Die Zukunft des Buches – ungleich verteilt in der Drogerie

Das gedruckte Buch, konnte man in den vergangenen Tagen mal wieder lesen, wird seinen Wert nicht verlieren. Begründet wurde diese These mit Zahlen, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels auf einer Pressekonferenz am Freitag in Frankfurt vorgestellt hat.

Beim Blick auf diese Zahlen werden unterschiedliche Wünsche und Sorgen sichtbar, die bei deren Einordnung ausbrechen. In der Annahme, dass das gedruckte Buch – trotz aller Digitalisierungs-Rufe – eine gute Zukunft habe, schwingt zum Beispiel sehr laut hörbar die Hoffnung mit, dass diese ungebrochene Debatte um eBooks, Digitalisierung und das ganze Internet vielleicht doch weniger Folgen zeitigt als ihr aktueller Lärm befürchten lässt. Diese Hoffnung mag sich schön anfühlen, es ist jedoch eher fraglich, ob sie ein guter Ratgeber dafür ist, wie sich die Buch- und die gesamte Medienbranche tatsächlich entwickeln wird.

Von William Gibson stammt der schöne Satz, die Zukunft sei schon da, aber eben ungleich verteilt. Was das konkret heißen kann, bemerkt man, wenn man z.B. während in Frankfurt Börsenvereinszahlen analysiert werden, durch einen gewöhnlichen deutschen Bahnhof läuft. In den großen Presse- und Buchgeschäften, die hier Lesematerial für die Reisenden anbieten, stellt man als an kultureller Entwicklung interessierter Mensch mit großer Freude fest, wie breit das Angebot an Zeitungs-, Zeitschriften- und Buch-Lektüre ist, aus dem man dort wählen kann. Ziemlich viel Platz nimmt all das Papier ein, liegt dort und wartet, dass sich wer dafür interessiert, was drauf gedruckt wurde. Kostet sicher nicht wenig Miete.

ebook1 Druckerie-Markt: Fotoecke wo früher ausschließliche Windeln und Waschmittel verkauft wurden

Ein paar Meter weiter im Drogeriemarkt braucht man auch Platz. Hinter einer weißen Theke stehen Drucker, davor sind ein paar Bildschirme aufgebaut, an denen Menschen Bilder anschauen. Diese Foto-Ecken im Drogeriemarkt sind – mindestens so sehr wie das Internet in Gänze – Orte der Amateur-Kultur. Allerdings sind es Orte der Zufriedenheit, kein Wehklagen über die Amateurhaftigkeit der Amateure ist hier zu hören. Privatknipser lassen ihre Fotos „entwickeln“ – so hieß das früher und suggerierte einen langwierigen Prozess, an dessen Ende man nach ein paar Tagen die papiergewordenen Schnappschüsse aus einem Umschlag ziehen konnte. Diese Entwicklung haben die Drucker hinter der weißen Theke enorm abgekürzt: „ein paar Minuten Geduld“ erbittet die Anzeige auf dem Bildschirm, dann gibt es die ausgedruckten Bilder direkt zum Mitnehmen. Wer diese Geduld nicht aufbringen mag, kann die Fotos selbstverständlich auch vorab übers Internet schicken und hier ausgedruckt abholen (oder sich nach Hause schicken lassen). Sie direkt kabellos hochladen, geht soweit ich das überblicke, erstaunlicherweise allerdings noch nicht.

Man steht also mit den frisch gedruckten Fotos in der Hand an der Kasse des Drogeriemarkts und blickt rüber zum Buchladen, in dem diese aktuelle on-demand-Druckerei doch viel sinnvoller wäre. Flächendeckende Druckerecken wie die Foto-Bereiche im Drogeriemarkt kann man in deutschen Buchläden aber (noch) nicht sehen.

Vermutlich meint das ungleich verteilt sein der Zukunft genau diese Differenz: Dort ist etwas schon möglich, was hier vielleicht sehr nötig wäre.

