Hast du zehn Minuten? Die Sache mit der Aufmerksamkeit

„Konzentration ist eine Fähigkeit“ schreibt die New York Times auf dieser Seite, die als Trainings-Einheit in Sachen Fokus verstanden werden soll: Francesca Paris und Larry Buchanan haben dabei eine digitale Bildbetrachtung umgesetzt, die auf drei Ebenen sehr spannend ist.

Die Versuchsanordnung ist nicht sonderlich kompliziert. Die Idee ist aber dennoch erstaunlich innovativ im Feld der digitalen Publizistik. Auf der Seite ist es wie folgt beschrieben:

Our attention spans may be fried, but they don’t have to stay that way.
In a modest attempt to sharpen your focus, we’d like you to consider looking at a single painting for 10 minutes, uninterrupted.
Our exercise is based on an assignment that Jennifer Roberts, an art history professor at Harvard, gives to her students. She asks them to go to a museum, pick one work of art, and look at only that for three full hours.
We are not asking for hours.
But will you try 10 minutes?

Es folgt eine sehr lesenswerte Bildbetrachtung des Gemäldes “Nocturne in Blue and Silver” des amerikanischen Malers James McNeill Whistler. Doch bevor dies mit vielen Details und Belegen gestartet wird, lädt der „Artikel“ die Lesenden dazu ein, zehn Minuten lang auf das Gemälde zu schauen – und die Bildbetrachung mit einem „Start Timer“-Button zu beginnen:

Warum das bemerkenswert ist? Eine Analyse in drei Schritten:

Digitalität

Nein, es muss nichts blinken oder streamen, damit ein Inhalt digital wird. Es geht um die Ablösung des Inhalts vom Datenträger – und die damit verbundenen neuen Möglichkeiten. Dieses Fokus-Experiment der New York Times zeigt, wie Medienhäuser digital publizieren: nicht mehr nur linear, sondern multimedial und vor allem in Kommunikation mit ihren Nutzer:innen. Das bezieht sich nicht nur auf klassische Kommentare (wenngleich es beeindruckend ist, wie die Leser:innen der NYTimes unter dem Experiment kommentieren und wie die Redakteur:innen antworten). Es bezieht sich auf auch passive Interaktion:

Interaktion

Dass die Website anders als die Zeitungsseite meine Reaktionen aufnehmen und auswerten kann, ist die völlig unterschätzte Dimension von Interaktivität, die diese Experiment auf tolle Weise zeigt: zehn Minuten Aufmerksamkeit zu schenken, ist nicht nur eine Übung, es schafft auch eine Gemeinschaft zwischen dem Sender und den Empfänger:innen. Die Auswertung, wie lang andere Leser:innen ihre Aufmerksamkeit halten konnten, schafft zudem eine Dimension der Gemeinschaft im Publikum.

Aufmerksamkeit

Der Weg vom reinen Content zum Kontext ist häufig beschrieben worden. Hier wird zudem gezeigt, welche Rolle die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen für die digitale Publizistik der Gegenwart hat. Aufmerksamkeit ist nicht nur die wichtigste Währung, die wir haben, sie bildet auch die Grundlage für erfolgreiche Kommunikation. Dieses Beispiel aus der New York Times zeigt auf herausragende Weise, was ich mit dem Minifesto „Wesentlich weniger“ beschrieben habe: Aufgeklärte Aufmerksamkeit braucht einen Fokus auf unsere Aufmerksamkeit!

So wunderbar dieses Experiment der New York Times ist, so schlecht ist es auf der Website eingebaut. Es gibt nämlich bereits mehrere Folgen der 10-Minuten-Challenge. Sie sind nur schwer zu finden und nicht in einem eigenen, regelmäßigen Newsletter verbaut.

Deshalb hier die wichtigsten Links zum Weiterlesen: