„Call him pathetic; a nothing!“

Der mit Abstand beste Text, den ich in den vergangenen Tagen zu den Geschehnissen in Oslo gelesen habe, stammt aus dem Guardian. Charlie Brooker hat ihn mit einer spürbaren Mischung aus Wut und Menschlichkeit geschrieben. Er trägt den Titel The news coverage of the Norway mass-killings was fact-free conjecture und behandelt neben der Frage, wie die Arbeit von Terror-Experten zu bewerten sei, vor allem das Thema, wie Medien über den Attentäter zu berichten haben:

Presumably he wanted to make a name for himself, which is why I won’t identify him. His name deserves to be forgotten. Discarded. Deleted. Labels like „madman“, „monster“, or „maniac“ won’t do, either. There’s a perverse glorification in terms like that. If the media’s going to call him anything, it should call him pathetic; a nothing.

Das ist eine sehr emotionale Herleitung dessen, was W&V-Chefredakteur Jochen Kalka hier sehr rational herleitet:

Ein Täter darf nicht abgebildet werden, er darf keine große Rolle in der Berichterstattung spielen, sonst lockt das Nachahmer an. Das sagen die Psychologen, etwa Bruno-Ludwig Hemmert, der Leiter des Kriseninterventionsteams in Erfurt und in Winnenden gewesen war.

Das Gegenteil geschieht gerade – wie Ronnie Grob beobachtet hat:

Sie drucken seine Fotos dankbar ab, setzen ihn inklusive Waffe auf die Titelseite, versehen ihn mit Namen: “blonder Teufel” (Bild), “Teufel von Oslo” (tz), “Bestie” (Express), “Mord-Maschine” (Berliner Kurier).

Ich frage mich: Was wäre eigentlich, wenn man bei aller Grausamkeit den PR-Plan des Täters als solchen durchschaut, benennt und seinem Marketing nicht folgt? Es klingt vor dem Hintergrund der vielfachen Tode und der Trauer vielleicht zynisch, aber medial betrachtet, will hier jemand Werbung für seine menschenverachtende Sache machen. Er nutzt dafür die Mechanismen der Medien, die man vielleicht an den alten angelsächsischen Satz erinnern sollte:

“News is what somebody somewhere wants to suppress; everything else is advertising.”

Ist der Name des Täters Teil der News? Gehört sein Bild dazu? Und die Bilder, die er offenbar vorher selber hat anfertigen und aufbereiten lassen? Nur weil sie nicht von einer PR-Agentur verschickt werden, sind sie noch lange kein werbefreies Material. Man könnte doch auch über seine Beweggründe berichten, ohne ihn zu zeigen, ohne auf seine Pressemappe zurückzugreifen, ohne seinen Namen zu nennen. So wie man – man entschuldige den etwas weit hergeholten Vergleich – auch über Fußball im Münchner Stadion berichten kann, ohne den zu Werbezwecken vermarkteten Namen der Arena zu nennen.

Stellen wir uns vor, man könnte das so genannte Manifest des Täters irgendwo kaufen, als Papierbuch oder gar als anderen Konsumgegenstand. Würde man dann auch so ausführlich über ihn und seinen „Produkt“ berichten? Oder würde man dann sagen: „Nein, dafür wollen wir keine Werbung machen? Da würde ja jemand aus unserer Berichterstattung finanziellen Profit schlagen?“ Würde man vielleicht sogar auf Ziffer 7 des Pressekodex Bezug nehmen („achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken“).

Nimmt man die Aufmerksamkeits-Ökonomie des Internet zum Maßstab, ist es sicher nicht unangemessen, davon zu reden, dass hier jemand werbliche Interessen verfolgt: Der Täter verkauft seine menschenverachtenden Thesen und die oben zitierten Titelseiten helfen ihm. Dabei ist es unerheblich, ob Geld fließt oder nicht. Darum geht es nicht. Dem Täter geht es darum, dass sein Gedankengut in die Mitte der Berichterstattung gerückt wird. Es geht ihm darum, dass große Medienseiten im Netz ihn verlinken, ihm PageRank und Aufmerksamkeit schenken. Selbst wenn niemand auf die von Google als relevant eingestuften Links auf den Nachrichtenseiten klickt, die Folgen sind dennoch verheerend: Die verlinkten Seiten gewinnen an Algorithmus-Bedeutung. Sie werden in der Google-Suche hochgestuft, bleiben auch Wochen nach der Berichtestattung im Fokus.

Ich denke nicht, dass man verschweigen sollte, welchen Plan der Täter hatte. Ich halte es für richtig, zu analysieren, was ihn trieb und antrieb. Das muss natürlich öffentlich geschehen – und eine offene Gesellschaft muss diese Debatte führen. Aber nicht nur in Fragen der Verlinkung scheint hier eine neue Debatte über journalistischen Regeln (im Web) nötig – denn den Mechanismus hat (spätestens jetzt) nicht nur der norwegische Täter verstanden.