Denn man muss ja gar nicht zwischen all dem Papier in dem großen Bahnhofsbuchhandel rumstehen, um zu erkennen, dass das gedruckte Wort etwas sehr Werthaltiges, Besonderes ist. Umgekehrt muss man aber auch nicht in Wikipedia übernachten, um zu erkennen: dass das gedruckte Wort in den Buchläden zum Teil tage- ja wochenlang rumliegt, ehe es gelesen wird, macht es nicht zwingend besser (nein, bitte keine Weinvergleiche an dieser Stelle).

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Auf Vorrat gedruckt: Bild aus einer deutschen Buchhandlung – im Mittelpunkt das „Lexikon des guten Lebens“ von jetzt.de

Die Annahme, dass das gedruckte Buch eine gute Zukunft hat, erscheint durchaus stimmig. Die daraus abgeleitete Hoffnung, es würde sich deshalb für die Buchbranche wenig ändern, erscheint jedoch trügerisch. Und die Fotografie ist dafür ein durchaus taugliches Beispiel – immerhin wurde dieser Bereich von den beiden zentralen Entwicklungen der Netzkultur sehr früh getroffen: Demokratisierung und Digitialisierung haben die Fotografie sehr grundlegend verändert in den vergangenen Jahren. In jedem Haushalt gibt es mehrere Fotoapparate und auf jedem Computer liegen in großen Mengen Bilder rum, digital. Trotzdem sind die Menschen daran interessiert, diese Bilder auch anfassen zu wollen: Sie drucken sie aus, auf Papier, Porzellan und Leinwände. Genau für diesen Wunsch haben die Besitzer der Geschäfte, in denen ursprünglich mal nur Windeln und Waschmittel verkauft wurden, Drucker angeschafft. Es gibt offenbar ein großes Interesse daran, digital verfügbare Inhalte, auch analog greifbar zu machen. Die These wäre: Das gilt keineswegs nur für private Knipserei, sondern vielleicht auch für das Weltgeschehen und die Weltliteratur. Mindestens so lang wie sich Lesegeräte nicht vollständig durchgesetzt haben, wird der Wunsch bestehen bleiben, die Zeitung oder das Buch auch greifen zu wollen. Gleichzeitig ist dieses Interesse am Fassbaren aber dem gleichen Veränderungsprozess unterzogen, der als Digitalisierung bereits zahlreiche Lebensbereiche umkrempelt.

Wenn es möglich ist, private Fotos auf Anforderung im Geschäft erstellen zu lassen, wieso geht das eigentlich nicht für meine Lieblingszeitschrift oder das neue Buch meines Liebingsschriftstellers? Ich weiß, dass es Ansätze gibt, fremdsprachige Zeitungen direkt im Buchladen in aktueller Form ausdrucken zu lassen, und frage mich gerade deshalb: Liegt hier nicht eine bisher völlig ungedachte neue Chance für Texte, ihre Leser zu erreichen?

Wenn die Annahme stimmt, dass sich (Druck-)Technik ständig verbessert, muss es doch absehbar vorstellbar sein, die Exemplare, die innerhalb eines Tages in einem durchschnittlichen Buchladen von einem durchschnittlichen Buch verkauft werden, direkt im Laden zu drucken. Die Chance liegt dabei keineswegs in den womöglich zu sparenden Transport-, Miet- und Lagerkosten, die Chance liegt darin, dass Papier sich so dem annähert, was Pixel ausmacht: Versionierung! Gedruckte Bücher könnten innerhalb einer Auflage aktualisiert werden, Papierzeitungen könnten innerhalb eines Tages in unterschiedlichen Versionen verkauft werden. Rückmeldungen oder aktuelle Entwicklungen könnten Einfluß nehmen auf ein Buch, wie sie schon heute Einfluß nehmen auf Webseiten. Leser würden jeweils die aktuellste Version z.B. einer Zeitschrift kaufen können, in die Fußballergebnisse oder Wahlentscheidungen bereits eingearbeitet sind. Die Lektüre-Kost wäre so einfach frischer als wenn sie bereits seit Tagen oder Wochen im Regal liegt. Zusätzlich wäre es natürlich möglich auch eingemachte Kost noch zu erwerben: Backissues könnten ebenfalls auf Knopfdruck verfügbar sein – übrigens natürlich nicht nur über die Drucker im Laden, sondern auch über ein stabiles WLAN im Geschäft zum Download auf Smartphone oder (Tablet-)Computer.

