tl;dr
Selbstverständlich ist Buzzfeed Journalismus: digitaler Boulevard. Darum geht es aber gar nicht. Viel wichtiger als die eigene Meinung zu einer Veränderung ist ein Verständnis für deren Prinzip.
Ich weiß nicht mehr wer es mir riet, aber ich fand den Vorschlag so wenig falsch, dass ich ihn in die Tat umsetzte: Ich reservierte die URL mit meinem Namen. Mir war damals nicht klar, wofür das gut sein könnte und ob ich es gut fand, weiß ich auch nicht mehr. Darum ging es aber auch erstmal nicht, es ging darum, dass ich rausfand, wie man eine Internet-Adresse bei einem Provider beantragt und verstand, wie man etwas hochlädt. Anschließend prangte unter meinem Namen für eine lange Weile ein Baustellenschild im Netz. Das störte niemanden, weil es – Anfang der Nullerjahre – ohnehin niemand sah.
Ich weiß ebenfalls nicht mehr wer mir riet, ein Blog einzurichten, mir ging es mit dem Vorschlag aber genau wie mit der URL-Idee: Ich fand ihn so wenig falsch, dass ich ihn ausprobierte. Denn irgendwas musste ich ja nun auch mit meiner Domain anfangen. Also lernte ich, wie man WordPress installiert und im Backend rumstümpert. Mir war damals nicht klar, wofür das gut sein könnte und ob ich das gut fand, weiß ich auch nicht mehr. Aber darum ging es – wie gesagt – auch hier erstmal nicht …
Hinter der Art und Weise wie ich zum Bloggen kam, wie ich Twitter kennenlernte und überhaupt all die Möglich- und Schwierigkeiten des Dialog-Netzes steckt ein vergleichbares Grundprinzip, das man sehr vereinfacht als „Ausprobieren/Machen“ beschreiben kann. Wenn ich danach gefragt werden, bemühe ich eine erfrischende Poolmetapher und erkläre, dass man Schwimmen auch nur lernt wenn man nass wird und nicht wenn man am Beckenrand vermeintlich schlaue Dinge über das Wesen des Wassers verbreitet.
Ich erkläre all das, weil gerade am Buzzfeed-Beckenrand sehr viel vermeintlich schlaue Dinge verbreitet werden. Die US-amerikanische Website, die ich hier im Frühjahr für die SZ vorgestellt hatte, ist (mal wieder) Mittelpunkt einer Debatte, an der man wunderbar einige Grundprinzipien des allgemeinen Umgangs mit digitalen Veränderungen ablesen kann. Denn die wichtigste Frage an das neue Modell von Buzzfeed ist nicht: „Wie geht das?“ sondern vielmehr: „Wie finden wir das?“ Nun legt schon die Logik nahe, dass man zur Beantwortung der zweiten die Antwort auf die erste Frage kennen sollte, aber um Logik geht es bei dem digitalen Veränderungsprozess nicht in erster Linie, viel wichtiger ist die eigenen Befindlichkeit damit.
Wer allerdings am Beckenrand die Frage diskutiert: Wie finde ich Wasser? wird damit keinerlei Fortschritt in Sachen Schwimmen erzielen – und das meine ich so:
Für mich ist Buzzfeed (als bekanntestes Beispiel für eine relativ neue Form des sozialen Publizierens) nichts anderes als digitaler Boulevard – und zwar in beiden Ausprägungen der Beschreibung: Boulevard im Sinne der journalistischen Form (was auf der Straße diskutiert wird) und digital im Sinn der vernetzten Distribution. Vor allem der zweite Punkt erscheint mir bedeutsam, da die Site ihn zunehmend auch für Themen nutzt, die klassischer Weise kein Boulevard sind (dieses Beispiel der Syrien-Berichterstattung hat viel mehr mit ganz klassischem Journalismus als mit Katzenbildern zu tun). Was ist also digital an dem Buzzfeed-Boulevard?