P.S.: Wie zum Beweis lese ich gerade von der Operation UnManifest, mit der Anonymous, den Plan des Täters nach Aufmerksamkeit genau zerstören will. Der Gegen-Plan:

1. Find the Manifest
2. Change it, add stupid stuff, remove parts, shoop his picture, do what you like to…..
3. Republish it everywhere and up vote releases from other peoples, declare that the faked ones are original
4. Let him become a joke, such that nobody will take him serious anymore

Update: Auf Twitter weist publictorsten auf die Figur des Herostratos hin, die mir bisher nicht bekannt war.

Update 2: Der Tagesspiegel hat das Manifest offenbar als Download auf seine eigenen Servern veröffentlicht. Diese Entscheidung wird mit Arguemten für und
gegen die Veröffentlichung begleitet. In dem Kontra-Text schreibt Sara Schurmann:

Jeder, der möchte, wird die Schrift Breiviks finden, jeder Fanatiker aber auch jeder normale Bürger. Aber es ist ein Hohn für die Opfer der Anschläge und ein Triumph für den Attentäter, dass ihm eine deutsche Zeitung hilft, sein Propagandaziel so problemlos zu erreichen.

9 Kommentare

Mir gefällt die Idee mit der Aktion von Annonymous. Allerdings finde ich sie auch gleichzeitig bedenkenswert, da das Manifest auf diese Weise in veränderter Form doch Eingang in die Medienwelt findet. Es ist quasi ein Kompromis. Ja wir wissen, dass es das Manifest gibt und wir integrieren es durch Satire.
Es ist schwierig. Wir als Gesellschaft müssen mit solchen Gedanken umgehen. Dazu bieten sich Diskussionen an, die gleichzeitig den Extremisten als Bühnen für ihre öffentliche Darstellung dienen.

Ich finde diese Diskussion, dass der Journalismus ja das „Marketing“ „durchschauen“ hätte sollen und eben nicht über den Täter berichten, extrem akademisch bis wohlfeil.

Meinst du wirklich, dass die Journalisten, die darüber berichten das nicht wissen? Meinst du echt, dass das reine Blödheit ist?

Nein. So lange es wissbegierige Gaffer wie mich gibt, die alles über den Täter und die Umstände seines Tuns wissen wollen (die gibt es zu Millionen), wird sich auch ein Medium finden, dass darüber berichtet. Und wer es nicht tut, wird mit Leserlosigkeit abgestraft.

Das ist auf der einen Seite traurig, weil diese Mechanismen berechenbar sind und sich ein Mohammed Atta und ein Breivik und all die Zukünftigen Durchies darauf verlassen können. Aber andererseits ist das auch gut so, weil ich die Alternative als noch Falscher ansehen würde: ein systematisches oder strukturelles Schweigekartell, dass – obwohl alle nach den Informationen gieren, sie ihnen nicht gibt.

Ich fände es gut, wenn man das mal so klar differenzieren könnte, bevor man alle Medien wegen ihrer Berichterstattung annöhlt, während man so tut, als sei die eigene Forderung überhaupt in einem freien Mediensystem durchsetzbar.

Die einzige Forderung, die ich stelle, ist jene nach einer Debatte – und eine solche erscheint mir durchaus angebracht. Allein wegen der Link/PageRank-Frage.

Man kann über den Presskodex denken wie man will, aber die Tatsache, dass es ihn gibt, zeigt, dass die „man kann eh nichts tun“-Haltung nicht zielführend ist. Der Versuch, gegen den Mechanismus, den der Täter sich wünscht, anzugehen, ist kein Nöhlen, sondern der Wunsch, das System nicht auch noch zu bedienen. Ob dieser Wunsch durchsetzbar ist oder nicht, ist für mich dabei zunächst kein Kriterium.

Es gibt Medien, die dem (vermeintlichen) Interesse der Leser nach nackter Haut auf der ersten Seite nicht nachkommen. Sie finden auch Leser. Wir sprechen stets und ständig von segmentierten Öffentlichkeiten, warum findet die Unterscheidung hier nicht statt? Es könnte doch eine Besonderheit eines Anbieters sein, dass sein Medium auf die Namensnennung (wie bei der Arena in Fröttmaning) verzichtet. Das heißt nicht, dass nicht über die Inhalte berichtet wird.

Ich habs bei mspro schon kommentiert, aber nochmal:

Das ist eine völlig krude These: „Nimmt man die Aufmerksamkeits-Ökonomie des Internet zum Maßstab, ist es sicher nicht unangemessen, davon zu reden, dass hier jemand werbliche Interessen verfolgt: Der Täter verkauft seine menschenverachtenden Thesen und die oben zitierten Titelseiten helfen ihm.“

Erstens verwechseslt Du, selbst wenn man in Deinem Vokabular bleibt, verkaufen mit verschenken. Zweitens: So gesehen ist jede öffentliche Handlung Marketing: Ich schenke nicht mehr einfach einen Blumenstrauß. Ich verkaufe (verschenke) Dir meine Zuneigung und werde damit (hoffentlich) mit einem Kuss belohnt. Das kann man mit allem durchspielen, was Interaktion beinhaltet.

