Wie geht man eigentlich mit Innovationen um? Über diese Frage und vor allem über die ablehnende Art der Beantwortung kann man spannende Diskussionen führen. Man kann aber auch, wenn man Kathrin Passig ist, einen großartigen Text dazu schreiben. Er heißt Internetkolumne. Standardsituationen der Technologiekritik und ist in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Merkur erschienen.
Man kann ihn online nachlesen und dabei jede Menge lernen über die Art, wie wir mit der Digitalsierung, dem Internet und technischen Neuerungen umgehen und wie wir dabei immer wieder in ähnliche Muster verfallen. Es sind übrigens genau diese Muster, die verhindern, dass aus technischen Innovationen auch inhaltliche werden können, das aber nur am Rande.
Der Text ist voller guter Stellen, die es zu zitieren lohnen würde, deshalb hier nur ein Auszug und der dringende Hinweis, den Text ganz zu lesen!
Es scheint derzeit etwa zehn bis fünfzehn Jahre zu dauern, bis eine Neuerung die vorhersehbare Kritik hinter sich gebracht hat. Die seit 1992 existierende SMS wird mittlerweile nur noch von extrem schlechtgelaunten Leserbriefschreibern für den Untergang der Sprache verantwortlich gemacht. Immerhin aus Irland, einem Museum anderswo bereits ausgestorbener Kulturkritik, drang noch 2007 die Kunde, das Schreiben von Kurznachrichten verrohe die Sprache der Jugend. Das Niveau der Abschlussarbeiten fünfzehnjähriger Schüler, so das Ergebnis einer Untersuchung der irischen State Examination Commission, habe im Vergleich zum Vorjahr nachgelassen. ¬ªMobiltelefone und die steigende Popularität von Textnachrichten¬´ hätten ei- nen deutlichen Einfluss auf die Schreibfähigkeiten der Jugend (Argumente acht und neun), gab der Vorsitzende der Kommission in einem Gespräch mit der Irish Times an.
Das eigentlich Bemerkenswerte am öffentlich geäußerten Missmut über das Neue aber ist, wie stark er vom Lebensalter und wie wenig vom Gegenstand der Kritik abhängt. Dieselben Menschen, die in den Neunzigern das Internet begrüßten, lehnen zehn Jahre später dessen Weiterentwicklungen mit eben jenen damals belächelten Argumenten ab. Es ist leicht, Technologien zu schätzen und zu nutzen, die einem mit 25 oder 30 Status- und Wissensvorsprünge verschaffen. Wenn es einige Jahre später die eigenen Pfründen sind, die gegen den Fortschritt verteidigt werden müssen, wird es schwieriger.
Zur Bewältigung dieses Problems gibt es zwei Ansätze: In der schlichteren Variante kann man zumindest versuchen, den Gebrauch der Standardkritikpunkte zu vermeiden, insbesondere dann, wenn man sich öffentlich zu Wort meldet. Die hier versammelten Einwände gegen neue Technologien sind nicht automatisch unberechtigt ‚Äì es ist lediglich nicht sehr wahrscheinlich, dass man damit valide Kritikpunkte identifiziert. Wenn jeder dieser Schritte einen realen Niedergang beschriebe, wäre die Welt eine von M. C. Escher gezeichnete Treppe.
Wie die mühsamere Therapie funktioniert und jede Menge mehr kann man hier nachlesen.