Gründer Peretti beantwortet dies mit dem Hinweis, dass im Netz die Frage, wie der Inhalt seinen Leser erreicht Bestandteil journalistischer Arbeit sei (er spricht davon, dass diese die Hälfte der Arbeit ausmacht). Darüber kann man streiten, um es zu verstehen, lohnt es sich aber, dem Gedanken mal wertfrei zu folgen: Das Internet ist keine lineare Rampe, sondern ein vernetzter Raum. Distribution gehorcht hier schon technisch anderen Regeln als bei klassischen Rampen-Medien. Das bezieht sich zum einen auf den viralen Effekt digitalisierter Inhalte (jeder wird zum Sender), es bezieht sich aber sehr journalistisch darauf, dass es eine inhaltliche Beschäftigung mit Identität und Haltung der Leserschaft voraussetzt. Die auf Spezial-Interessen zugeschnittenen Listen, die Buzzfeed erstellt, funktionieren nur in einer Öffentlichkeitsstruktur, die auf digitale Netz-Verbreitung setzt und nicht auf eine lineare Frontal-Öffentlichkeit. Wer eine Liste „31 Dinge, die man uns vor der Geburt eines Kindes nicht gesagt hat“, erstellt, kann das heute analog nur in einem Elternmagazin tun. Buzzfeed tut dies, obwohl es keineswegs ein Elternmagazin ist. Buzzfeed ist ein Angebot, das sich auch an Eltern richtet – mit einem Inhalt, mit dem sich diese so identifizieren können, dass sie ihn nicht nur lesen (analoge Währung), sondern weiterverbreiten wollen (digitale Währung). Gleiches erleben wir bei Buzzfeed für spitze Zielgruppen, die aufgrund von Berufsbild, Wohnort oder Lebensalter unterschieden werden. Buzzfeed schneidet Inhalte auf seine Leser zu bzw. korrekt forumliert: auf die soziale Gruppe der Leser angehören. Denn Inhalte, die auf diese Weise die (digitale) Identität ansprechen, wirken wiederum identitätsstiftend: man will sie vorzeigen.
Am besten ist dieses Prinzip mit der Idee eines offenen Buchregals vergleichbar. Im Sinne der Aufbewahrung ist dies nämlich eher untauglich – die Bücher stauben viel schneller ein als würde man sie in einen Schrank stellen. Hinter einer Tür würde aber niemand sehen, in welcher Lektüre man sich eingerichtet hat. Dieses Prinzip der analogen Identität hat Buzzfeed sich zu eigen gemacht – und produziert Inhalte, die Menschen sich ins digitale Regal stellen wollen. Und zwar jeder für sich – über Zugänge, die zahlreicher sind als der Eingang „Startseite“. Wenn Imre Grimm also in dem Zapp-Beitrag kritisiert, dass seriöse Teaser auf der Buzzfeed-Startseite in unseriösem Kontext stehen, ist das ein wenig wie die Sache mit dem Beckenrand und dem Wasser. Denn der Kontext der Startseite ist eine analoge Frage, im digitalen Kosmos von Buzzfeed geht es viel mehr um die soziale Verlinkung eines einzelnen Artikels.
Ich persönlich finde es wichtiger, dieses Prinzip zu verstehen als über den Wert der so erstellten Inhalte zu spekulieren. Denn natürlich geht dies mit Katzenbilder-Listen zunächst sehr viel einfacher als mit Berichten aus Syrien. Aber die Wette, die wir gerade erleben ist die: Schafft Buzzfeed es, das Prinzip der digitalen Identität auf Inhalte zu übertragen, die man klassisch als seriösen Journalismus beschreiben würde?
Diese Wette hat sehr viel mit Journalismus zu tun. Und selbst wenn man das nicht so sehen will: Sie könnte den Journalismus nachhaltig verändern – völlig unabhängig davon, ob exponierten Vertretern der Branche das gefällt oder nicht.
Und hier sind wir wieder beim Anfang: Wenn ich mich mit Buzzfeed (und vielen anderen digitalen Entwicklungen) befasse, geht es mir zuletzt (und meist sogar gar nicht) darum, ob mir gefällt was ich sehe. In den Interviews, die ich zu „Eine neue Version ist verfügbar“ gebe, sehe ich mich beständig der Frage ausgesetzt, ob es denn gut sei, wenn Kultur künftig unter diesen neuen Bedingungen produziert werde. Ich antworte dann stets, dass ich das nicht weiß, dass ich aber verstehen will, wie Kultur künftig produziert werden kann. Im Fall von Buzzfeed ist das ganz genau so. Erstaunlicherweise sehe ich dabei in der Seite was ganz anderes als die, die diesen Ansatz ablehnen. Sie – u.a. auch Evgeny Morozov – schreiben viel von Katzenbildern, ich hingegen sehe eine konsequente und womöglich radikale Ausrichtung auf digitale Distribution. Und die würde ich gerne erst verstehen, bevor ich sie bewerte.
Ich glaube also, es könnte für einen im Digitalen publizierenden Journalisten sinnvoller sein, sich Fragen wie diese hier zu stellen als die Frage ob ihm Buzzfeed gefällt oder nicht:
> Wie erreicht mein Inhalt seine Leser?
> Nehme ich darauf Einfluß?
> Was machen meine Leser mit diesem Inhalt?
> Wie verfasse ich Teaser für (welche?) sozialen Netzwerke?
> Wie unterscheiden sich “social teaser” von klassischen Anreißern?
P.S.: Mit diesem Beitrag probiere ich gleichzeit was Neues aus – den Dienst Medium
6 Kommentare
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