Das Gegenteil von Nichts

Das Fachmagazin Der Journalist hat die Debatte um den diesjährigen Henri-Nannen-Preis zum Thema eines Gesprächs zwischen Stefan Willeke und Claudius Seidl gemacht, das man aus so vielen Gründen empfehlen muss, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll.

Der wichtigste Grund ist: Dieses Gespräch ist das Gegenteil von Nichts – jedenfalls wenn man Seidls Maßstab anlegt, den er im Nachruf auf Michael Althen (dessen Texte jetzt übrigens gebündelt online stehen und via Facebook verbreitet werden) so formulierte:

Ein Film, ein Buch, eine Fernsehserie ist nichts, wenn darin nicht auch die Forderung steckt, das eigene Leben zu überprüfen.

In dem Gespräch steckt die Forderung, das Journalisten-Leben in Deutschland zu überprüfen oder zumindest die Inszenierungs- und Bedeutungsmechanismen, die Wichtigkeit aufbauen in einer Branche, die gerade von der Amateur-Wucht der Demokratisierung der Publikationsmittel erfasst wird. Denn durch die chaotischen Wirren um die An- und wieder Aberkennung des Preises sieht Seidl genau diese Mechanismen im Wanken:

Der Fall ist wie ein kleiner Sprengsatz, der eine große komplexe Konstruktion aus Halbwahrheiten, Selbstbetrug und Simulation zum Einsturz bringt. Und da bin ich Filmkritiker genug, um solche Einstürze mit Genuss zu betrachten.

Doch ein viel wichtiger Punkt findet sich in einem Nebenaspekt der Frage, warum man überhaupt Journalistenpreise braucht. Claudius Seidl antwortet darauf:

Wozu brauchen Journalisten Preise? Journalisten sollen dafür kämpfen, dass sie anständige Gehälter bekommen. Allein die Inszenierung der Preisverleihung: Da kommen die Hamburger Honoratioren im Smoking. Als wären es die Oscars. Das ist doch alles so falsch. (…) Journalistische Spitzenleistungen werden dadurch ausgezeichnet, dass Leute über sie reden, darauf reagieren. Darum geht es.

Ich halte diese These für richtig. Denkt man sie weiter heißt das: Die Reaktion, die journalistische Publikation hervorruft, ist die Auszeichnung dieser Arbeit, sie ist aber auch ihr Bestandteil. Diese Reaktion wird häufig im Netz abgebildet und verlangt vom Journalisten selber wiederum eine Reaktion. Ausgezeichneter Journalismus – heißt das in der Folge – ist also jener, der sich der Debatte (im Netz) stellt, der dem Dialog nicht ausweicht, sondern ihn annimmt und gestaltet.

Keine Ahnung, ob Seidl das gemeint hat, ich jedenfalls verstehe ihn so.

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