkeit offenbar hat.

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In dem Zusammenhang lohnt die Frage, warum der Amerikaner Snowden das eigentlich bei einer britischen Tageszeitung getan hat. Weil diese britische Tageszeitung weit mehr ist als das bedruckte Papier, das man in London kaufen kann. Der Guardian ist dabei sich zu einer weltweiten Nachrichtenmarke zu entwickeln gerade zu der relevantesten weltweiten Nachrichtenmarke geworden. Und das geht womöglich nur, weil man sich entschieden hat auf Bezahlschranken zu verzichten und konsequent auf weltweite Reichweite zu setzen. Der Guardian war für Snowden der Garant, dass seine Enthüllungen eine weltweite Öffentlichkeit erreichen. So merkwürdig das in dem Zusammenhang klingen mag: Auf dieser Logik basiert das künftige Geschäftsmodell der Zeitung, die heute soviel mehr ist als ein Newspaper. Denn natürlich werden auch Werbetreibende, die auf der Suche sind nach einer weltweiten Öffentlichkeit, diesen Mechanismus verstehen.

Erstaunlicherweise beweisen die Berichte der vergangenen Tage aber auch im Bereich des so genannten Lesermarkts, dass die Zeitung der Zukunft eine Finanzierungsgrundlage hat: Durch den Angriff auf den Lebenspartner des Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald werden wir alle mit der Frage konfrontiert: Auf welcher Seite stehen wir eigentlich? Und die Seiten – das macht Rusbridger deutlich – sind klar benannt: Der Guardian ist der Ort der (Presse-)Freiheit , ob London das in Zukunft ist, lässt er offen.

Spätestens wenn man als Leser mit einer solchen Entscheidung konfrontiert ist, wird klar, dass das Modell eines Leserclubs mehr ist als der Versuch eines Bezahlmodells: Auf der Seite des Guardians zu stehen, ist spätestens durch die neusten Überwachungsmeldungen eine Entscheidung für die Pressefreiheit. Die Zeitung wird dadurch zu einem sozialen Raum – vergleichbar mit den klassischen Institutionen der Identitätsbildung: Kirchen, Parteien, Vereine sind die vergemeinschaftliche Antwort auf die Frage: Auf welcher Seite stehst du?

Die Zukunft der Zeitung wird genau in dieser Auseinandersetzung geformt: Es ist eine Entscheidung für die Pressefreiheit, mit dem Guardian in der U-Bahn gesehen zu werden, seine Texte im Netz zu verlinken – und womöglich in seinem Freundeskreis Mitglied zu werden. Es sind bisher keine Pläne bekannt, dass Rusbridger vergleichbares plane. Nach den Meldungen der vergangenen Tage wäre dies allerdings nur konsequent: die Tageszeitung als Ort der Pressefreiheit zu formen, in dem man Mitglied werden kann; auch gegen Bezahlung. Nicht nur wegen der Meldungen der vergangenen Tage: Ich würde sofort Mitglied in diesem Club!

Das hat alles nichts mit der deutschen Debatte zu tun? Ist eine Ausnahme, die auf dem Fall Snowden basiert? Wer das denkt, sollte statt der Zeitungsdebatte vielleicht mal eine Tageszeitung lesen – z.B. wie die Leser der Süddeutschen Zeitung (Disclosure: bei der ich arbeite) auf die Arbeit der Kollegen reagiert haben, die nicht nachgelassen haben, im Fall Mollath zu recherchieren.

Wie gesagt: es gibt gerade keinen besseren Ort um an der Zukunft des Journalismus zu arbeiten als eine Tageszeitung!

13 Kommentare

Lieber Dirk, bin leicht irritiert. Ist es nicht egal, ob Print-, Online- oder Tabletausgabe? Geht es nicht um die starken Marken, die im Newsgeschäft und Journalismus eine bestmögliche Performance abliefern müssen. Tag für Tag. Stunde für Stunde. Die eine hoge Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen haben. Mit großer Recherchekraft. Und – ja genau – in Fällen wie „Mollath“ nicht locker lassen dürfen. Ist das Produkt (Papier, e-paper, App) dabei am Ende nicht völlig egal…?

