Wenn man in naher oder ferner Zukunft auf die Form zurückblicken wird, wie man zum Jahreswechsel 2013/14 mit Texten im Netz umgegangen ist, wird man sich an Medium erinnern. Seit ein paar Tagen ist diese neue Veröffentlichungsplattform (Slogan „Everyone’s stories and ideas“) in einer Version online, die Gründer Evan Williams als Medium 1.0 bezeichnet. Und neben zahlreichen anderen Dingen muss man dazu sagen: Medium sieht großartig aus!
Das muss man deshalb betonen, weil die Seite etwas anbietet, was an sich nicht neu ist: Medium ist ein gegenwärtiger Bloganbieter. Man kann dort veröffentlichen – in erster Linie Texte. Das ist nichts, was Medium besonders machen würde. WordPress und Tumblr bieten dies schon seit Jahren. Was Medium besonders macht, ist ein intuitiver Zugang zum Veröffentlichen.
Jeder, der verstehen will, welchen Wert Usability im Netz hat, sollte mal einen Text in einem klassischen Publikationssystem und einen in Medium veröffentlichen. Es fühlt sich an, als parke man ein Auto, das neuerdings Servolenkung besitzt. Alles geht schlichter, selbstverständlicher und fühlt sich richtiger an. Das muss es deshalb noch lange nicht sein, ich hätte aber nicht gedacht, dass ich diesen Punkt beim „Texte ins Internet schreiben“ nochmal erreichen würde.
Das liegt auch daran, dass nicht nur die gelernte Unterscheidung zwischen Vorder- und Rückseite beim Publizieren verwischt und man Entwürfe kollaborativ bearbeiten kann, es liegt auch daran, dass das Lesen in Medium ein großer Genuss ist. Die Gestaltung ist sehr zurückgenommen, gibt Bild und Text enorm viel Raum und dem Auge Platz zum Lesen.
Dass man darüberhinaus das Prinzip Kommentar in ein tolles Annotationssystem überführt hat, bringt auch die Interaktion auf eine neue Ebene. Kleine Ziffern am Textrand weisen auf Kommentare auf Satzebene hin. Das ist nicht nur eine optische Verbesserung, sondern eine inhaltliche Weiterentwicklung. Gleiches gilt für das Prinzip der Collections, die man anlegen kann um darin Texte zu sammeln. Das orientiert sich an den Listen bei Twitter – was deshalb nicht verwunderlich ist, weil Ev Williams einer der Twitter-Gründer ist, der vorher sehr viel Geld mit Blogger gemacht hatte.
Es wäre etwas zu naheliegend, Medium als ein Mashup aus Twitter und Blogger zu beschreiben. Falsch wäre es aber auch nicht. Das ist deshalb spannend, weil man sich so auch dem Plan von Medium nähern kann: das Timeline-Prinzip auf lange Texte zu übertragen. In seinem Mission Statement zu Medium endet Williams mit den Worten:
It’s clear we’ve only scratched the surface of how we can use the tools available to us to connect hearts and minds. It’s also clear that the way media is changing isn’t entirely positive when it comes to creating a more informed citizenry. Now that we’ve made sharing information virtually effortless, how do we increase depth of understanding, while also creating a level playing field that encourages ideas that come from anywhere?
Ein Ansatz dafür liegt darin jedem Nutzer eine eigene Homepage von Medium anzuzeigen. „Creating a Personalized Reading Experience“ nennen die Macher das, und man sollte dem Projekt allein deshalb folgen, um zu beobachten, wie sie das machen. Wer mag: wir können das (wie gesagt) auch gemeinsam tun – medium.com/@dvg