Ein Satz, der in den aktuellen Veröffentlichungen zu den Terroranschlägen von Paris, immer wieder zitiert wird, stammt von Rosa Luxemburg und lautet: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“. Es ist ein wichtiger Satz. Es ist ein Satz, der verdeutlicht, worauf die Idee von Pressefreiheit gründet, die in diesen Tagen hochgehalten und gelobt wird. Pressefreiheit gründet eben nicht darauf, die Offenheit zu haben, seine eigene Meinung und Moral veröffentlicht zu sehen. Dieses Verständnis bringen sogar Diktaturen auf. Pressefreiheit gründet vielmehr darauf, dass man die öffentliche Meinung und Moral derjenigen aushält, die eine völlig andere Meinung haben. Eine Meinung, die man unangemessen, dumm oder schlicht falsch findet. Solche Meinungen vertritt – nach meiner Einschätzung – mit bemerkenswerter Kontinuität Erika Steinbach. Ich erinnere mich an keine einzige Aussage der CDU-Politikerin, die ich richtig finden würde.
Trotzdem sehe ich mich im Sinne der Pressefreiheit gezwungen, die Anzeige, die gerade gegen Erika Steinbach gestellt wurde, für grundweg falsch zu halten. Es geht um einen geschmacklosen Tweet der CDU-Politikern – gegen den nun ausgerechnet ein Funktionär der Satire-Partei „Die Partei“ juristisch vorgehen will:
"Frankreich ruft höchste Terrorwarnstufe aus http://t.co/ToYZhZpIcy via @tagesspiegel"Nur kath. Kirche kritisieren,sonst lebensgefährlich;-)
— Erika Steinbach (@SteinbachErika) 7. Januar 2015
Bei den Ruhrbaronen wird Jens Bolm mit den Worten zitiert: “Ich fand das unangemessen und widerwärtig. Und einfach nur dagegen zu twittern, war mir zu wenig.”
Man kann mit Hilfe des Streisand-Effekts herleiten, warum dem Tweet, den ich genau wie Bolm geschmacklos finde, so nun zusätzlich Aufmerksamkeit zuteil wird. Man kann auf den Fall Ratzinger verweisen, bei dem der damalige Papst gegen ein Titelbild eines Satire-Magazins vorging. Man kann aber auch ganz einfach Erika Steinbach mit Hilfe ausgerechnet von Rosa Luxemburg verteidigen.
So verstehe ich die Idee von Pressefreiheit – und so verstehe ich diesen Text von Glenn Greenwald, in dem er seine Solidarität zur Idee der Pressefreiheit ausdrückt, indem er weitere blasphemische Zeichnungen veröffentlicht. Eine Provokation – gerade im US-amerikanischen Kontext – die vor allem ein Ziel hat: Greenwald zeigt, dass es bei Pressefreiheit eben nicht darum geht, den moralisch richtigen, den angemessenen oder stilvollen Meinungen Raum zu geben. Pressefreiheit heißt vor allem: Meinungen auszuhalten – und im Wettstreit der Ideen zu bekämpfen – die man für moralisch falsch, unangemessen und stillos hält.
Das ist so viel schwieriger als es klingt. Das ist die große Herausforderung der Pressefreiheit und die wichtigste Aufgabe der kommenden Tage und Jahre. Wenn das gelingt, sollte man stolz darauf sein – wie Bernd Ulrich es in der Zeit nennt. Aber nicht nur als festangestellter Journalist, sondern als Bürger einer offenen, toleranten Gesellschaft, die auf den Prinzipien der Pressefreiheit gründet. Denn in einer solchen gilt im Sinne von #JeSuisCharlie: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Oder einfacher: Jeder ist Journalist.
Mehr zum Thema bei David Brooks bei der New York Times und im weitesten Sinn auch in diesem Beitrag von Stefan Niggemeier.
3 Kommentare
Für mich liegt die Herausforderung eher darin, die Meinungsfreiheit physich zu schützen, ohne sie gleichzeitig inhaltlich zu gefährden. Die Solidaritätswelle „Je suis Charlie“ erkläre ich mir, simpel ausgedrückt, mit dem Schock darüber, dass eine Redaktion nicht kritisiert, sondern massakriert wurde.
Unser Aufschrei dagegen darf aber im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass nun jeder öffentlich hetzen kann, wie er will. Genau das scheint mir aber die steile These von Greenwald zu sein. Angeblich könne man immer nur Moslems schmähen, nie aber jüdische Themen karikieren. Als Illustration seiner Sicht von Pressefreiheit veröffentlicht Greenwald dann ein paar rassistische, antisemitische Zeichnungen, die ziemlich exakte dem „Stürmer“-Stil entsprechen.
Hierzulande würde sich die Justiz damit auseinandersetzen müssen: Verdacht auf „Volksverhetzung“. Möglicherweise gäbe es dann eine Sanktion, gar ein Verbot oder ein Bußgeld. Oder auch die Einstellung des Verfahrens. Ähnlich im Fall Steinbach. Den finde ich aber – genau wie Sie – relativ kleinteilig. Insofern hat wohl auch die Anzeige wenig Aussicht auf Erfolg.
Erschössen würde in keinem Fall jemand. Da ist für mich der entscheidende Unterschied.
Die Reaktion von Stefan Niggemeier (und anderen Bloggern) auf die Verleger-„Solidaritäts“-Aktion finde ich übrigens etwas hysterisch. Die Parole „Lügenpresse“ und die Bedrohung von Journalisten bei Pegida-Demonstration geben zur Besorgnis Anlass. Wenn der BDZV eine ätzende Karikatur und eine eigene, wenn auch massiv kommunizierte Position dazu veröffentlicht, fällt das für mich unter Meinungsfreihet.
Wäre dann mal auszuhalten. Für differenzierte wie auch für pauschale Medienschelte bleibt allemal noch genügend Raum.
[…] uns: das Attentat in Paris und Nopegida. Maik: Vor allem der Angriff am 7. Januar auf die freie Meinungsäusserung. Katja: Solch ein Anschlag wirkt nach. Maik: Unter dem Hashtag #jesuischarlie twittern die Menschen […]
[…] von Charlie Hebdo. Die Frage, welche Schlüsse man aus den Ereignissen vom 7. Januar 2015 in Sachen Pressefreiheit oder Umgang mit Sicherheitsgesetzen ziehen muss, wird uns noch lange beschäft…: Darüberhinaus hat das nachrichtliche Ausnahme-Situation #CharlieHebdo aber auch Erkenntnisse […]