Genau das meine ich Christian: Für mich ist eine starke tagesaktuelle Nachrichtenmarke einfach ein anderes Wort für „Tageszeitung“

OK, Du hast mich überzeugt:

„Wer das denkt, sollte statt der Zeitungsdebatte vielleicht mal eine Tageszeitung lesen – z.B. wie die Leser der Süddeutschen Zeitung (Disclosure: bei der ich arbeite) auf die Arbeit der Kollegen reagiert haben, die nicht nachgelassen haben, im Fall Mollath zu recherchieren.“

Du hast diesen Text aber nicht verlinkt. Oder einen Tag angegeben, an dem der Text erschien. Wo finde ich diesen Text?

Brillant argumentiert, sowohl von Herrn Rusbridger, wie auch von Dir. Chancendenker nach vorn! Endlich sieht mal einer, und spricht’s aus, wie VIEL Potenzial im Wandel zur Informationsgesellschaft steckt. (Deswegen heißt’s doch INFORMATIONSgesellschaft, Ihr Schlafmützen! *scnr*).

Sorry, Dirk, ich kann Dir bei Deiner Argumentation nicht folgen. Der Guardian und die Süddeutsche Zeitung sind doch Leuchtturmbeispiele. Zeitungen, die Haltung zeigen und hartnäckig gegen Widerstände recherchieren sind doch nicht die Regel. Der Guardian steht in Großbritannien in Sachen NSA und Prism ganz allein auf weiter Flur, während andere Zeitungen vor der britischen Regierung kuschen. Und während die SZ sicher wesentlich dazu beitragen hat, dass Mollath nicht in der Anstalt vergessen wurde, haben sich sich andere Zeitungen in dieser Sache keineswegs mit Ruhm bekleckert. Siehe zum Beispiel diesen unsäglichen Beitrag eines bayerischen Chefredakteurs: http://ankommen.nordbayerischer-kurier.de/2013/06/24/wie-die-mainstream-medien-im-fall-mollath-manipulieren

Kurzum: Die Zukunft der Tageszeitung und die Frage, warum brauchen wir überhaupt Zeitungen danach zu bemessen, was SZ und Guardian leisten, ist genauso eine unzulässige Verallgemeinerung wie zu sagen, Blogs sind die Zukunft des investigativen Journalismus, weil Jens Weinreich sich mehr um die Aufdeckung der Machenschaften des IOC verdient macht als die meisten Sportredaktionen.

Mehr zu dem, was mir an der Debatte fehlt, habe ich hier aufgeschrieben: http://medialdigital.de/2013/08/20/drei-essentielle-fragen-die-bei-tag2020-ubrig-blieben/

@etg: da gibt es nicht den einen Text, es gibt sehr viele Kommentare unter unterschiedlichen Texten, die allesamt die Kontinuität der Berichterstattung loben

@Jochen: Danke

@Ulrike: Natürlich müssen wir Besten zum Vorbild nehmen, wen denn sonst? Am Beispiel Guardian zeigt sich, was im Lokalen auf anderer Ebene funktionieren könnte: Die Zeitung als soziale Gruppe zu denken

Nö, nicht die Zeitungen sind der Ort der Freiheit. Der Gaurdian hat auch gekuscht. Rusbidgers relevantester Text musste bezeichnenderweise in seinen Blog ausgelagert werden. Als Institutionen sind Zeitungen viel zu stark von Machtinstanzen und Mehrheitsmeinungen abhängig. Der Ort der Freiheit ist das Internet. Die Blogs. Youtube. Ein Mensch, eine Stimme.
Hey, Journalisten was ist los mit Euch. Hört ihr sie nicht, die Stimmen der Bürger? Welchem Medium kann man denn noch vertrauen? Keinem. Es ist vollkommen überflüssig, geschriebene Texte einer medienindustriellen Logik zu unterwerfen. Es wird aber wohl noch eine Weile dauern, bis die Kaste der Medienmacher verstanden hat, dass Gatekeeping kein Beruf mehr ist, wenn jeder Bewohner des Planeten einen Zweitschlüssel hat.

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