Hans Rusinek sammelt Anführungszeichen. Öffentlich. Auf Instagram. Sein Account awkward_anfuehrungszeichen ist eine beachtenswerte Sammlung verwirrter oder zumindest verwirrender Satzzeichen. Denn nahezu alle „Beiträge“ dokumentieren erstaunliche Missverständnisse in der Verwendung der Gänsefüßchen. Jetzt hat er aus der Sammlung ein „Buch“ (Anführungszeichen mitlesen) gemacht. Ich habe ihm dazu ein paar Fragen gemailt.
Du sammelst Anführungszeichen. Warum das denn?
Es fing damit an, dass ein Freund, der Schnapsgläser sammelt, mir predigte, dass doch jeder irgendetwas sammeln muss. Sammeln sei doch ein Urtrieb, die Überlebenstechnik per se und ein mutiges Veto gegen den Zahn der Zeit, besonders in digitalen Zeiten. Und so weiter, und so fort. Ich hörte ihn brav zu und beim Leeren des ein oder anderen Schnapsglases kam mir dann die Idee: Verhunzte Anführungszeichen! Gerade an diesem Tag war mir nämlich ein Schild an einem Parkautomaten aufgefallen: Dort stand, dass man im „Voraus“ zahlen sollte. Merkwürdig.
Wo findest du all die Anführungs-Fehler eigentlich?
Wenn der Blick erstmal geschärft ist, begegnen einem die Dinger wirklich überall! Es ist eine Sprach-, oder besser Satzzeichensensibilität, die die Sammlung antreibt. Eine Zeit lang griff das sogar auf meine Kommunikation im Alltag über: ich musste beim Sprechen immer mit meinen Fingern die Zeichen in die Luft malen. Und durch den Account greift dies auch auf andere Menschen über. Die meisten neuen Fundstücke sind Beiträge aus der Community, die ich kuratieren darf. Es kommen etwa 50 neue Stücke pro Tag rein und ich werde der Lage schon lange nicht mehr Herr. Im Buch kommen deshalb auch viele unveröffentlichte Stücke ans Licht!
Begonnen hast du in Amerika, im Buch sind die meisten „Beiträge“ auf deutsch. Gibt es kulturelle Unterschiede?
Das ist schwer zu sagen. Ich weiß es nicht. Was aber definitiv aus den USA kommt, sind eben diese „Air Quotes“, die man mit den Fingern malt. Das haben wir Joey von Friends zu verdanken.
Du schreibst, dass in Wien besonders viel in An- und Abführung geschrieben wird. Hast Du eine Ahnung, woran das liegt?
Das finde ich auch ganz faszinierend! Vielleicht hat es etwas mit dem Wiener Schmäh zu tun? Also mit diesem etwas zynischen Humor, der gerne mal etwas Distanz schafft und darum die Welt gerne mal ein wenig in Anführungszeichen setzt.
Hast Du mal mit Leuten gesprochen, die besonders falsche Anführungszeichen auf Plakaten oder Aushängen verwenden?
Ja, eine Person hat sich mal bei mir gemeldet, weil ich sein Plakat gepostet habe. Er sagte, dass er nicht wusste, ob er den richtigen Begriff verwendet hatte und deshalb setzte er ihn vorsichtshalber in Anführungszeichen. Anführungszeichen wiegen uns in Sicherheit! Eine Hintertür bleibt so immer offen.
Bei nahezu allen Beiträgen in deinem Buch dachte ich mir: die Schreibenden glauben, mit den Anführungszeichen würden sie einen Begriff besonders betonen und wir Lesenden sehen, dass sie sich genau davon distanzieren. Hast Du eine Idee, wie Leute darauf kommen, dass Anführungszeichen einen Begriff besonders unterstreichen würden?
Ganz viele Facetten, wozu die Forschung noch dringend Antworten finden muss! Bei manchen Fundstücken hat man eine ältere Generation vor sich, die vielleicht mal gelernt hat, dass Anführungszeichen etwas unterstreichen sollen (aber kann man dafür nicht eben genau das machen? Unterstreichen). Und doch gibt es eben auch den gegenteiligen Effekt: Anführungszeichen als zynische Distanzierung. Anführungszeichen bleiben ein verwirrendes Rätsel! Zu der Distanzierung haben wir in dem Buch auch spannende historische Beispiele: Etwa Zeitungsausschnitte vom Springer-Verlag, der die DDR bis 1989 immer in Anführungszeichen setzte.
Zum Abschluss noch eine Frage an dich als Experten: Hast Du eine Ahnung, weshalb man die Anführungszeichen in Deutschland auch „Gänsefüßchen“ nennt?
Ich glaube das soll „niedlich“ sein.
Das Buch der absurden Anführungszeichen ist im Seltmann-Verlag erschienen – hier kann man Hans‘ Account auf Instagram folgen