tl;dr
Der öffentliche Eindruck, der durch Massenabmahnungen entsteht, schadet dem Geist des Urheberrechts. Dagegen müssen Urheber aufstehen. Ein Vorschlag.
Erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als Aufrufe mit dem Ziel veröffentlicht wurden, das Urheberrecht zu schützen? Das waren die Zeiten, als auch der Vorwurf häufig zu hören war, Zeitgeist und Piratenpartei würden das Urheberrecht abschaffen. Es scheint als sei diese Zeit schon sehr lange vorbei. Das liegt aber weniger an der Unmenge an Monaten, die seitdem vergangen wären. Es liegt an der öffentlichen Atmosphäre, die sich seitdem geändert hat.
Ich denke, es wäre in diesen Tagen tatsächlich an der Zeit, einen echten Aufruf für das Urheberrecht zu formulieren. Dieser bedeutsame Rechtsbereich ist derzeit so stark in seiner Legitimation bedroht wie es Piraten und Chaoten nie geschafft hätten (und übrigens auch nie wollten): Es sind ausgerechnet Juristen, die gerade dabei sind das Urheberrecht abzuschaffen – nicht in seinen Buchstaben, sondern in seinem Geist. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Urheberrechts schwindet quasi täglich. Mit jedem neuen Hintergrund, der rund um den Abmahnfall Redtube bekannt wird, sinkt der Glauben daran, dass das mit dem Urheberrecht und dem Internet gerade tatsächlich bestmöglich geregelt ist. Der Kollege Johannes Boie stellt in seinem Text zur aktuellen Situation die völlig berechtigte Frage: Wer sind nun die Halunken?
Ursprünglich war es in der Debatte ums Urheberrecht in digitalen Zeiten mal um die Frage gegangen, ob das Kopieren von Dateien einen Raub oder mindestens eine moralisch verwerfliche Tat darstelle. Man stritt darüber, wie mit den neuen Möglichkeiten des identischen Duplikats umzugehen sei. Die Situation war so verfahren, dass der Wunsch nach einer Reform des Urheberrechts immer als Abschaffung interpretiert wurde. Das führte zu der absurden Konstellation, dass der öffentliche Eindruck erzeugt wurde, das Urheberrechts solle abgeschafft werden, während in den parlamentarischen Gremien eher dessen Verschärfung diskutiert wurde.
Wer damals davor warnte, dass ein fortgesetztes Nichtstun in Sachen Urheberrechtsreform dessen Legitimation langfristig in Frage stelle, machte sich damit nicht gerade Freunde in Urheber-Kreisen.
Doch der Kern dieser Warnung ist heute Realität: vom Urheberrecht – so der Eindruck im Fall Redtube – profitieren nicht Urheber, sondern Anwälte. Anwälte, die die aktuellen Defizite des Urheberrechts und das Unwissen und die Überforderung der Behörden mindestens gut ausnutzen können. Die Praktiken und die Vereinbarungen, die rund um den Redtube-Fall nun bekannt werden, lassen große Zweifel daran aufkommen, dass es wirklich immer um die angemessene Vergütung eines Urhebers geht. Es kursieren Zahlen von mehreren zehntausend Abmahnungen, die offenbar auf Basis dubioser Praktiken erwirkt wurden. Dabei entsteht ein extrem zwielichtiges Bild vom Urheberrecht – und gar nicht mal in erster Linie weil es sich um eine Porno-Website handelt.