Diese völlige Durchdringung der Gedankenwelt durch den Markt (die man auch an dem sehr persönlichen, sehr direkt ansprechenden Tonfall des Posts hört (Emotionalisierung!), obwohl Du ja gerade anprangesrt, dass es den Journalisten nur um Verkaufszahlen geht) führt im Grunde zum Verstummen. Denn wenn ich mich öffentlich äußere (z.B. jetzt), mach ich dann nicht auch Werbung für mich? Ich entkomme also der Aufmerksamkeitsökonomie nur dann, wenn ich anonym bleibe (und damit auf meine Rechte verzichte) oder schweige.

Die deutsche Justiz hat, wenn ich mich recht erinnere, dafür übrigens einen Weg gefunden: Der Kannibale von Rothenburg Armin Meiwes durfte nicht finanziell von dem über ihn verfassten Buch profitieren, erst dann konnte es veröffentlicht werden.

Hier der Link zu der Debatte:

https://plus.google.com/105021561293211020643/posts/RMCVBRHPNTQ

Zu der Verkaufsfrage: Ich bezog dies auf die PageRank- und Link-Aufmerksamkeit. Wenn von der New York Times bis zu Bild.de allesamt das Manifest und die drumherum agierenden Foren und Blogs verlinken, verdienen diese doch daran – zunächst nicht finanziell. Aber: sie bekommen Aufmerksamkeit und auch Bedeutung im Sinne von Googles Bewertungskriterien. Deshalb gehe ich davon aus, dass sie sehr wohl was verkaufen wollen: Sie wollen Besucher auf ihren Seiten, sie wollen, dass ihre Thesen diskutiert werden. Bezahlt werden sie nicht mit Geld, sonden mit PageRank und Sichtbarkeit.

Das halte ich nicht für krude, sondern für die Logik des digitalen Raums.

Aber mit Sichtbarkeit verdient man kein Geld, frag nach beim Freitag. Wenn es darum geht, sich in einer Debatte Gehör zu verschaffen, finde ich das Marktvokabular unangebracht. IIn Medienhäusern gibt es noch immer die Trennung zwischen Journalisten und Verlegern gibt, die im übrigen völlig unterschiedliche Positionen vertreten: der Journalist will, dass seine Thesen diskutiert werden, der Verleger, dass Besucher auf seine Seite kommen. (Um den Zusammenhang herzustellen: Der Redakteur ist derjenige, der beide bei Laune halten muss.)

Du verwischt gerade diesen Unterschied zwischen Journalist und Verleger, wenn Du soziales Kapital und ökonomisches Kapital in eien Topf wirfst und umrührst.

und dabei ist der sehr wichtig: der eine will verstehen, verständlich machen, diskutiert werden und also diskutieren, der andere will wahrgenommen werden und verkaufen (nämlich Werbung und Abonnements, um denjenigen zu bezahlen, der diskutiert werden und also diskutieren will).

Brevik ist derjenige, der diskutiert werden will, die Journalisten sind auch diejenigen, die Brevik verstehen und verständlich machen wollen. Schwierig wird die Sache, wenn der Verleger den Journalisten übergeht Ich schrieb es schon bei mspro: „Ich würde es begrüßen, wenn man da trennen würde zwischen Täterdarstellung (Text) und Täterdarstellung (Bild). Die Reproduktion der Fotos, die im schlimmsten Fall ein Amokläufer genau zu diesem Zweck von sich macht, ist fragwürdig. Der Versuch, Motive und Hintergründe der Tat zu verstehen, ist notwendig, um mit dem Schock umzugehen, ihn zu analysieren und ggf darauf zu reagieren.“

Du sagst das ja auch, unterminierst das aber im Grunde, wenn Du Brevik mit der These über Aufmerksamkeitsökonomie zum Marketingstrategen, der Werbung für ein Produkt macht, deklarierst. Er verfolgt nicht werbliche Interessen, er will nichts verkaufen: er will diskutieren, er will verstanden haben, sein Verständnis verständlich machen. Deswegen bekommt er auch mehr Aufmerksamkeit als die Opfer, die Angehörige verloren haben oder sonstwie betroffen sind: Brevik hat eine Frage gestellt, sein Fragezeichen sind knapp achzig Kreuze.

(Ich muss beinah schreiend heulen, weil ich mich so herzlos anhöre. Es ist nicht sehr schön, theoretisch zu diskutieren, wenn das Ereignis so emotional aufgeladen ist.)

Entschuldige, Fred, ich war ein paar Tage offline und musste diese Debatte leider kommentarlos liegen lassen. Sorry.

Eine Anmerkung möchte ich aber doch noch ergänzen: Wie man mit Sichtbarkeit Geld verdient, sollte man mal mit Linkbuildern besprechen, die mit dem Traffic, der von den Verlinkungen auf allen großen Websiten ausgeht, sicher eine Menge ökonomisches Kapital generieren würden.

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