In dieser Woche durfte ich in Rüschlikon in der Schweiz ein paar Thesen aus meinem Buch vorstellen. Im Rahmen der Kultur digital-Tagung sprach ich mit Tim Renner, der Autorin Ruth Schweikert und dem Juristen Mathis Berger über Urheberrecht im Zeitalter der digitalen Kopie. Auf der Website gibt es eine Audio-Dokumentation der Debatte.
Ich empfehle diese hier aber vor allem, weil man sich dort auch den sehr spannenden Vortrag „Haifische und Orchideen: Widersprüche, Risiken und Chancen der digitalen Kultur“ von Felix Stalder anhören kann. Der Text hat zwar in Rüschlikon einen anderen Titel („Von Nischen und Fabriken“) bekommen, auf der Website findet man ihn aber unter dem Haifisch-Namen.
Hörenswert ist er aus mehreren Gründen. Mir ist vor allem ein Wikipedia-Bild hängen geblieben. Stalder berichtet in seinem Vortrag von neu entstehenden Geschäftsmodellen. Er führt Wikipedia als Beispiel für eine Zahlungsbereitschaft an, die enorm ist, die wir aber begrifflich gar nicht greifen können. Die Spendensammlung von Wikipedia hat einen mehrfachen Millionenbetrag eingebracht, mit dem Begriff des Spendens ist sie aber völlig unzureichend beschrieben. Denn die klassische Hierachie, die diesem Wort klassischer Weise innewohnt, fehlt bei Wikipedia. Niemand, der Wikipedia Geld gibt, fühlt sich größer als die weltweite Enzyklopädie. Niemand gibt aus gönnerhafter Haltung von oben. Gleichzeitig ist aber auch die andere Begrifflichkeit, die wir für Geldflüsse kennen – nämlich das Bezahlen – nicht stimmig, um zu beschreiben, was bei der Spenden-Aktion stattfand. Niemand bezahlt bei Wikipedia im Sinne einer klassischen Kundenbeziehung. Der Geldfluß ist hier vielmehr Teil eines Partizipations- oder Einschreibe-Prozesses. Man beteiligt sich und gibt Geld. Viel Geld.
Wir reden also nicht über ein theoretisches Modell, das vielleicht funktionieren könnte, sondern über einen bereits praktizierten Geldfluß. Trotzdem fehlen uns die Worte dafür. Es gibt keinen Begriff, um zu beschreiben, wie das Bezahlmodell von Wikipedia ist. Es ist keine Mitgliedschaft, die einem Beteiligungs-Bezahlen sonst womöglich nahe käme, es ist kein (Ein-)kaufen wie in klassischen Geschäftsbeziehungen und ein Mäzenatentum ist es auch nicht.
Man mag diesen Begriffsmangel für unbedeutsam halten. Ich finde aber, dass er die Unschärfe ziemlich anschaulich vorführt, mit der wir die digitale Welt noch immer betrachten. Wo wir keine Wort haben, können wir auch kaum neuen Modelle erfinden. Was für das Diebstahl-Dilemma umgekehrt gilt, lässt sich hier im Positiven ablesen: die gelernten Begriffe beschreiben nicht trennscharf. In Anlehnung an Wittgenstein muss man also vielleicht sagen: „Wovon man nicht trennscharf sprechen kann, darüber kann man sich auch keine neuen Gedanken machen.“
Ich frage mich deshalb seit der Tagung: Wie heißt der Geldfluß bei der Wikipedia-Spendenaktion?
2 Kommentare
Schenken? (vergl. Beuys: soziale plastik)
[…] leichter Verspätung habe ich heute erst ein Interview mit dem Schweizer Medientheoretiker Felix Stalder gelesen, in dem dieser über Acta, Piraten und die Kultur des Teilens spricht. Das Interview ist in […]