Dieser Eindruck eines Geldmach-Gesetzes für findige Advokaten schadet den Urhebern und dem Geist des Urheberrechts – mehr als alle Ideen der Netzgemeinde es jemals getan haben. Er verhindert die Einsicht in die Notwendigkeit des Urheberrechts und befördert die Erosion seiner Legitimation. Wem an einem glaubwürdigen Urheberrecht gelegen ist, darf das nicht hinnehmen. Da ich annehme, dass dies bei den Unterzeichnern der Aufrufe aus dem Jahr 2012 der Fall ist, habe ich deren Appelle den aktuellen Entwicklungen angepasst und zu einem Remix-Aufruf zusammengeführt: Es handelt sich um (1) den „Wir sind die Urheber“-Aufruf, um (2) den offenen Brief der 51 Tatort-Autoren und um (3) die Antwort der 51 Hacker vom CCC:
Mit Sorge und Unverständnis verfolgen wir als
Autoren und KünstlerBürger dieöffentlichenAngriffe aus der Abmahnindustrie gegen das Urheberrecht (1) Auch wir sind Urheber, sogar Berufsurheber, um genau zu sein.(…) Wir sprechen also nicht nur mit Urhebern, wir sind wie alle, die im Netz veröffentlichen selber welche. (3)Die neuen Realitäten
der Digitalisierung und des Internetsdes Abmahnwesens sind kein Grund, denprofanen Diebstahl geistigen Eigentums zu rechtfertigen oder gar seine LegalisierungLegitimationsverlust des Urheberrechts zu foördern.(1)
Bei der Suche nach Schwarzfahrern und Steuerhinterziehern zum Beispiel, müssen sich die Bürger auch einige Einschränkungen ihrer Rechte aber nicht die ständige Angst vor einer bedrohlichen weil undurchsichtigen Abmahnindustrie gefallen lassen (2).Im Gegenteil: Es gilt,
den Schutz desdas Urheberrechtszu stärken und den heutigen Bedingungen desschnellen und massenhaften Zugangs zu den Produkten geistiger Arbeitleichten Abmahnens anzupassen. (1) Das Tragische (im griechischen Sinne) ist doch, dass wirbeidealle Opferdes Verwertungssystemsder Abmahnindustrie sind. (3)Die Defizite im aktuellen Urheberrecht sind
alltägliche Präsenz und der Nutzen des Internets in unserem Leben kann keinen Diebstahl rechtfertigen und istkeine Entschuldigung für Gier oder Geiz. (1)
Stellen wir uns kurz vor, alle Unterzeichnerinnen und Unterzeichner von damals würden ihre Unterschrift auch in der veränderten Fassung tätigen und stellen wir uns weiter vor, der Aufruf bekäme auch dann die Aufmerksamkeit wie im Mai 2012: Plötzlich könnte aus dem Fall Redtube das werden was jetzt dringend notwendig wäre: eine Debatte über die überfällige Reform des Urheberrechts.
Mehr zum Thema im Interview mit und im Blog von Udo Vetter, bei Thomas Stadlers Internet-Law, bei heise zu den aktuellen Erkenntnissen, bei Wilde Beuger Solmecke, in den Leaks der Piratenpartei, bei kowabit, Henning Tillmann, golem und …
2 Kommentare
wie lange ist gravenreuth jetzt tot? und wie lange war der aktiv?
und jetzt fällt auf einmal auf, dass das urheberechtsunwesen nach knapp 30 jahren beständiger verschärfungen als cash cow für beträchtliche teile der anwaltschaft zu dienen scheint?
dass betroffene dank der kompetenz unserer gerichte praktisch keinerlei aussicht auf einen ordentlichen prozess haben, und gegenwehr aussichtslos ist, ist da nur ein nebenaspekt.
seit 10 jahren ca hat noch jede bundesregierung irgendwann verlautbart, etwas gegen den abmahnmissbrauch unternehme zu wollen. das ist entweder versandet oder dermassen schlecht umgesetzt worden, dass die praktische relevanz null blieb (siehe deckelung der abmahnkosten).
derartiges ist schwerlich ohne zutun der anwaltschaft + urheberindustrie + zuarbeiter vorstellbar.
dass die gleichen figuren, die zz gegen NSA&Cie protestieren, unter dem label des urheberrechtsschutzes beinahe jeder einschränkung und ausschnüffelung zustimmten (man lesen nur mal die äusserungen unter anderem der frontfigur zu den seinerzeitigen von keinerlei faktenwissen getrübten invektiven des herrn regner), macht die erwartung auf eine neupositionierung im freundlichsten falle illusorisch.
[…] 6. “Ein Remix-Aufruf für das Urheberrecht!” (dirkvongehlen.de, Dirk von Gehlen) Dirk von Gehlen schreibt Beiträge zur Urheberrechtsdebatte aus dem Jahr 2012 um: Nicht die Abschaffung des Urheberrechts stehe an, sondern die Deligitimation durch die Abmahnindustrie. […]