„Freiheit und Vielfalt in Kunst und Kultur“ -steht auf der Seite, deren wirkliches Ziel die URL preigibt. Diese lautet „kulturausschuss-schuetzen.de“ – und läuft auf die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering. Auf ihre Initiative hin hat der Ältestenrat des Deutschen Bundestags in dieser Woche einen Offenen Brief erhalten, der auf der Website einsehbar ist und von über 10.000 weiteren Menschen unterzeichnet wurde.
Zentrales Anliegen dieses Schreibens: „Es muss deshalb verhindert werden, dass die AfD den Vorsitz des Kulturausschusses besetzen kann.“
Das ist ein inhaltlich nachvollziehbarer Wunsch, allerdings stelle ich mir nach Lektüre des Briefes die Frage, die Dieter Kassel gestern früh im Interview im Deutschlandfunk Kultur der Unterzeichnerin Elisabeth Moschmann (CDU) ebenfalls stellte: „Ist das Demokratie, wenn man sagt, wir haben eine Partei, die wir persönlich, also all die anderen Parteien oder fast alle, für sehr problematisch halten, und dann setzen wir die Geschäftsordnung des Bundestags außer Kraft und demokratische Regeln. Ist das demokratisch, ist das ein Rechtsstaat?“
Moschmann antwortet darauf etwas unklar: „Das kann man bezweifeln. Aber was haben wir denn gemacht? Wir haben einen Brief geschickt an den Ältestenrat und unsere Bedenken geäußert, die, glaube ich, gut begründet sind und die jeder versteht und auch die Kulturszene ja sofort verstanden hat.“
Mich macht das ratlos. Warum wird ein solcher Brief verschickt, wenn sogar die Unterzeichnerin bezweifelt, ob er demokratisch ist?
§58 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags regelt die „Bestimmung des Vorsitzenden und seines Stellvertreters“. Ich finde es nicht richtig, diese Regeln zu ändern, weil man die Inhalte des politischen Gegenüber für falsch hält. Zumal dann nicht, wenn man damit dessen Narrativ bedient. Wenn man „die Kraft der Kultur für den Erhalt unserer demokratischen Werte stärken“ will, wie es in dem Brief heißt, dann muss man die demokratischen Werte über seine eigene richtige Meinung stellen können. Nur so trainiert man den Muskel Demokratie!
Das Anliegen dieses Briefes ist redlich, aber die Umsetzung ist schockierend undemokratisch. Wie gestern schon geschrieben: Gerade weil die AfD die freie und pluralistische Gesellschaft herausfordert, müssen wir mit demokratischen Spielregeln antworten. Zu fordern, diese auszusetzen, weil man die – nachvollziehbare – Sorge hat, dass die AfD schlechte Politik macht, führt zu schlimmeren Ergebnissen als schlechte Politik: Es stellt die Grundregeln der Demokratie selber in Frage. Denn gerade weil die AfD gegen Pressefreiheit und vielfältige Kultur hetzt, müssen wir ihr demokratisch begegnen. Wir müssen ihren fremdenfeindlich intendierten Slogan „Unser Land – unsere Regeln“ umdeuten und mit mehr Offenheit, mehr Demokratie und mehr Menschlichkeit antworten.
Diesen Offenen Brief halte ich dabei leider für ein sehr falsches Signal!