Das Rascheln von Papier

Heute lag das Jahrbuch zur Berliner Type 2009 in der Post. Es „präsentiert und dokumentiert die herausragensten Druckwerke aus Deutschland, Österreich und der Schweiz“ und wurde mir zugeschickt, weil es daneben auch einen Beitrag von mir enthält. Für die Rubrik „Leaders Dialogue“ habe ich mich der Frage nach gedruckten oder digitalen Worten genähert – und ob damit eine qualitativer Unterschied verbunden ist. Der Text trägt den Titel „Das Rascheln von Papier – ein Zeichen von Qualität?“. Ich dokumentiere ihn hier in einer gekürzten Fassung. Wer den ganzen Text lesen möchte, hier kann man das Buch kaufen.

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Wer annimmt, das Rascheln von Papier sei ein Zeichen von Qualität legt damit nahe, ein Text sei besser, gehaltvoller, kurzum von höherer Qualität, weil und wenn er gedruckt worden ist. Aber warum eigentlich? Nehmen wir an, diese Haltung fürs Lesen ist stimmig, sie müsste dann auch und gerade fürs Schreiben, also für die Produktion von Texten gelten. Hat also, mit dieser Frage möchte ich beginnen, die Art der Erstellung eines Textes Einfluss auf dessen Qualität? Vereinfacht gefragt: Wann ist ein Text besser, wenn er auf einem mit Feder oder Maschine beschreibbaren Blatt oder mittels einer vom Textverarbeitungsprogramm vorgegebenen weißen Fläche erstellt wurde?

Das Problem an dieser Frage: Wir können sie zumeist gar nicht beantworten. Wir wissen häufig weder, wie die begnadete Journalistin ihre herausragenden Kommentare, noch wie der stümperhafte Autor seine entsetzlichen Sachbücher verfasst. Vermutlich tippen sie beide auf eine Computertastatur, aber sicher wissen können wir es nur, wenn sie uns, die Leser, am
Prozess des Schreibens teilhaben lassen. Von der Erstellung auf die Qualität des Produkts zu schließen, ist hier also häufig reine Spekulation oder Wunschdenken.

Der Schriftsteller Ralf Rothmann hat unlängst davon erzählt, wie er seine Texte zunächst mit Bleistift auf Papier notiert und später abschreibt. Unabhängig von der unbestreitbaren Qualität von Rothmanns Literatur: Bei diesem mühevollen Entstehungsprozess eines Textes erscheint es leicht zu glauben, dass am Ende auch etwas Gutes entsteht. Hier schreibt noch jemand wirklich von Hand, er streicht durch und radiert weg, zerknüllt und beginnt neu. Das wird – man glaubt ja an den Satz, dass Qualität von Qual kommt – gemeinhin gerne und widerspruchslos als Zeichen von Güte akzeptiert. Umgekehrt würde eine Schriftsteller­-Inszenierung ganz ordentlich ins Wanken geraten, würde der Literat bekennen, seine Werke ausschließlich per Daumen in sein Handy zu tippen und erst später zu übertragen. Er wäre damit vermutlich nicht entschieden langsamer als der Kollege mit dem Bleistift (und eine Qual wäre es auch), trotzdem nimmt man an, der auf dem Papier verfasste Text sei irgendwie gehaltvoller als das auf dem Handy Getippte. Kein Wunder also, dass wir das Rascheln auch bei der Lektüre als Qualitätsmerkmal akzeptieren.

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Es ist zunächst die eigenen Prägung, die festlegt, was wir gut und was wir schlecht finden. Wer viele gute Texte auf Papier gelesen hat, glaubt anschließend, Papier sei eine notwendige Bedingung für Qualität. All den Schund minderer Güte, der ebenfalls gedruckt wird, blendet dieses Denken aus. Mit dem wirklichen Inhalt dessen, was da auf Papier erscheint, hat das Qualitätsurteil also erst in zweiter Linie zu tun. (…) Wir erleben gerade eine technischen Innovation, die unsere Prägungen ins Wanken bringt. Die Rede von der Revolution
ist hier oft, vielleicht zu oft, geführt worden. Aber sie ist nicht falsch. Die Digitalisierung wirft die Frage auf: Bleibt man bei seinen gelernten Annahmen, oder öffnet man sich für Neues?