Und ja, all das gilt auch für die schwerfälligeren weil langsameren Papiertransporter, die man im Buchladen kaufen kann: Auch Bücher könnten von dieser Form der Versionierung profitieren, sie könnten Fehler beheben, Aktualisierungen vornehmen (was beides bei Sachbüchern enorm hilfreich wäre), aber sie könnten auch Leserreaktionen aufnehmen oder Entwicklungen fortschreiben (was bei fiktionaler Literatur als Fanfiction nicht unerfolgreich ist im Netz).

Vielleicht wird diese Debatte über veränderte Druckläufe und Aufforderungs-Käufe bereits intensiv irgendwo geführt. Mir ist sie bisher entgangen. In der Debatte um eBooks und gedruckte Bücher, die ich als ständigen wie merkwürdigen Dualismus erlebe, habe ich solche Ideen bisher nicht gehört. Im Drogeriemarkt ist diese Version der Zukunft allerdings schon erlebbar.

Mehr zur Idee der Versionierung in „Eine neue Version ist verfügbar“, das im Herbst bei metrolit erscheint.

3 Kommentare

Alles schön und gut, das „Print on Demand“ – das vertrieben wir während meiner Zeit bei Kodak (1992-1997) schon recht erfolgreich. Das Problem ist aber, dass die Kosten für ein Buch in großer Auflage mit Print-on-Demand noch immer viel zu hoch sind, davon abgesehen dass die Gerätschaften dafür ziemlich groß und vor allem – zumindest für das Geräuschniveau eines Buchladens – viel zu laut.
Viel eher greift, glaube ich, das Konzept „ich stelle mir mein Buch selber zusammen“ – z.B. in dem ein Student nur die Kapitel verschiedener Bücher, die er für ein Semester benötigt, so erstellen läßt (und dadurch natürlich weniger bezahlt, als müsste er die restlichen, unnötigen Inhalte miterwerben).
Das wird in den USA an Unis schon seit längerem praktiziert.
Ob es hier einmal schick wird, sich ein Buch mit Kurzgeschichten nur über Katzen verschiedener Autoren selber zusammen zu stellen, stelle ich nicht in Frage. Ich stelle aber wohl in Frage die Fähigkeit der Industrie, den Content auf diese Weise einkaufen bzw. zur Verfügung stellen zu können. Und wenn es doch geschieht, wird es eher ein Amazon dieser Welt sein als ein Thalia!

Das direkte Ausdrucken in den Drogerien ist auch doppelt so teuer wie das entwickeln früher mit chemischen Film war (inkl. Filmkauf). Wenn man bereit ist es nicht sofort haben zu wollen wird wird es dann billiger. Oder man hat einen guten/größeren Fotograf in der Nahe der eine große Entwicklungsmaschine sein eigen nennt. Dann kann man die Fotos auch in einer halben Stunde günstig bekommen.

Aber das gibt es doch schon (ich habe es zumindest im Bahnhofsbuchhandel auf einem großen Bahnhof gesehen): Man kann dort ausländische Zeitungen drucken lassen, die im Laden nicht tagesaktuell angeboten werden können. Das ist ideal für Gäste aus weit entfernten Ländern. Der passende Fachbegriff ist »Newspapers on demand«.

Übrigens halte ich gar nichts von veränderlichen Ausgaben unserer Tageszeitungen. Eine Ausgabe pro Tag sollte schon verbindlich sein, sonst wird ja noch mehr geschludert. Da ist ein Artikel in der Version 1.0 der Ausgabe bis zehn Uhr grob fehlerhaft und dann wird der Artikel in der Version 2.0 klammheimlich korrigiert. Medienkritik hat dann gar keinen richtigen Gegenstand mehr.

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