Aus heutiger Sicht scheint es unrealistisch, dass Zeitungs-Nutzer dafür zahlen, Artikel im Netz kommentieren zu können. Das liegt meiner Einschätzung nach aber nicht daran, dass die Idee absurd ist, sondern dass Leser bisher kaum als Nutzer und eigentlich nie als gleichwertige Dialog-Partner wahrgenommen werden. Das wiederum hat seine Ursache im Auftreten vieler Web-Nutzer, das oftmals weit davon entfernt ist, einen Dialog zu ermöglichen. Häufig ähneln die Kommentaren, die reflexartig unter Texten abgesetzt werden, eher den Selbstinszenierungs-Wortmeldungen aus dem Publikum am Ende einer Podiumsdiskussion als einem wirklichen inhaltlichen Beitrag. Daraus folgt wiederum, dass viele Journalisten kein Interesse an einem Dialog mit diesen Lesern haben.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Online-Publizistik der nächsten Jahre ist es deshalb, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Ich bin davon überzeugt (und fühle mich durch Patrick Thornton darin bestätigt), dass die Leserschaft von Zeitungen nicht ausschließlich aus Menschen besteht, die reflexartig Nazivergleiche posten oder persönlich beleidigend werden. Im Gegenteil: Dort, wo ein Dialog versucht wird, führt dies zu oftmals qualitativ hochwertigen Zusatzinformationen. Und damit meine ich nicht nur die akademische Leserschaft eines überregionalen Qualitätsblattes, die sich online zu einer Denkfabrik zusammenfindet, die wiederum Einfluß auf die Berliner Politik nehmen könnte. Es geht mir auch um eine lokale Gemeinschaft engagierte Bürger, die in der Community einer Lokal- oder Regionalzeitung – unter journalistischer Moderation – die Entscheidungen einer Kommune diskutieren und vorbereiten können.
Die entscheidende Herausforderung dabei ist die journalistische Moderation. Wir müssen Wege finden, die zu Nutzern gewordenen Lesern so einzubinden, dass diese sich …
… erstens als Bestandteil der Zeitungsgemeinschaft sehen und ernst genommen werden.
… zweitens auf hohem Niveau beteiligen und
… drittens aus dieser Beteiligung selber einen Mehrwert ziehen.
Das Flickr-Beispiel zeigt, dass es ein Anfang sein kann, die Besonderheit der Gemeinschaft herauszustellen. Hier gibt es zahlreiche weitere spannende Wege, die natürlich auch über technische Zusatzfeatures führen. Wenn Redaktionen hier nachdenken, fallen ihnen sicher sehr viele tolle Dinge ein.
Dazu kann zum Beispiel ein Modell zählen, dass Leser online zu Gruppen (Freundschaften) verbindet. Diese Gruppen können ein soziales Wissen generieren, das über das universale Wissen der Zeitungen (die sich an die Allgemeinheit richtet) hinaus geht. Ich bin davon überzeugt, dass Zeitungen für Gruppen personalisierte Angebote schaffen können, die einen einzigartigen (Mehr-)Wert haben und einen Service bieten, für den viele zu zahlen bereit sein werden. Die Versuche mit personalisierten Zeitungen gehen in diese Richtung, sind meiner Einschätzung nach aber noch nicht ausgereift. Zudem verzichten sie auf eine Stärke, die Zeitungscommunitys haben: Diese könnten beispielsweise die Auwahlkompetenz ihrer Redakteure neu und in anderen Kontexten nutzen. Dies und die Kombination von im Netz generiertem Zusatznutzen in gedruckter Form scheint mir eine große Chance zu sein – gerade in Zeiten, in denen mehr von Krise als von Chancen gesprochen wird.