Erstaunlicherweise sind die Beharrungskräfte in Sachen Print/digital hier besonders hoch. Sie beziehen sich – wie beschrieben – sowohl auf die Erstellung, als auch auf die Lektüre von Texten: Man glaubt, ein in Ruhe am Küchentisch gelesener Artikel auf Papier sei per se besser als derselbe Inhalt hektisch am Bildschirm überflogen. Und bei einem Autoren, der ganz traditionell seine Arbeit verrichtet, wie man es auch vor 100 Jahren schon tat, nimmt man dies als Zeichen der Qualität. Einen Chirurgen, der sich auf gleiche Art technischer Innovation verweigert, würde man vermutlich verklagen, wenn er mit dieser Ankündigung die Blinddarm­-Operation einleitet.

Dass viele bei der Art und Weise ihrer Lektüre trotzdem so gerne und so intensiv dem Bekannten vertrauen, liegt an dem grund­legenden Wandel, der sich durch die Digitalisierung vollzieht. Er führt zu Verunsicherung. So wie einst der Buchdruck die Lektüre veränderte, revolutioniert auch das Internet die Erfahrungen im Umgang mit dem geschriebenen Wort. Beim Buchdruck würde niemand den Wandel bezweifeln, beim Internet jedoch wird er häufig geleugnet. Aus einer Abwehrhaltung heraus vermischt man Form und Inhalt und attestiert dem digital verbreiteten Text eine geringere Qualität als dem traditionell gedruckten Wort. Ein Mechanismus, der übrigens keineswegs neu ist. Die Mönche, die vor der Erfindung des Buchdrucks die Bibel Wort für Wort von Hand abschrieben, hielten das Neue (hier: die gedruckte Variante) vermutlich ebenfalls für minderwertiger als das Bewährte (hier: ihre eigenen Kopien der Heiligen Schrift).

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Wir sollten den Blick endlich auf die wirklichen Kriterien von Qualität lenken – und zwar uabhängig vom Vertriebsweg. Egal, ob ein Text gedruckt oder digital verbreitet wird: auf seine inhaltliche Güte kommt es an. Daran sollten wir arbeiten. Gerne auch ganz klassisch mit Durchstreichen, Zerknüllen und neu Anfangen; da sind sich Papier und die weiße Textverarbeitungsfläche wie gesagt verdammt ähnlich.

Die ausführliche Version des Textes und sowie die Gegenrede des Kollegen Nils Schiffhauer kann man im Jahrbuch Berliner Type 2009 nachlesen, das im Verlag tellus Publishing vor kurzem erschienen ist – und das man hier kaufen kann.

3 Kommentare

Zwei weiterführende Gedanken dazu.

Zum einen lohnt sich die Frage, wie die Texte das denn sehen. Und hier läßt sich eines ganz klar sagen. Texte finden das Digitale großartig. Sie sind wie gemacht dafür. Oder anders herum. Es ist wie gemacht für sie. Nur Zahlen lassen sich noch besser in digitalen Umgebungen verarbeiten, gedeihen hier noch prächtiger. Alle anderen Medien wie Audio und Video aber auch Graphik hängen da meilenweit hinterher. Das Digitale ist der eigentliche natürliche Lebensraum von Texten, als hätten unsere 26 Buchstaben all die Jahrtausende nur darauf gewartet. Und bei aller Euphorie. Was wir bis jetzt gesehen haben ist noch gar nichts. Noch irren unsere Texte umher. Werden gecrawlt und gespidert. Aber wenn sie erstmal selber aktiv werden können. Wenn sie sich selber organisieren. Dann bricht das Goldene Zeitalter der Texte an.

Für den zweiten Gedanken habe ich heute leider keine Zeit mehr. We were promised Jetpacks warten. Kommt aber noch, der Gedanke. Versprochen.

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