In Zeiten, da die Medien sich in einer Krise befinden, kann es sinnvoll sein, die Hilfe der Wissenschaft zu suchen. Ich trug jedenfalls seit einer Weile eine Formulierung mit mir herum, die mir (während eines kurzen Besuchs in Eichstätt) Professor Walter Hömberg aufzulösen und zu begründen half.
Während des Studiums hatte ich am IfKW in München gelernt, Zeitungsjournalismus sei seit jeher das Gespräch der Zeit mit sich selber gewesen; eine schöne Forumulierung – vor allem, wenn man „Gespräch“ wörtlich im Sinne von Dialog versteht. Leider konnte ich für dieses Bild keine Quelle finden, bis Prof. Hömberg mich auf ein Dokument aus dem Jahr 1845 hinwies. Damals hatte Robert Eduard Prutz in seiner „Geschichte des deutschen Journalismus“ festgestellt:
Der Journalismus überhaupt, in seinen vielfachen Verzweigungen und der ergänzenden Mannigfaltigkeit seiner Organe, stellt sich als das Selbstgespräch dar, welches die Zeit über sich selber führt. Es ist die tägliche Selbstkritik, welcher die Zeit ihren eigenen Inhalt unterwirft; das Tagebuch gleichsam, in welches sie ihre laufende Geschichte in unmittelbaren, augenblicklichen Notizen einträgt.
Prutz beschreibt in diesem Text den Journalismus mit Worten, die man heute häufig hört, wenn über Blogs und die flüchtige Internet-Kommunikation – im Gegensatz zum klassischen Journalismus – gesprochen wird. Er vergleicht den Journalismus gar mit Tagebüchern (heute: Blogs) und attestiert ihm „eben wegen dieser schwankenden, flüchtigen Natur“, die „verborgensten Adern unserer Zeit sichtbar“zu machen. Aber damit nicht genug, Prutz stellt den Journalismus als ein dialogische Kommunikationsform dar. Er schreibt:
Die theoretische Betheiligung des Publikums an den Ereignissen der Geschichte, diese Neugier für die Geheimnisse des Staats, dieses Interesse für alle politischen Zustände und Begebenheiten, (…) dieses Ganze ist erst durch den Journalismus, speciell durch das Zeitungswesen, überhaupt zu Wege gebracht worden. Der Journalismus zuerst hat die Möglichkeit einer solchen Theilnahme gegeben, wie er dem Bedürfniß derselben sein eigenes Dasein verdankt. Erst die Zeitungen haben das geschaffen, was wir heut zu Tage die Stimme des Publikums, die Macht der öffentlichen Meinung nennen; ja ein Publikum selber ist erst durch die Zeitungen gebildet worden.
Der Journalismus, schreibt Robert Eduard Prutz im Jahr 1845, verdankt sein Dasein der Möglichkeit der Teilnahme des Publikums an der öffentlichen Debatte. Journalismus ist also seit jeher als eine Kommunikation mit seinem Publikum gedacht worden – und nicht wie man heute mancherorts glauben will, als reine Publikation. Was heißt das für den Journalismus in Zeiten der Digitalisierung, in denen die theoretische Beteiligung praktisch möglich wird? Vielleicht, dass er sich auf seine Daseins-Berechtigung besinnt und dem Publikum die Teilnahme am „Selbstgespräch, das die Zeit über sich selber führt“ ermöglicht? Dass er das Publikum einbezieht, weil es „eben wegen dieser schwankenden, flüchtigen Natur“, die „verborgensten Adern unserer Zeit sichtbar“ macht?
Vielleicht – aber dann wäre Robert Eduard Prutz ja eine Art sehr früher Netzweltversteher – dabei sieht er gar nicht so aus.